Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCV): Die Jogginghose

25 09 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Genauso schnell, wie man es angezogen hat, genauso schnell ist man mit diesem Kleidungsstück auch schon fertig. Er dient nicht dazu, Blößen zu verdecken, es ist dazu da, sie optisch zu einer Art Schmerzreiz zu transformieren, der säureähnlich auf die Netzhaut trifft, wie ein Überfall von ästhetischem Terrorismus, der keine Gefangenen macht und stattdessen nachhaltig traumatisiert. Keiner wird sein erstes Mal vergessen, meistens eine Kassenschlange im Discounter am Samstag, wo ältere Herrschaften mit abgepackter Wurst im Drahtwagen artig den Verkehr aufhalten, unrasierte Familienväter mit Krankenhauspackungen von Schokofrühstücksflocken den sorglosen Wohlstand einer labilen Industrienation verkörpern, und dann kommt es. Der Tritt in die Lichter hat einen Namen, und es ist die Jogginghose.

Offenbar wird dieses Ding pre-ausgebeult in den Einzelhandel geschleust, ausgeleiert im Schnitt und insgesamt einem Dreimannzelt nicht unähnlich, weil sich unter dem Polyester gut auf dicke Hose machen lässt. Verborgen bleiben Speckrollen und etwaige Muskelansätze, Körperkontur und Spannung, gezeigt wird dagegen auf nachgerade preziöse Manier die Distinktion des Trägers im sozialen Kontext. Auch an einem schönen Herbsttag im Binnenland wäre es jederzeit möglich, einen Einzelhändler im Badeanzug aufzusuchen, um Bier zu erstehen und eine Zeitung mit vielen bunten Bildern, wer aber ansatzweise in seinem eigenen Schädel zu Hause ist, lässt es einfach. Der Rest unterstreicht durch sein Auftreten als pseudolockerer Blödföhn heillose Unterlegenheit, denn wer würde sich schon freiwillig durch sein Auftreten zum Fallobst machen. Der Beutelträger ist nicht der chillige Checker, er unterstreicht nur, dass er nicht zwischen ziviler Existenz und einem privaten Bereich zu unterscheiden weiß, weil ihm mindestens eins von beiden fehlt. Meist ist es beides. Die Jogginghose zeigt, dass ihr Einwohner es zu Hause auch so machen würde. Nicht einmal der Gedanke, dass es analog zum Umfeld in den eigenen vier Wänden noch eine Stufe obszöner ginge, lässt einen das Ding als optischen Kollateralschaden abtun. Das will keiner wissen. Das will erst recht keiner sehen müssen.

Jetzt aber wird das Objekt von der Popkultur sozial aufgewertet, vulgo: der Kommerz reißt sich einen neuen Auswuchs von Fehlverhalten aus der Unterschicht unter den Nagel und schwiemelt einer verhaltensauffälligen Verbrauchergruppe mit wenig Substanz unter der Kalotte die Vorstellung zurecht, durch noch mehr Imitation wenigstens für eine Saison hip zu sein. Die Masche funktioniert dann auch ähnlich wie alle anderen zuvor, man enteignet scheinbar die Klientel im Abseits, hämmert aus wirrem Gewölle ein Müllbeutelimitat aus Kaschmir und Goldfäden, das den Schritt zwischen Kniekehle und Boden baumeln lässt, und redet ein paar borderlineintelligenten Gecken ein, man könne das Zeug auch ironisch tragen.

Was das Establishment nicht bekämpfen kann, weil es nicht ansatzweise ein satisfaktionsfähiger Gegner wäre, wird kurzerhand gekauft, demontiert, in irreführendem Zusammenhang zitiert und mit Etiketten beklebt, die das Ding höhnisch umwerten. So wird aus der braungrüngrau melierten Uniform für Bewegungslegastheniker, die Alkoholika vor und nach dem Betreten des Verdauungstrakts ein reiches Areal für Flecken bietet, ein scheinbares Abzeichen für die nonkonformistische Coolness, die sich gerne bequem kleidet und auf der Suche nach dem Antistil mit Luftpolsterfolienanzügen und Glockenröcken aus handgesägtem Asbest nie so recht zufrieden war. Das scheinbare Sportutensil – wer sich tatsächlich in der Freizeit mit dem Laufen beschäftigt, meidet körperferne Gegenwindfänger mit Hängehintern und Labberbündchen, um nicht als humpelnder Troll aufzufallen – kommuniziert den Standesgenossen, dass man auch mit wenig Aufwand ausgesucht unvorteilhaft aussieht, auch in pink gepunktetem Jersey, auch mit leicht verspielten Lederapplikationen.

Wer die Ironie der Jogginghose unbedingt braucht, kriegt sie sogar kostenfrei mitgeliefert. Auf zwanzig Meter Entfernung merkt nämlich der Kumpan des Bescheuerten nicht mehr, ob es sich um ein handgefertigtes Stück Couture handelt oder um den Klon vom Grabbeltisch, der zum Bruchteil des Preises genauso scheiße aussieht, vermutlich aber nicht schurwollebedingt an den Klöten kratzt. Wer die Ironie dieses scheinluxuriösen Beinkleids wirklich versteht, sind lediglich die Produzenten, die das Edelteil im gleichen Textilgulag fertigen lassen wie die Billighuber, getränkt in Pestizide, die eifrige Kinderhände ebenso abkriegen wie die Schickeria mit ihrem erlesenen Modegeschmack. Es wird nicht mehr lange dauern, und sie schicken die ersten Heckenpenner im Badeanzug in den Supermarkt. Mit Stöckelschuhen. Für den Schmerz.


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