Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXC): Voodoofutter

5 06 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war ja Steinzeit, und die war auch so. Ab und zu knurpselte sich der grunzende Gauch eine Handvoll Kerbtiere rein, und dann war wieder für ein paar Tage Schluss mit Fleischverzehr. Fettige Flechten, müffeliges Moos oder Kräutchen mit dem Aroma von Hirschurin und schlecht gelüftetem Biberbau bestimmten seinen Speiseplan. Wie gut, dass Ngrr ab und zu mal einem Mammut eins über die Rübe geben konnte, sonst wäre sein Stamm nie in den Genuss ausreichender Proteine gekommen und hätte bis übermorgen auf den letzten Kronen der Affenbrotbäume ausgeharrt, bis die anderen Hominiden die Steppe für eine Maismonokultur roden, weil ein Futtermittelkonzern noch eine Milliarde Afrikaner krepieren lassen muss, um für eine kleine Portion Menschenmüll die Renditen zu steigern. So aß der Höhlenmensch, und bis auf die Ernährung hat sich seither nicht viel getan.

Leider war die Steinzeit früher, und die heutigen Kalorienverbraucher unterscheiden sich eklatant vom damaligen Hominidendurchschnitt. Sie gingen seltener sitzenden Tätigkeiten nach, litten kaum unter Bluthochdruck oder Diabetes, dafür hatten sie auch nicht alle einen an der Marmel, was die Ernährung anging. Die Vorfahren zwirbelten sich hinters Zäpfchen, was satt machte, und stopften sich mangels Masse nicht den Rand mit Fett und Zucker voll, bis der Medizinmann einen Wutanfall bekam. Der Neoneandertaliban jedoch setzt auf die Kraft der magischen Gedanken: was damals zu einem derartigen Entwicklungsschub geführt habe, sei auch heute unbedingt notwendig, um als Mitglied einer stressgeplagten Gesellschaft im Dauerfeuer zu überstehen. Tragisch nur, dass die Steinzeit so lange dauerte, der Konjunkturzyklus eines durchschnittlichen Ingenieurs oder Sozialpädagogen so kurz ist. So viel Evolution kriegt auch ein fleißiger Biochemiker nicht in seine hochgepushte Biografie eingeflochten.

Denn das ganze Essgefasel ist ja nichts anderes als magisches Denken: naturbelassene Kräuter machen natürlich, Steaks von wilden Stieren machen wild – Ochsenfleisch ist außer Konkurrenz – und die Körnerkaufraktion glaubt noch immer fest daran, dass der Weltfrieden kommt, wenn nur alle Menschen simultan an ihrem Dinkelpomps lutschen, die Fresse nicht mehr aufkriegen und vor lauter Brechreiz ihre politischen Differenzen an der Biegung der Küchenspüle entsorgen.

Das Voodoofutter der Saison ist dabei durchaus Schwankungen unterworfen, will sagen: die neueste Erkenntnis ist sowieso immer die beste, und es interessiert eigentlich nie, ob amerikanische Wissenschaftler schlimme Sachen über Spinat herausgefunden haben oder der Hering im Preis leicht anzieht, die Masse der geistig unkompliziert Strukturierten möchte ein hippes Fresserlebnis, das ihn zum Trendsetter macht und zugleich ein Stück näher an die Unsterblichkeit bringt, die jeder Hedonist mit quasireligiöser Verehrung ansieht, weil sie ihn über das Heer der anderen Bekloppten hinweg höbe. So rammt sich der Trendtrüffler Spargel und Low Carb in die Stoma, praktiziert Trennkost, lebt bis zum Leberschaden vegan und wird irgendwann unter der Brücke gefunden, die Schnauze weiträumig verschwiemelt mit Vollmilchschokolade in Krankenhausmengen. Denn alle Lust will Ewigkeit.

Zwei Umstände machen das aus vorgekautem Grünkohl und gärendem Bananenrest gepanschte Schmuhsi noch attraktiver für die Grützbirnen: ein beliebig minderbegabter Promi muss das Zeug große Klasse finden (und sich dank der Plempe endlich frei fühlen von eingewachsenen Fußnägeln, Minderwertigkeitsgefühlen und Gicht), und es muss als Fertigprodukt noch ordentlich Kohle kosten, weil es sonst ja nichts wert ist. Der Matschpamp aus overnight in Rentierseich eingeweichten Haferflocken (glutenfrei!) wird also zwangsläufig in die Klasse der religiösen Erweckungserlebnisse hineinragen, denn warum sonst sollte ein Körper, der ansonsten alle paar Tage gedetoxt und entgiftet wird, mit diesem Glibber ins Reich des Erbrechens hinabsteigen? Es geht hier um Auferstehung, jawoll, und welcher Kochlöffelschwinger ließe sich die Chance entgehen, ein paar Knalltüten mehr hinter den heimischen Herd zu locken?

Zum Nahrungstabu tritt das Totem, zuckerfreie Kohlsuppe mit Glyx oder metabolische Schonkost, mit der man sich Hirntumore wegmampft und in Heidis Klumpfußparade reihert. Eine essbare Religion, ein Abendmahl im Snackformat entsteht, eins ums andere, und es ist für die Entwicklung unserer Zivilisation so tröstlich, dass die also gepriesenen Vorfahren allem zum Trotz schon mit dreißig das Steinzeitliche gesegnet haben. Was die heutigen Ernährungsschwurbler gerne nachmachen dürfen.