05:44 – Der Vizekanzler schreckt hoch. Hatte er vergessen, den Wecker zu stellen? Er wartet nicht auf den Ton der Signaluhr, sondern stürmt sofort in die Küche, um die Kaffeemaschine anzustellen.
05:45 – Enervierendes Fiepen vom Nachttisch lässt keinen Zweifel: Gabriel hatte nicht vergessen, den Wecker anzustellen. Er hat nur vergessen, ihn auszustellen.
05:47 – Das Zähneputzen geht heute ein bisschen langsamer, denn der Wirtschaftsminister hatte wieder einmal nicht daran gedacht, die elektrische Bürste am Vortag auszuknipsen. Die Batterien sind neu, nur der Saft ist weg. Irgendetwas lässt ihn an seine Partei denken, ihm ist nur gerade entfallen, was das ist.
06:01 – Jetzt fällt ihm wieder ein, warum seit drei Minuten Sturm geklingelt wird: Gabriel muss ins Ministerium, obwohl Montag ist. Immer diese unvorhergesehenen Ereignisse.
06:03 – Die junge Dame mit dem Kleinwagen fühlt sich unangenehm berührt, als der Parteivorsitzende sich hin plötzlich neben sie quetscht. Minuten später fällt ihm wieder ein, dass er seinen eigenen Dienstwagen hat, der direkt vor seiner Haustür steht.
06:29 – Auf dem Weg ins Kanzleramt poltert Gabriel ins Autotelefon, dass er die Atommüllkonzerne sofort dem Erdboden gleichmachen werde, wenn sie nicht sofort hüpfen wollen. Zeitnah fällt ihm ein, dass sein Fahrer ihn zuvor von einem schweren Defekt der Fernsprechanlage unterrichtet hatte. Er telefoniert aus persönlichen Gründen für den Rest der Fahrt mit dem Papst, Prinzessin Lillifee und Angela Merkel.
07:04 – Gabriel marschiert im Stechschritt ins Kanzleramt ein. Sein Fahrer geleitet ihn mit freundlichen Worten wieder zum Auto.
07:32 – Der Vize erscheint gerade noch pünktlich, um sein Grußwort bei der nigerianischen Wirtschaftsdelegation zu verlesen. „Sehr geehrte Damen“, beginnt er, „sehr geehrte Herren, lieber Neger.“
08:13 – Die Einladung der ostdeutschen Landsleute, wieder einmal im herzlichen Einvernehmen über die Entwicklung der deutschen Gesellschaft zu diskutieren, kommt etwas plötzlich. Der Vorsitzende erinnert sich überhaupt nicht, je eine Gruppierung wie PEGIDA gesehen oder gehört zu haben.
08:48 – Die DAX-Vorstände schicken Gabriel ein Fax: mit dem Mindestlohn drohe Deutschland bereits in den kommenden Tagen der Ruin. Fünf minderjährige Prostituierte aus Vietnam seien für einen Vorstandsvorsitzenden noch bezahlbar, daneben ein Lamborghini und ein Zentner Kokain, dann müsse er wieder eine ganze Stunde lang auf seine Kohle warten. Der Sozialdemokrat kann sich nicht erinnern, den Proletarierschweinen je so etwas wie Geld versprochen zu haben.
09:23 – In der Post kommt Gabriels aktueller Rentenbescheid. Gut, dass er mit gezielter Parteiführung dafür Sorge getragen hat, nicht bis 63 erwerbstätig sein zu können.
09:40 – Probeaufnahmen für den wöchentlichen BILD-Artikel. Die Fotografin geht enttäuscht aus dem Ministerbüro. Gabriel hat wieder einmal vergessen, sich 18 auf die Schuhsohlen zu kleben.
10:22 – Den Wirtschaftsminister quält ein unangenehmes Gefühl beim Sitzen. Nach dem Urteil der eilig einberufenen Expertenkommission leidet er unter Rückgrat. Mehrere erfahrene Genossen klopfen ihm aufmunternd auf die Schulter. Sie sagen ihm, in der guten alten SPD gehe das irgendwann von selbst wieder weg.
10:59 – In seinem Veranstaltungskalender entdeckt Gabriel eine Feierstunde der Bundespartei. Er schreit seinen Referenten an, weil der ihm keine Festrede geschrieben hat. Der Referent macht ihn darauf aufmerksam, dass es sich um eine Veranstaltung im Konrad-Adenauer-Haus handelt. Gabriel feuert den Referenten.
11:05 – Endlich erreicht Merkels Stellvertreter jemanden im Kanzleramt. Er fragt, ob er den Herrn Bundeskanzler sprechen könne. Herr Schröder, teilt ihm die Telefonstimme leicht irritiert fest, sei schon länger nicht mehr im Haus gesehen worden. Gabriel legt frustriert auf. Nicht einmal seinen Namen können sich diese Leute merken.
11:24 – Pressevertreter erkundigen sich nach dem Stand der Finanzkrise in Griechenland. Der Wirtschaftsminister bittet um ein kurzes Update seit 2005. Er ist dann wieder im Bild und überlegt sofort, ob man der griechischen Regierung nicht einen Kredit geben könnte.
12:02 – Die neue Arbeitsmarktstatistik trifft ein. Angesichts der immer weiter steigenden Zahl der Arbeitnehmer in untypischen Beschäftigungen beschließt Gabriel, der CDU eine Nachricht zu schreiben, in der er sie für die unmenschlichen Arbeitsmarktreformen während der Koalition mit der FDP zur Rede stellen will.
12:40 – Der Fachkräftemangel ist auch in der Reinigungsbranche angekommen. Gabriel überfliegt kurz die Zahlen und teilt der Arbeitsministerin per Fax mit, dass dies Problem mit der Vorratsdatenspeicherung schon längst gelöst worden wäre.
12:43 – Zufällig anwesende Journalisten werden gedrängt, auf dem Gehweg vor dem Ministerium zu warten, bis der Vizekanzler das Haus verlässt und grußlos an ihnen vorbei schreitet. Er ist jetzt in einigen Nachrichtensendungen, vorausgesetzt, Lettland und Vanuatu zeigen Sigmar Gabriel.
12:59 – In Hessen hat es in einem Chemiewerke eine leichte Explosion gegeben. Nach Rücksprache mit dem Justizminister ist Gabriel der Ansicht, dass ein Terroranschlag nicht ausgeschlossen werden kann.
13:07 – Laut hessischer Landespolizei hat es sich bei der Explosion lediglich um den Zusammenstoß zweier leerer Kesselwagen gehandelt, es entstand nur leichter Blechschaden. Eine konkrete Gefährdung der Bevölkerung bestand zu keinem Zeitpunkt. Auf die Rückfrage der Kanzlerin, wer die Geschichte mit dem Terroranschlag in die Welt gesetzt hat, lässt Gabriel aus Überzeugung dem Kollegen Maas den Vortritt.
13:50 – Immer mehr Akademiker müssen nach ihrem Hochschulabschluss in fachfremden Berufen arbeiten. Um sich auf die nächste Generaldebatte im Deutschen Bundestag vorzubereiten schreibt der Wirtschaftsminister eine Rede, in der er die zu schnelle Umsetzung von TTIP für dieses Problem verantwortlich macht.
14:01 – Tief betroffen nimmt der große Arbeiterführer teil an einer Mahnwache für die Opfer der Spitzensteuersätze. In einem sehr intimen Moment beschließt er, diese Schmach an den Leistungsträgern mit noch mehr Ausnahmen beim Mindestlohn zu tilgen.
14:43 – Gabriel ist der Ansicht, laut Maas müsse sich auf jeden Fall um eine islamistische Drohne gehandelt haben, schon des Knalls wegen. Er meint dabei ausnahmsweise nicht seinen.
15:22 – Eine Einladung national gesinnter Dresdner zum gemeinsamen Spaziergang muss Gabriel aus Zeitgründen verschieben. Um das Interview mit BILD schnellstmöglich nachzuholen, empfiehlt er, den Genossen Sarrazin als Gastredner zu empfangen.
15:39 – Die Ergebnisse der letzten Sonntagsfrage sind da. Die SPD verliert in einigen Großstädten erdrutschartig und büßt in den Flächenstaaten bis zu zwei Drittel ihrer Stimmen ein. Der Vorsitzende frohlockt: mit der Union hat seine Partei immer noch eine absolute Mehrheit.
15:58 – Gabriel fordert die Regierung auf, mehr für die Flüchtlinge aus Afrika zu unternehmen. Auf den Hinweis seiner Bürokraft, dass er als Vizekanzler in der Regierung sitzen würde, um die angemahnten Maßnahmen selbst umsetzen, führt zu einen längeren Tobsuchtsanfall. Danach beruhigt sich der Vizekanzler, da er sich nicht mehr an den Anlass erinnert.
16:16 – Der Bundesparteitag will geplant werden. Gabriel fragt zur Sicherheit vorher, um welchen es sich handelt.
16:49 – Die Dresdner weisen das Ansinnen der Sozialdemokaten entschieden zurück, da Sarrazin ihrer Ansicht nach politisch extreme Äußerungen tätigen würde. Gabriel ist empört. Als Kommunisten würde er seinen alten Parteifreund nie bezeichnen.
17:10 – Im Gespräch mit der Generalsekretärin stellt Gabriel fest, dass den Sozialdemokraten die Regierungsfähigkeit rapide verlustig geht. Ihn stört das nicht, es kommt ihm höchstens auf Mitregierungsfähigkeit an, da er sonst den eigenen Müll dieser Legislaturperiode beseitigen müsste.
18:20 – Bei der Neueröffnung eines Berliner Fünf-Sterne-Hotels hält Gabriel eine kleine Rede, in der er die Bedeutung der Wirtschaftselite für die Globalisierung des Finanzkapitals herausstreicht. Daneben nimmt er einen kleinen Imbiss ein, ein halbes Spanferkel mit gemischtem Salat. Die von ihm angestrebte Summe an Nebeneinkünften für diesen Tag ist damit erreicht.
18:55 – Gabriels Fahrer erhält einen Strafzettel für mehrmaliges Überfahren roter Ampeln. Er behauptet, er habe dies zwar aus eigener, freier Entscheidung so getan, sei aber dennoch dem Parteivorsitzenden gefolgt. Der Parteivorsitzende steckt das Ticket zu den anderen, die er am Ende der Woche Heiko Maas auf den Schreibtisch legen lässt.
19:25 – Nochmals ermahnt Gabriel die Regierung, ihre Regierungsfähigkeit nicht aufs Spiel zu setzen. Sollte die Bundesregierung nicht wie vorgesehen regieren, droht er mit seinem sofortigen Rücktritt und anschließenden Neuwahlen.
19:26 – Merkel schickt eine SMS: „Mach doch!“
20:12 – Der BILD-Artikel kommt zum Probelesen. Foto und Text sind aufgemacht, als würde ein krakeelender AfD-Funktionär rechtspopulistischen Unfug absondern. Gabriel ist sehr zufrieden mit sich.
21:00 – Der Wirtschaftsminister warnt noch einmal eindrücklich vor der Einführung des Euro und besteigt dann seinen Dienstwagen.
21:35 – Der Fahrer von Gabriels Auto wird nochmals angehalten, da aus dem Kofferraum eine Hand ragt. Das Strafmandat geht als Serviceleistung der Berliner Polizei unmittelbar ins Bundesjustizministerium.
22:21 – Vor dem Schlafengehen prägt sich Sigmar Gabriel noch schnell seinen eigenen Wikipedia-Eintrag ein. Die flüchtige Kontrolle im Spiegel legt nahe, dass er doch nicht Markus Söder ist. Verwirrt steigt er ins Bett, grübelt noch ein bisschen und vergisst dann, warum er dort liegt. Darüber schläft er ein.
Satzspiegel