„Ich wärme uns eben einen Tee auf.“ Nein, das konnte nicht Herr Breschke sein. Nicht der Breschke, der sich beschwerte, wenn sein Tee länger als eine Viertelstunde stand und eine feine Haut bildete. Es war aber derselbe, der den Sud aus der Kanne in einen Milchtopf goss und auf die Herdplatte stellte. Bismarck ließ sich gar nicht erst blicken.
„Er ist empfindlich geworden“, ließ mich der Alte wissen. „Jetzt lässt er sich gar nicht erst von mir ausführen, das muss auch alles meine Frau machen.“ Ein leises Bedauern konnte ich nicht überhören, waren doch Herr und Hund seit jeher eine Einheit, nichts hatte sie jemals auseinander gebracht. „Aber warten Sie, ich muss eben das Frühstück vorbereiten.“ Nun war es nur noch kurz vor Sonnenuntergang; vielleicht hatte jemand Horst Breschke gewarnt, dass der Weltuntergang drohte. Wer sein Frühstück vor der Apokalypse nicht vorbereitet hatte, würde danach sicher keins mehr haben. „Sie glauben doch nicht an diesen Unfug“, fragte ich entgeistert. „Natürlich nicht“, lächelte er überlegen. „Wenn dann der Untergang käme, was sollten wir mit einem Frühstück?“ Und er goss uns den heißen Tee in zwei Tassen. Der Geschmack war gerade noch eben in der Region, den Tee für sich hätte beanspruchen können.
„Man hat nun mal so wenig Zeit“, klagte der pensionierte Finanzbeamte, „deshalb haben wir uns entschlossen, so viel wie möglich vorzubereiten.“ „Wir?“ Mein Einwand schien ihn zu treffen. „Natürlich ist es eine Sache, die uns beide betrifft.“ Er wand sich, das war klar. „Und meine Frau wird sich irgendwann auch daran gewöhnen.“ Bismarck indes trottete seinen gewohnten Weg in den Garten, des Herrchens nicht achtend, was diesen jedoch mehr als geahnt erschütterte. „Breschke“, fragte ich lauernd, „hier ist doch alles im Lot, oder?“
Er schmierte unterdessen die Brötchen zu Ende, versah sie jeweils mit Konfitüre und Wurst, bevor er in seinen kleinen Taschenkalender blickte. „Es gibt ja morgen Fisch“, bemerkte er, „ich werde nur noch eben ein paar Kartoffeln schälen.“
Angefangen hatte das alles mit einem harmlosen und unerheblichen Artikel der Apothekenzeitschrift, die Frau Breschke bisweilen vom Bäcker mitzubringen pflegte. „Sie hat das doch gewollt“, ereiferte er sich. „Und wenn nicht, so hat sie es doch wenigstens nicht verhindert.“ Das leuchtete mir ein, und natürlich hatten wir eine Lösung parat, wenn sie nur gut genug vorbereitet wäre. „Man kann sich ruhig Zeit lassen“, setzte er mich in Kenntnis. „Man muss nur gut vorbereitet sein.“
Damit öffnete er die Kellertür und stieg die Treppe hinab. „Das Wetter wird sich sicherlich noch ein paar Tage so halten, da kann ich morgen die Rosen schneiden und die Rasenkanten etwas stutzen.“ Breschke suchte die Rosenschere und legte sie auf die Kellerfensterbank, wo bereits das Grabschäufelchen lag. „Weil ich ja nachher noch zwei kleine Töpfe Erika auspflanzen wollte, da hatte ich sie mir gestern schon herausgelegt.“ Besagte Töpfchen standen am Fuße der Treppe; fast wäre man über sie gestolpert, aber im letzten Augenblick hatte mich der Hausherr auf sie aufmerksam gemacht. „Ist ja auch nur für einen Tag, nachher sind sie weg.“
Unterdessen hatte Frau Breschke ein frisches Hemd gebügelt. „Verstehe“, bemerkte ich, „so können Sie es in der Frühe gleich anziehen. Und morgen bügelt sie dann eins für übermorgen.“ Er nickte. „Eigentlich hat sie das aber immer schon so gemacht“, erklärte er. „Darum verstehe ich ja auch nicht, warum sie sich gegen all die anderen Maßnahmen so sperrt.“ Ich vermutete, es lag an Bismarck. Seitdem Breschke darauf bestand, ihn bereits am Vorabend zu füttern – und den Fressnapf aus Gründen der besseren Kontrolle auf den Küchenschrank zu stellen – war der Dackel tödlich beleidigt und hatte sich ausschließlich bei seinem Frauchen aufgehalten. „Vielleicht hole ich nachher ein Päckchen Hundekuchen“, verkündete Herr Breschke. „Für morgen.“
Die Sache hatte längst bedenkliche Züge angenommen, denn der Mann lebte fast ausschließlich in der Zukunft. „Nachher werde ich noch schnell den Kaffee fürs Frühstück kochen, meine Frau will zur Schneiderin, da muss es sehr schnell gehen.“ Offenbar hatte er inzwischen schon den Überblick verloren. „Sie wärmen den also nur noch auf?“ Er nickte. Vermutlich würde er demnächst kochendes Wasser auf Vorrat in der Tiefkühltruhe lagern.
„Ich glaube, ich muss Ihnen einmal einen Zeitschriftenartikel heraussuchen.“ Herr Breschke hob interessiert Augen. „Man organisiert ja heute den Haushalt ganz anders“, referierte ich, „und die Wissenschaft hat da ein sehr effektives Modell aus der Arbeitswelt ausprobiert: man bereitet immer die jeweils nächsten Arbeitsschritte vor.“ Er wollte mehr wissen. „Die Effektivität für den morgigen Tag ließe sich im Vergleich zum Jetztzustand sogar noch steigern, Herr Breschke: wenn Sie heute die Töpfe auspflanzen, haben Sie morgen genug Zeit und können die Kartoffeln schälen.“ „Und dann…“ „Ganz recht“, bestätigte ich. „Und dann kochen Sie den Kaffee zum Frühstück frisch, so dass Sie fürs Frühstück übermorgen auch schon Zeit sparen.“ Jetzt hatte er es begriffen. Bismarck strich vorbei in Richtung Fernsehsessel; er würde es schon merken. „Dann hätte ich ja schon jetzt mehr Zeit, weil ich keine Kartoffeln schälen muss.“ „Sie haben es verstanden“, bestärkte ich ihn, „sehr gut! Und die Zeit können Sie gleichzeitig für morgen aufsparen.“ Er krempelte umgehend die Ärmel hoch. „Dann werde ich die gleich mal nutzen und einen Tee für uns kochen.“ Breschke schritt tatkräftig in die Küche und schüttete das lauwarme Zeug in den Ausguss. „Man hat ja sonst kaum noch Zeit für so etwas.“
Satzspiegel