Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCVII): Rekordsucht

9 10 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

So selten kamen Rrt und seine Brüder aus der Höhle, dass der Gedanke nahelag, sich aneinander zu messen. Viel gab es nicht, es blieb nur das Haar, das ihnen struppig vom Schädel wuchs, und schon war die Rangfolge daran zu bemessen, wem die Wolle am längsten quoll. Nggr trug öfters den Sieg davon, nur eines Tages wachte er auf, fühlte sich die Omme nach und explodierte in jähem Klagelaut ob einer rasierten Schwarte. Die anderen freilich, sie sahen mit höhnischer Gleichmut, wie Uga sein Haar schüttelte und Plätze gutmachte. Dass er kurze Zeit später gewaltig aufs Maul bekam, sollte niemanden wundern. Was musste er auch unredlich werden, wo doch nur die Rekordsucht die Rotte einte?

Eine Generation später wird der nächste Troglodyt sich mit modisch langen Fingernägeln gebrüstet haben, zwei Jahrhunderte darauf wohl schon mit der Fähigkeit, Mammut, Säbelzahntiger und Hominiden mit unerwünschtem Migrationshintergrund vermittels der Keule zu plätten. Die intellektuellen Fähigkeiten hatten noch nicht den Einzug gehalten im Tal mit der Felswand und den beiden Rinnsalen neben der Kleewiese, da trennte sich bereits die Spreu vom Weizen. Die einen waren mehr Sein als Schein, die anderen gingen langsam unter.

Sicher ist es eine geistige Leistung, nicht mehr ausschließlich mit Hilfe der Fußnägel einen Berg zu erklimmen, sondern im Alleingang ein Labyrinth in den Abhang zu klöppeln, in dessen Peripherie sich eine monumentale Lagerstätte für Honig und Kieselsteine befindet, aber der Grundgedanke ist stets derselbe: schneller und höher, weiter, lauter und noch viel bekloppter, weil es einem ja keiner abnimmt. Ob dieser Anflug von Verstand nun wahrhaft sinnvoll ist, sei dahingestellt, Fakt ist, dass die Außenwelt schon überfüttert ist mit den Rekordversuchen ihrer Profilneurotiker, viel zu überfüttert, um den zehnten Anlauf überhaupt noch zur Kenntnis zu nehmen.

Im übelsten Fall bedeutet das ein Abdriften der Beteiligten in die Sucht. Der erste segelt eine Felswand hinunter, der zweite unternimmt das Manöver nachts, der nächste Kandidat bei minus vierzig Grad ohne nennenswerte Thermik, mit verbundenen Augen, gefesselt, unter Wasser, Geige spielend, als Veganer, und so weiter. Irgendein Verzeichnis wird man schon anlegen, wenn man sich des Interesses der Umwelt sicher sein will, und was daraus resultiert, ist wiederum eine Reihe von Rekordversuchen. Es wird angenommen, dass Raumfahrt und Fast-Food-Industrie überhaupt nur durch das grassierende Fieber nach immer mehr Ansehen geschaffen wurden.

Der Mensch ist der conditio humana wehrlos ausgeliefert, will sagen: er regrediert, welkt und verstirbt seit jeher ohne einklagbaren Anspruch auf fortgesetzt funktionierende Potenz oder wenigstens die Ewigkeit. Mühsam schwiemelt er Petersdome aus Kunsthonig auf die Erdkruste, wo doch die Originale schon erheblichen Aufruhr verursacht hatten. Sie töpfern Soldatenarmeen oder lassen sie töpfern, ritzen Goethes Gesamtwerk mit einem Nashornhaar in einen gläsernen Stecknadelkopf (seitenverkehrt, um es in Magerquark zu drücken) oder hinken rückwärts die Niagarafälle hinunter. Alle sind sie zum Vergehen bestimmt, darum ist ihnen nichts wichtiger, als rechtzeitig zu hupen, damit ein jeder weiß: hier hat ein Ichling mit Bausparerabitur machtvoll bewiesen, dass er der Lauteste war. Das sagt noch nichts über seine inhaltlichen Qualitäten, aber wen interessiert’s.

Irgendwann aber läuft das Konkurrenzdenken aus dem Ruder, dann ächzt die Umwelt und will ihre unbefleckte Unschuld zurück. Gestandene Familienväter lassen sich für ein unterbelichtetes Foto in der Apothekerzeitschrift gemeinsam mit einem Festmeter Fadenwürmern abbilden und sind’s zufrieden – Parallelexistenzen aller Herren Galaxien sind sicher benachteiligt, schauen sich das junge Fleisch einmal an und ignorieren es auf Vorrat. Vermutlich sind wir ohnehin alle Massenmörder, was die Untersuchung und Einvernahme der Täter nicht verhehlen will. Aber wir treiben die Spirale an, auf der Menschen sitzen, die den Mars besuchen wollen, die sich vorgenommen haben, beim nächsten Kontakt mit einem Verwaltungsbeamten die Knarre in der Hosentasche zu lassen, die sich einfach nicht mehr verunsichern lassen wollen in einer Gegenwart, die mit der Altsteinzeit so erschreckend wenig zu tun hat. Nicht einmal New York scheint es damals schon gegeben zu haben. Der Rest der Rekordsüchtigen setzt sein Leben aufs Spiel. Kam ein Film mit verwachsenen Schafen ans Licht, eine Taschenatombombe, zur Not ein Büchlein von Grass, so fasste der Staat zusammen: zwar Kroko, aber scheiße. (Oder umgekehrt.) Für diese Zwecke haben die Subjekte stets Feuerlöscher dabei. Einige wenige. Wirklich systematisch. Wenigstens gibt das die Gewissheit, dass das man die Randbedingungen einer überflüssigen Existenz nicht regeln kann. Höchstens am Ende.