Bürgernahe Dienstleistungen

5 05 2015

„Warten Sie eben mal?“ Sieffelkötter schnirkste mit den Fingern. IM Schneewittchen reckte sich aus und reichte ihm den Aktenordner. „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich. Sie können den Firmenparkplatz jetzt nutzen, die Konkurrentin verzichtet darauf.“ Er legte den Hörer auf und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. „Das machen Sie mal den ganzen Tag lang“, stöhnte Sieffelkötter. „Dann bereuen Sie aber, dass Sie beim Geheimdienst arbeiten!“

Hatte ich mich etwa verirrt? War dies am Ende nur ein Call-Center wie so viel andere auch, wo den unschuldigen Bürgern, die man belästigte, viel unnützes Zeugs erzählt wurde? „Schön wär’s ja“, knurrte Sieffelkötter. „Aber unser Minister vom Fach, der sich mit allem besser auskennt als mit seinen eigenen Dienstobliegenheiten, der hat uns dann zu diesem Service verurteilt, ganz nach der Melodie: wenn wir schon nichts Sinnvolles tun, dann soll es dem Bürger wenigstens nützen.“ Die Telefone klingelten unablässig; Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses höchst geheimen Dienstes sprachen wasserfallartig in ihre Hörer, was sie mit zusammengekniffenen Augen von den viel zu kleinen Bildschirmen ablasen. Zudem wurde ja ein Großteil des Datenbestandteils noch immer in Handakten geführt. „Momentchen“, unterbrach mich Sieffelkötter. „Ich kriege gerade einen – Hallo, Frau Öztürk! Selbstverständlich können wir Ihnen weiterhelfen. Ihr Mann hat den Schlüssel diesmal in die Couchritze rutschen lassen. Aber gerne doch, Frau Öztürk. Keine Ursache!“

Das also waren diese bürgernahen Dienstleistungen, die das Innenministerium seit Tagen und Wochen angepriesen hatte. „Sie müssen sich jetzt nicht blenden lassen“, sagte Sieffelkötter mit einem Unterton, der einen ebenmerklichen Sarkasmus zumindest hätte erahnen lassen können. „Dieses Programm beruht nur auf der Ähnlichkeit der Abkürzungen. Seit wann würde eine Behörde sich für den Souverän einsetzen?“ Ich wusste es auch nicht. „Da sehen Sie es. Wir hören nun nicht mehr nur die Bevölkerung ab, wir müssen den ganzen Krempel auch zeitnah bereitstellen, weil wir ja schließlich von Steuergeldern bezahlt werden.“ „Sie meinen“, fragte ich, „der BND muss nun ganz gegen seinen Willen einmal nicht gegen das Volk arbeiten?“ Sein Gesicht säuerte sich ein, und das war Antwort genug.

Unterdessen war die Informationsflut ungehemmt über seine Abteilung hinweggerollt. „Wenn Sie um 12:35 Uhr den Zug in Richtung Heusendorf-Süd verpassen, ist geplant, dass ein Einsatzzug um 12:45 Uhr ab Haltepunkt Kantstraße fährt.“ Der Bahnstreik war offensichtlich längst von nationalem Interesse. „Wir haben ja alle Zugriffe auf alle Kanäle“, erläuterte Sieffelkötter. „Also müssen wir auch alle Informationen, die wir erhalten, den Bürgerinnen und Bürgern wieder zur Verfügung stellen.“ Eine längere Diskussion über die rechtliche Handhabe gegenüber einem Mieter, der wegen sorgfältig klein geschnittener Wurstverpackungen in den Verdacht geraten war, sich mit islamistischem Terror zu beschäftigen, überhörte ich. Der Verfassungsschutz hatte die Beobachtung ja auch schon nach wenigen Jahren wieder eingestellt.

„Die Schwierigkeiten beginnen natürlich da, wo wir zur politischen Neutralität verpflichtet sind.“ Er wand sich ein bisschen und blätterte schließlich wie zufällig eine Akte auf. „Wirtschaftsspionage in deutschen Unternehmen ist für uns ja vertraglich immer bindend gewesen, aber wir haben natürlich auch die Geheimnisse unserer transatlantischen Partner aufgefangen.“ Da stand nun also schwarz auf weiß, was wirklich in die Boulettenbrötchen kam, die an jeder Straßenecke zu kaufen waren. Ich unterdrückte den Brechreiz und klappte den Deckel sofort wieder zu.

Ein Oberstudienrat aus dem Hunsrück interessierte sich dafür, was seine Tochter in den Abendstunden so trieb. „Immerhin studiert sie seit vier Jahren Deutsch und Geschichte auf Lehramt“, wandte ich ein, „und sie wohnt in Darmstadt. Müssen Sie das unterstützen?“ Sieffelkötter wackelte unschlüssig mit dem Kopf „Auf der anderen Seite müssen Sie es so sehen: wenn wir das auf dem kleinen Dienstweg erledigen, wird er seine Kollegen nicht davon überzeugen, dass er die Informationen über die Vorratsdatenspeicherung bekommen muss. Er ist übrigens Amtsrichter, und er hat ein kleinen Problem.“ Er hüstelte. „Er mag keine Hessen. Kann man tolerieren, oder?“

Dann aber kam es. „Schon wieder“, stöhnte er. Sieffelkötter presste den Hörer nervös an sein Ohr. Er kam gar nicht erst zur Wort. „Alle drei Tage“, raunte IM Schneewittchen, und der Mitarbeiter mit dem karierten Schlapphut nickte vielsagend. „Man kann bald die Uhr danach stellen.“ Sieffelkötter krümmte sich auf seinem Stuhl. Er litt. Schon griff er hastig nach dem roten Knopf auf dem Schreibtisch. „Ein SPD-Kreisverband aus Nordrhein-Westfalen“, erzählte Schlapphut. „Ein größerer. Regelmäßig wollen sie wissen, wozu Andrea Nahles in dieser Regierung sitzt.“ Sieffelkötter schluchzte auf. „Wir sind der Geheimdienst, aber wir wissen doch nicht alles!“


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