Wissen ist macht nichts

11 06 2015

„Aber handwerkliche Fähigkeiten müssen unbedingt rein.“ „Wir haben das als Schulfach, Kollege.“ „Ich weiß, aber die Bildungsministerin will es unbedingt.“ „Die ist ja auch Mathematikerin und hält die Realität für eine Art Paralleluniversum, in dem sie Gastauftritte absolvieren kann.“

„Fakt ist, die Bundesbildungsministerin will Alltagswissen als neues Schulfach.“ „Mit prüfungsrelevanten Fragen?“ „Nein, aber…“ „Dann will unsere tapfere Parteisoldatin nur mal Sondermüll unter sich lassen, damit sie laut genug für die Boulevardmedien wird?“ „Das haben Sie gesagt.“ „Das habe ich gesagt. Aus Gründen.“ „Vielleicht ist sie auch nur sehr besorgt, wie sich die Jugend von heute auf dem Arbeitsmarkt behaupten kann.“ „Deshalb ist es ihr auch egal, ob sich die Jugend von heute überhaupt benehmen kann. Das lehnt sie ja in der schulischen Ausbildung vehement ab.“ „Aus gutem Grund. Wenn man sich halbwegs zivilisiert gebärdet und die Klappe hält, wenn man nichts zu sagen hat, wird man schließlich nie Ministerin, schon gar nicht in dieser Partei.“
„Unsere heilige Johanna der Schulhöfe denkt etwa an Fallen in Handyverträgen.“ „Das ist sehr vernünftig: lassen Sie die Jugendlichen auswandern.“ „Weil Deutschland ein digitales Entwicklungsland ist?“ „Sie werden ja vornehmlich dann über den Tisch gezogen, wenn Sie in einem Land telefonieren müssen, wo sie das Fünfzigfache des üblichen Preises für ein Datenvolumen zahlen.“ „Sehr gut, das werden die Jugendlichen bestimmt auch ohne ein juristisches Staatsexamen lösen können.“ „Warten Sie ab, bis TTIP kommt, dann können Sie sich ihr rechtsstaatlich orientiertes Jura-Studium in den…“ „Können Sie jetzt schon. Nur weiß das Wanka nicht.“ „Sie ist halt in Deutschland zur Schule gegangen.“

„Die Jugendlichen kennen sich ja auch mit Steuern und Rente gar nicht mehr aus.“ „Was auch besser so ist. Sobald sie wissen, wie das mit der Rente funktioniert, sind sie doch für jede Erwerbsarbeit schon so gut wie verloren.“ „Dann ist das mit der Gedichtanalyse in vier Sprachen vielleicht gar nicht so verkehrt.“ „Da kann man wenigstens auswandern, bekommt Handyverträge, bei denen man die Fallen nicht so teuer bezahlt, und hat sogar Chancen auf eine anständige Rente.“ „Und erwirbt nebenbei sogar handwerkliche Fähigkeiten.“ „Wenn Sie ständig Ikea-Regale in fremden Ländern aufbauen müssen, kommt das irgendwann ganz zwangsläufig.“

„Vermutlich ist das auch nur ein Trick, die Drittmittelfinanzierung anzukurbeln.“ „Sie meinen, Ikea sponsert den Werkunterricht dann direkt?“ „Für die Handyverträge sollte sich sicher auch ein Partner finden lassen, und wenn Sie die Versicherungskonzerne erstmal in die Schulen reinlassen, dann verstehen die Schüler das auch mit der Rente.“

„Jetzt wäre auch noch nach der Fachkompetenz zu fragen.“ „Was bei einer Ministerin erwartungsgemäß zu lustigen Ergebnissen führt.“ „Nein, ernsthaft: wird einem dann der Handyvertrag in Mathematik beigebracht oder in Sozialkunde?“ „Schwierig. Religionsunterricht ist ja freiwillig.“ „Sonst bräuchte man für diesen Alltagsunterricht auch noch neue Lehrer.“ „Schwierig, Wanka hat ja die alten noch nicht mal aufgebraucht.“ „Und dann müsste noch eruiert werden, welche Ausbildung die Kollegen durchlaufen haben müssen, um das neue Fach unterrichten zu dürfen.“ „Vielleicht greift man auf nichtakademisches Lehrpersonal zurück?“ „Also das nächste JobCenter?“ „Denkbar. Pro Schule ein Arbeitsloser, bei dem es für den Einsatz in der Pflege nicht gereicht hat.“ „Gute Idee. Der kann dann auch gleich die Ikea-Regale im Lehrerzimmer mit aufbauen helfen.“

„Man müsste diesen Ansatz nur konsequent genug zu Ende denken.“ „Stimmt, dann können wir irgendwann Goethe und die Geografie an den Nagel hängen, weil Handy und Hämmern angesagt ist.“ „Und wir machen das Abitur dann in Fahrradreparatur und Kochen.“ „Nur, was wollen Sie mit so einem Abitur denn dann noch anfangen? Das qualifiziert Sie doch gar nicht mehr ausreichend.“ „Aber klar doch – wenn Sie mal arbeitslos werden, und damit werden Sie es ganz sicher irgendwann, können Sie wenigstens Ikea-Regale aufbauen.“ „Vielleicht sogar als Hilfskraft an einer deutschen Schule.“ „Und das ganz ohne Studium.“ „Finde ich prima. Da lernt man dann nicht mehr nur für die Schule, sondern endlich auch mal fürs Leben.“ „Und zur Not, wenn Sie das mit dem Leben auch nicht so ganz auf die Reihe gekriegt haben, können Sie immer noch Bundesbildungsministerin werden.“

„À propos Bundesministerin, Bildung ist in Deutschland doch Ländersache?“ „Natürlich.“ „Also ist diese Ministerin gar nicht zuständig für den Unterricht, weil die Länder die Lehrpläne selbst machen.“ „Absolut richtig.“ „Dann ist das auch wieder nur Heißluft, was diese offenbar mit Ausatmen intellektuell überforderte Sprechpuppe da von sich gibt?“ „Immerhin macht sie es nicht in vier Sprachen.“ „Glück gehabt.“ „Wieso?“ „Mir schwant nämlich schon Übles, wenn ich mir ausmale, wie dieses neue Schulfach geheißen hätte.“ „Worauf tippen Sie?“ „Staatsbürgerkunde.“