Kopfgefühle

15 07 2015

„Jetzt machen Sie hier mal nicht so eine Welle. Die Bundeskanzlerin hat für Sie eine halbe Stunde, und wenn es Ihnen nicht passt, haben wir überall in Sichtweite Türen eingebaut. Also setzen Sie sich da hin, lesen Sie das vor, und halten Sie die Klappe. Sie wären nicht der erste.

Behalten Sie ruhig Ihre Mütze auf, die Kanzlerin wird sich Ihretwegen auch nicht gerade in Schale werfen. Sie sind halt so eine lustige Figur und dürfen hier mal dreißig Minuten lang hampeln, das regt hier keinen auf, weil es auch niemanden interessiert. Solange Sie sich an die Hausordnung halten, dürfen Sie tun, was Sie wollen. Die Hausordnung? Da steht drin, dass Sie zu tun und zu lassen haben, was wir wollen. Aber Sie dürfen das natürlich gerne übernehmen.

Sie müssen nicht unbedingt so tun, als hätten Sie ein total neues Konzept. Sie haben nämlich keins. Wir haben auch keins. Und deshalb werden Sie Ihre Fragen stellen, und dann ist gut. Antworten? wieso Antworten? Sie sind hier bei der Bundeskanzlerin. Sie können nicht ein Interview mit der Bundeskanzlerin machen und dann auch noch Antworten verlangen. Wie stellen Sie sich das vor? Sie bekommen Bürgerdialog. Die Kanzlerin stellt sich dem Selbstgespräch, und der Bürger darf dabei zuhören. Wenn Sie unfreiwillige Komik haben wollen, dann mieten Sie doch den Regierungssprecher. Der Mann ist viel billiger, als Sie ahnen.

Kann ich mal sehen? Also das mit dem Atomausstieg geht ja gar nicht, das lassen wir weg, und dann dies hier zur Ukraine, die meisten Zuschauer haben da eh keinen Durchblick, warum, die sehen halt auch immer nur Interviews mit Merkel, und da lernt man eben nichts über Politik. Also lassen Sie doch den ganzen Kram da von vornherein weg, umso weniger müssen wir hinterher wieder rausschneiden. Und so eine halbe Stunde kann auch in wenigen Augenblicken plötzlich vorbei sein.

Aber klar können Sie hier neue journalistische Maßstäbe setzen. Gehen Sie dahin, wo es so richtig wehtut. Sie können die Kanzlerin ja mal fragen, warum sie in ihrem Alter immer noch Ski läuft und ob sie keine Angst hat, sich noch mal den Hintern zu brechen.

Keine privaten Fragen ansonsten, das ist hier ein ernsthaftes Medienformat. Wenn Sie mit Johannisbeertorte anfangen, brechen wir sofort ab. Immerhin muss sich das die ganze CDU anhören, der hängt das sowieso schon zum Hals raus. Die politischen Fragen sind gerade noch verkraftbar, da schalten die meisten ab oder haben ohnehin keine eigene Meinung, aber Menschlichkeitsduselei – das passt einfach nicht in die Partei rein, das werden Sie verstehen. Und in die Bundesregierung eh nicht.

Und passen Sie sich doch bitte den neuen rhetorischen Mustern an. Das heißt nicht: ‚Sind Sie eigentlich zufrieden mit dem Ausgang der Demontage der griechischen Gesellschaft?‘, sondern: ‚Wie zufrieden sind Sie damit?‘ Das werden Sie in jedem Politmagazin hören, das macht man heute so. Wir haben es den Journalisten über Jahre hinweg anerzogen, und endlich spuren sie. Schließlich sollten Sie immer wissen, dass Sie etwas von uns wollen. Nicht Sie geben uns ein Interview, sondern wir Ihnen.

Dann üben wir die Frageformulierung gleich noch einmal, ja? ‚Wie sehr vertrauen Sie Wolfgang Schäuble bei der Rettung deutscher Großaktionäre durch Hilfsgelder für Griechenland?‘ Sehr gut, gleich noch einer. ‚Wie sicher sind Sie sich, dass Sie die Verschlechterung des deutsch-französischen Verhältnisses ignorieren werden?‘ Wunderbar, und noch einen. ‚Wie egal sind Ihnen eigentlich die deutschen Wählerinnen und Wähler?‘ Glänzende Ausdrucksweise, ich kann schon hören, wie die Kanzlerin auf jede Frage ganz ausführlich nicht antwortet.

Haken Sie nach, aber bitte auch ganz thematisch konzentriert. ‚Hmja‘ ist beispielsweise ganz okay, und vielleicht könnten Sie ein- bis zweimal ‚Hmja, Frau Bundeskanzlerin‘ versuchen. Als Überleitung auf die nächste Frage, die sie an sich abprallen lässt. Und vor allem, keinen Widerspruch. Wenn sie zu Ihnen sagt, dass der Mond aus grünem Käse ist, dann ist das so. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Wir haben hier auch einen Fraktionszwang und ein Parteiprogramm und Wolfgang Schäuble, bei uns wird nicht diskutiert, ob jemand Recht hat. Wir haben Recht, und mit Diskussionen verschwenden Sie nur unsere Zeit.

Sie dürfen gerne nach dem Bauchgefühl der Bundeskanzlerin fragen. Sie hat nur größtenteils Kopfgefühle. Damit Sie das Gefühl haben, sie hätte etwas im Kopf. Und das muss dann auch reichen. Schließlich sind Sie als Journalist ja nur an Fakten interessiert. Und es wäre doch absolut schade, wenn Ihre Karriere aufhören würde, noch bevor sie so richtig angefangen hat.

So, und jetzt setzen Sie sich da hin, nicht bewegen, dann stehen Sie noch mal auf, dann setzen Sie sich wieder hin, und dann stellen Sie die erste Frage. Nein, die nicht. Die zweite. Die erste ist gestrichen. Und was dann kommt, wissen Sie ja.

Doch, das wird gut. Das wird sogar sehr gut. Ein dummes, plumpes Aufziehäffchen, das permanent Verbalbrei aus Worthülsen absondert. Und Angela Merkel. Das wird sehr, sehr gut.“