
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Wie illusorisch war die Idee, Haken in den Fels zu kloppen, damit der Troglodyt seinen Übergangspelz aufhängen konnte. Die Serienreife des Kleiderbügels ließ aus naheliegenden Gründen auch auf sich warten. Nicht viel besser ging es dem Erfinder der Schrankwand. Die Sippe hockte wie immer auf dem Boden, Küchengerät und Abfälle, Sommerkleidung und Wertgegenstände stets in Reichweite und also ebenfalls ebenerdig gelagert – die Innenarchitektur der Altsteinzeit konnte leichte Mängel nur unzulänglich kaschieren. Noch empfand es der Sippenkasper als normal, sein bisschen Besitz kaum aus der Hand zu legen, denn wie oft überfiel einen der feindliche Stamm, während man sich gerade Mammut à la crème reinpfiff, und da war die Axt gerne schnell bei der Hand. Mit dem Anbruch der Zivilisation jedoch, lange vor der Erfindung von Nagel und Schublade, schwand diese Neigung. Was blieb, war das quasi eidetische Gedächtnis, wo die Axt lag. Und der komplementär dazu aufkeimende Aufräumwahn.
Fünf von drei Wohnungen sind im Status einer permanenten Benutzung begriffen, was heißt: die Zeitschriften liegen auf der Couch, dahinter die Turnschuhe, eine Hundedecke, Hausaufgaben, die Chipstüte von letzten Donnerstag, dazwischen das Bernsteinzimmer, ein Oberhemd und die Batterie, die damals in der Küche heruntergefallen war. Der durchschnittliche Spießer rümpft einmal die Nase, sammelt allenfalls die Hausaufgaben auf, kümmert sich jedoch nicht um den Rest, während der eher atavistisch denkende Zeitgenosse zielsicher und unüberlegt nach dem Bernsteinzimmer grabbelt, weil er es nie in der Schreibtischschublade im Aktendeckel „Ba–Bl“ vermuten würde. Denn Wohnen – von Leben sprechen wir erst, wenn es den Nachbarn wumpe ist, was sich auf dem Wohnzimmertisch stapelt, weil sie sowieso schnell wieder herausgebeten werden – war und ist zum größten Teil die geordnete Existenz um die weniger geordneten Dinge herum, die sich im mehrdimensionalen Kontinuum eine eigene Absicht zu schaffen scheinen. Wir besitzen die Sache nicht, wir werden und sind zunehmend von ihr besessen. Zwar braucht der Hominide Bleistift und Bohrer, Teppichschaum und Luftpumpe samt der mühsam aus Tibet herausgeschmuggelten Mumien, ohne die er nie eine Vierzimmerwohnung gemietet hätte, aber wann braucht er sie? und wie oft? Und wozu gibt es eigentlich seit der Erfindung der Hausmauer Haken, an die man Kleiderbügel hängen kann?
Das Ideal eines zur Schau gestellten Reichtums ist seit jeher die repräsentativ leere Behausung, die zu wichtig ist, als dass man einen Schirmständer in die Bude schwiemeln könnte. Außerdem wäre das in Sichtweite eines kleinen, aber unverkennbar echten Picasso sicher nicht geschmackvoll genug. Dass die anderen Zimmerchen der Butze mit dem übrigen Zeug gepfropft sind, kann sich der geneigte Betrachter an seinen elf Fingern abzählen, tut es aber nicht. Prompt verfällt der Bescheuerte in den Wahn, die materielle Leere, mithin eine milde Form des Kontrollzwangs, in jedem seiner Zimmer zu replizieren. Oberhemden in den Korb, Hundedecke zum Hund, die Turnschuhe in den Beutel, die Hausaufgaben ins Reservat, wo die Wilden noch Chaos nach eigenen Regeln erproben dürfen. Wer mit einer unbedachten Handbewegung die minutiös arrangierte Zen-Anordnung der drei Teelichte auf dem Esszimmertisch stört, lebt spontan mit dem Kopf im Aquarium ab.
(Das nervöse Leiden, Einfamilienhäuser mit Duftkerzen, tönernen Dackeln und Plastegebömmel vollzuschippen, ist ein hübsches Anzeichen von Komorbidität sowie ein klarer Beweis, dass die Evolution einen erkennbar brachialen Humor hat.)
Die Industrie unterstützt den Irrsinn nach Kräften. Mit Kisten und Kästen, Schub- und Stopf-, Hänge-, Falt-, Zieh- und Drehmechanismen und allem dazwischen, was ein Schlafzimmer angenehm und übersichtlich erscheinen lässt, während sich in der Staulösung zehn Hosen, drei Paar Schuhe und eine halbe Milliarde Socken befinden. Der Raum ist durch den Kruschtcontainer zwar nur noch so groß, dass man die Tür gerade eben noch siebzig Grad weit aufklappen kann, was regelmäßige Diät erfordert, um an die Socken zu kommen, aber immerhin sind diese Socken aus dem Rest der Wohnung verbannt. Komplett und bis in alle Ewigkeit.
Die Herausforderung liegt jedoch nicht allein in der halbwegs sinnvollen Aufbewahrung, nicht in der Anordnung von Socke, Bratpfanne und Kant-Gesamtausgabe im Räumlichen, so wie es sich die liebe Seele vorstellt. Die Herausforderung der eigenen Art, vulgo: der Horror entsteht in dem Moment, wo der Besuch vor der Tür steht und man, barfuß und unrasiert, den Gästen schnell etwas braten muss. Der zielgerichtete Griff ist hier alles, und schnell zeigt sich wieder die existenzielle Erfahrung aus der Zeit der Unordnung: es ist nicht erheblich, wo ein Ding sich zu einem Zeitpunkt befindet, erheblich ist nur, dass man es in der angemessenen Zeit zur Hand hat. So schlägt auch hier der beherzt in die Materie langende Chaot den Fanatiker des rechten Winkels, der die Fundorte seiner Staubkörner vorab indiziert, um sie auch für Momente der Unschärfe an den Quanten festzunageln.
Eine chaotische Umgebung, sagen Psychologen, sei Ausdruck eines chaotischen Geistes, eine aufgeräumte spräche für eine ebenso geordnete Psyche. Was ihnen zu einer gähnend leeren Kammer einfällt, ist nicht verbürgt. Vielleicht haben sie auch alle nur zu lange Tetris gespielt.
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