NazIS

29 07 2015

„Bettir! Bettir! Wir fahren nach Bettir!“ Drei Dutzend Glatzköpfe plärrten sich den Atem aus dem Leib, reckten die Rechte in die Höhe und hieben die Stiefel aneinander. Immerhin konnten sie hier niemandem schaden. „Wir haben den Raum gekachelt“, informierte mich Wurzer. „Man weiß bei denen ja nie, ob das Großhirn den Förderkurs Schließmuskelkontrolle bestanden hat.“

Die Erdkundekenntnisse konnte man bei ihnen nicht voraussetzen, aber politische Zusammenhänge wohl auch nicht. „Natürlich nicht“, bestätigte Frau Doktor Wurzer. „Wir sind ja Gutmenschen, deshalb beziehen wir nur besorgte Bürger aus biologisch-dynamischer Aufzucht. Wenn sie sich nicht im Vorfeld über die geopolitischen Zusammenhänge der Flüchtlingsbewegungen in Kenntnis gesetzt haben, ist mir das egal. Sie werden in Kriegsgebiete verschoben, wie man das üblicherweise mit Söldnern tut – verzeihen Sie mir die Offenheit, aber die deutsche Geschichte ist da keine Ausnahme – und werden da verheizt. So, wie ihnen ihre Ideologie das vorschreibt, und es ist mir wurst, ob es sich um Islamisten oder eine andere Spielart von Faschismus handelt.“

Die Verwaltung hatte weder Kosten noch Mühe gespart und sie organisatorisch unterstützt. „Wir haben ja so eine Nazidatei“, berichtete Wurzer, „sie wurde nur bisher zu nichts benutzt. Sie haben fleißig alle Straftaten eingetragen, manche sogar handschriftlich, weil sie mit diesen neumodernen elektrischen Bildschirmschreibmaschinen bei der Polizei bisher nichts zu tun hatten, aber immerhin hatten sie ein Backup mit den Namen.“ „Auf Diskette?“ Sie schüttelt den Kopf. „Auf Karteikarten natürlich. Alles andere hätte man doch bei Interessenkonflikten nie so schnell durch den Schredder jagen können.“

Die kahl geschorenen Männer randalierten noch immer auf dem Flur. Ab und zu reagierte einer von ihnen seine Aggressionen an den anderen ab, mit nicht ganz klarem Ausgang: meistens bluteten die Umstehenden, manchmal schlugen auch die anderen ihn reflexartig zusammen. „Diese Leute sind nicht einfach zu lenken.“ Ich räusperte mich. „Das dürfte das Hauptproblem sein: sie sind gar nicht zu lenken.“ „Doch“, entgegnete Wurzer, „sie sind sogar ziemlich leicht zulenken, aber so dumm sind wir nicht einmal zusammen.“

Auf dem Schreibtisch lagen die Personalakten, ordentlich zusammengestellt mit Lebenslauf, Vorstrafenregister und einen Flugticket. „Ich verstehe.“ Das war wirklich geschickt gemacht. „Es handelt sich ja noch nicht um islamistische Terroristen, da kann man sie ruhig ausreisen lassen; ob sie sich dann jenseits der Grenze radikalisieren, ist in diesem Fall eigentlich auch völlig egal.“ Sie nickte. „Außerdem radikalisieren sie sich nicht für den Islamismus, und wenn, dann haben wir nichts damit zu tun. Aber so weit kommt es meistens nicht, sie werden schon bei der ersten Gelegenheit aus dem Weg geräumt.“

Der Plan, so erläuterte das Memo, war die Rekrutierung vieler aufrechter Deutscher, die sich um die Zukunftsfähigkeit der Herrenrasse ihre Gedanken machten, um etwas gegen die vielen Flüchtlinge zu unternehmen. „Und genau da haben wir ihnen die Wahrheit erzählt.“ Wurzer knibbelte ein bisschen mit ihrem Kugelschreiber herum. „Sie brauchen nun mal ein Feindbild, deshalb haben wir ihnen auch eins besorgt. Sie dürfen gemeinsam mit dem Islamischen Staat gegen Bürgerkriegsflüchtlinge kämpfen – natürlich lassen wir sie im Glauben, dass wir sie als Volkssturm brauchen, doch Sie wissen ja: der stirbt zwar zuletzt, aber er stirbt.“ Draußen grölten ein paar Idioten das Horst-Wessel-Lied, soweit sie sich den Text im Vollsuff hatten einprägen können. Für ein Vorstellungsgespräch bei einem arabischen Kriegsherrn durfte das wohl reichen.

„Im Grunde“, sagte Wurzer und faltete ihre Hände, „ist die Sache ja ganz einfach: die Nazis von der Backe, die Terroristen in Syrien sind erst einmal beschäftigt, und unsere Presse weiß gar nicht, was sie schlimme finden soll, islamistische Nazis oder ein paar geistig verwirrte Landsleute, die leider von einer Bürgerkriegsarmee in die Luft gejagt wurden.“ Ich blieb skeptisch. „Und Sie fürchten nicht, dass diese Islamisten plötzlich vor der Tür stehen? Hier in Europa?“ Sie lächelte fast nachsichtig. „Ausgeschlossen. Es ist wie mit dem intelligenten Leben, das man in den Tiefen dieses Alls vermutet. Sollte es irgendwann in der Nähe der Milchstraße gefunden werden, sie kommen uns nicht zu nahe, und das ist schon der Beweis, dass es sich um intelligentes Leben handelt.“