Bei den Hexen

21 04 2015

„Die Frau Ministerialdirektorin wird sofort für Sie Zeit haben.“ Freundlich wies mir Abraxa das Sofa an; es murrte ein wenig, als ich mich auf ihm niederließ, und die Beine ruckelten nervös hin und her, aber schließlich gab es Ruhe. Der schwarze Kater auf dem glühenden Schemel hatte mich gar nicht bemerkt. Tief und fest schlief er. Da klappte aus dem Schreibtisch eine silberne Stange hoch, auf der ein Rabe hockte. „Frau Ministerialdirektorin lässt bitten“, schnarrte er. „Lässt bitten!“

Jadwiga Zwackelbein kratzte sich umständlich an der Nase. „Dieses Fräulein Abraxa“, knurrte sie, „hat Ihnen wieder nicht den aktuellen Jahresbericht zugeschickt. Nur ein paar Tage bis Walpurgis, und sie wird wieder völlig nervös, weil sie nichts als Tanzen im Kopf hat, dieses junge Ding!“ Sie seufzte. „Man müsste noch einmal hundertdreißig sein.“ Ich lächelte. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin ja im Bilde über Ihre Situation. Wollen wir sehen, dass wir die Leser für mehr öffentliches Interesse an Ihrer Zunft gewinnen.“ Jadwiga sah mich schief an, mit einem wehmütigen Lächeln. „Sie machen sich keine Vorstellung“, antwortete sie dumpf, „was hier verbandsintern besprochen wird – es ist zum Wegfliegen! Wenn das alles an die Öffentlichkeit käme, meine Güte!“ Der Lobbyismus hatte ihr schwer zugesetzt, die Gewerbeordnung schien durcheinander zu geraten. „Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich habe nichts gegen die Kolleginnen aus den ausländischen Verbänden – gut die Hälfte von uns ist schließlich auch zugewandert oder hat längere Zeit außerhalb unseres Verbandes gearbeitet. Die großen Aufträge, schlechte Winde, das Vieh erschrecken, Klosterbrüdern Blähungen und schlimme Träume machen, das ist ohne internationales Management gar nicht mehr möglich. Teilweise greifen die Innungen schon zu Zeitarbeit, aber selbst das dämmt den Fachkräftemangel nicht ein.“ In der Glaskugel hopsten die Lottozahlen der kommenden Woche vorbei. „Das Problem sind die vielen Kräfte, die uns vermittelt werden – zwei Semester Aufbaustudium Kräuterkunde, Abschluss an der Gesine-Schwan-Universität für Homöopathie, das ist doch wohl nicht etwa ernst gemeint!?“ Die Ministerialdirektorin war entrüstet.

„Und dann haben wir noch das hier.“ Jadwiga reichte mir wortlos ein Papier herüber. „Sie wollen ein Tarifanpassungsgesetz?“ „Wir müssen uns nun mal gemäß den Zunftgesetzen organisieren“, erklärte sie, „das beinhaltet schon seit Generationen eine Gebührenordnung. Aber kaum haben wir eine slowakische oder nigerianische Innung, die aus naheliegenden Gründen die Leistungen billiger anbieten – Sie können googeln, was ein Flugbesen in Bratislava kostet, und da sind die Ersatzteile schon drin – da wollen die Parteien, dass wir auch zu dem Preis arbeiten, damit die deutsche Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Hat man denn das schon gesehen?“

Ich traute mich kaum, die Qualifikationen der ausländischen Kolleginnen zur Sprache zu bringen. „Da kann ich nicht klagen“, befand Jadwiga Zwackelbein. „Sie sind allgemein konventioneller ausgebildet, aber das muss ja nichts bedeuten. Für die meisten Routinejobs reicht das aus. Mal eine konzertierte Aktion im Elektroschaltkreis der Autobahnmautsysteme, ab und zu Brechreiz unter den Kunden eines neuen Restaurants, das trotz Spitzenbewertungen Gammelfleisch serviert, das müsste im Prinzip auch eine Novizin hinkriegen. Wenn nur diese deutsche Beschäftigungssituation nicht wäre!“

Die Behörden nahmen ihr Berufsbild offenbar nicht ernst. „Diese Idioten halten uns für eine Art Kirmeswahrsagerinnen“, ereiferte sich Jadwiga. „Standesrechtlich ist ein großer Liebeszauber mit Wetterleuchten für sie eine Art Voodoo, nur können wir im Gegensatz zu Voodoopriestern nicht einmal die Nadeln von der Steuer absetzen. Dazu kommt, dass sie uns sogar die Berufshaftpflichtversicherung streichen wollen. Meinen Sie, dass dann noch jemand freiwillig auf einen Besen steigt?“ „Aber dafür muss es doch einen Grund geben“, fragte ich ungläubig. „Sie zweifeln natürlich an der Notwendigkeit“, antwortete sie grimmig. „Sie haben die Stirn, uns für Scharlatane zu halten, die gar keine echte Dienstleistung erbringen – und das von einer Regierung, in der Leute sitzen, die mit Stromschlägen Homosexualität heilen wollen und fest daran glauben, dass ein alter Mann die Welt in sechs Tagen erschaffen hat!“ Die Ministerialdirektorin war gar nicht mehr zu bremsen. „Da haben sie sich aber in den Finger geschnitten“, rief sie, „wir haben jedenfalls ein Gutachten eingereicht von der Muhme Krötenpelz – Krötenpelz Donnerschlag und Collegen, kennen Sie? – und werden das durchfechten. Denn besteuert werden wir nur aufgrund der Tatsache, dass im Malleus Maleficarum unsere Existenz mit damals gültigen wissenschaftlichen Mitteln bewiesen wird.“ „Es muss Sie also geben“, schloss ich messerscharf, „und Sie werden diesen Prozess ganz sicher gewinnen.“ Sie blieb skeptisch. „Und wenn Sie ein wenig nachhelfen“, fügte ich an, „vielleicht können Sie ja nachhelfen, dass diese Regierung mit etwas mehr Vernunft…“ Da riss Jadwiga die Augen auf. „Ich kann zwar hexen“, gab sie zurück, „aber das geht dann doch zu weit!“


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