Achtundvierzig Stunden

5 10 2015

„Wenn Ihnen das Essen nicht passt, können Sie auch gerne hungrig ins Bett, Herr de Maizière. Sie müssen es nur sagen. Andere Leute wären froh über eine Tüte geröstete Vogelspinnen. Etwas anderes gibt es heute nicht mehr. Und jammern Sie nicht immerzu. Wenn’s Ihnen hier nicht gefällt, rufen Sie sich gerne ein Taxi und fahren Sie nach Hause. Sie möchten doch nicht undankbar sein, oder?

Dann seien Sie’s halt auch nicht. Halten Sie sich an die Gesetze, die gibt es nämlich auch in diesem Land. Wenn Sie die nicht verstehen, ist das nicht erheblich, Sie müssen sich trotzdem daran halten. Andersherum verlangen Sie das ja auch ständig.

Das ist hier vielleicht etwas bürokratischer als in der alten Heimat, aber das sollte Sie auch nicht unbedingt stören, Herr de Maizière. Sie haben doch sonst nichts gegen Formalitäten? Ach so. Sie sind irritiert, dass man hier alles ein bisschen anders schreibt. Das machen die seit dreitausend Jahren so, da kam Ihr christliches Abendland zu spät. Wenn Sie etwas nicht verstehen, können Sie ja fragen. Oder ist Ihnen das möglicherweise auch schon zu kompliziert? Ich frage nur, weil Sie mir nicht den Eindruck erwecken, als stünden Sie das besonders lange durch.

Sie haben kein Geld für ein Taxi dabei, Herr de Maizière? Und was soll ich jetzt daran machen? Sie erwarten doch nicht ernsthaft, dass ich Ihnen etwas schenke? Vorstrecken? Sie sind mir vielleicht ein Spaßvogel – ich soll Ihnen mal eben ein paar tausend Euro vorstrecken, weil Sie keine Kohle dabei haben? Sie sind hier völlig unbekannt, kein Mensch hat je mit Ihnen zu tun gehabt – wenn Sie denken, ein deutscher Staatsbeamter sei überall auf der Welt bekannt, dann sagen Sie mir doch gerade mal eben, wer in Kamerun gerade Außenminister ist – und Sie pumpen mich an? Da kann ich Ihnen das Geld ja gleich schenken. Reist durch die halbe Welt und kein Geld in der Tasche, meine Güte! Ich habe so den Eindruck, Herr de Maizière, dass Sie am Ende gar nicht politisch verfolgt sind. Sie sind doch auch bloß Armutsflüchtling, wie?

Was wollen Sie eigentlich? Sie haben doch die Kanzlerin kritisiert, weil sie sich ans Grundgesetz hält. Da bezeichnen Sie sich als politisch verfolgt, müssen aus Deutschland fliehen, und jetzt sitzen wir hier – solange Sie nicht willens sind, sich in kurzer Zeit zu arrangieren, worüber diskutieren wir denn dann eigentlich? Muss ich das verstehen?

Treten Sie da nicht rein, Herr Söder. Das hat Ihnen einer vor drei Tagen schon mal einer gesagt, und da Sie sich kaum daran zu erinnern scheinen, sehe ich das mit Ihren Integrationsbemühungen jetzt auch mal ein bisschen kritisch. Man kann doch von einem hochqualifizierten, intelligenten Bürger davon ausgehen, dass er sich innerhalb von achtundvierzig Stunden komplett in eine ganz neue gesellschaftliche Umgebung einfügt. Außerdem ist mir das auch egal, ob es sich nun um einen intelligenten und hochqualifizierten Bürger handelt oder bloß um Sie. Passen Sie sich an, Herr Söder. Sonst ist hier für Sie Schluss.

Das ist mir egal, wie Sie das nennen, aber das ist ein Schutzzaun und kein Stacheldraht. Wieso Ihr Schutz? Machen Sie sich doch nicht lächerlicher als nötig, Herr Söder. Der schützt die Bevölkerung. Nur die Bevölkerung, und zwar vor Subjekten wie Ihnen. Glauben Sie ernsthaft, dass die Leute hier den ganzen Tag Ihr dummes Gesicht sehen wollen? Zu jedem Müll müssen Sie irgendeinen Kommentar absondern, und sei es nur, damit Sie sich den Platz in der hintersten Reihe sichern.

Ab und an könnten Sie sich auch mal an Gesetze und Wertvorstellungen halten. Bei Ihnen zu Hause hat das ja eher nicht so geklappt. Was gibt mir eigentlich die Gewissheit, dass Sie sich hier mehr anstrengen? Vorschusslorbeeren? Weil Sie bis jetzt Glück hatten und nie für irgendeine Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind, vermutlich auch deshalb, weil ihn Ihrem Heimatland ganz andere Wertvorstellungen galten? Ich bitte Sie!

Haben Sie den Herrn da etwa angerempelt, Herr de Maizière? Dass es sich um einen Hohepriester aus der allerhöchsten Elite handelt, war Ihnen an der Kopfbedeckung nicht aufgefallen? Sie sind seit mehr als achtundvierzig Stunden in diesem Land und haben von interkultureller Kompetenz nichts mitbekommen? und wollen mir jetzt allen Ernstes weismachen, dass ich Sie nicht sofort zur Abschiebung vormerke? Das ist ja unglaublich. Das ist ja absolut unglaublich! Geben Sie mir mal den Antrag, ich glaube, ich schmeiße die beiden sofort aus dem Land. Was? Herr Söder, regen Sie sich ruhig auf. Sie haben nichts falsch gemacht, weil Sie ausnahmsweise mal die Klappe gehalten haben, aber Sie sind halt mit dem Kollegen eingereist. Dann müssen Sie auch für ihn geradestehen. Wenn ein strenggläubiger Muslim mit posttraumatischer Belastungsstörung die Nerven verliert, weil ein anderer Einwanderer im Suff einen Koran zerreißt, dann sind natürlich alle Ausländer Gewalttäter, die man in die Schranken weisen muss. Wie ja auch alle Deutschen Nazis sind, weil Hitler Deutscher war. Und deshalb werden wir jetzt zum Flughafen fahren, die Herren. Den Taxifahrer haben Sie jetzt ja schon kennengelernt, und es gereicht Ihnen zur Ehre, dass Sie von einem so illustren Mitglied der Oberschicht wieder in Ihr Land zurückbefördert werden. Beneidenswert, wirklich. Und bitte zurück die beiden, ja? Express. Wer sich nicht anpasst, fliegt halt. Ist Ihnen doch nicht unbekannt, oder?“