Schrille Nacht

18 11 2015

Die Meinungen gehen auseinander, ob es sich tatsächlich um das Fest der Liebe handelt. Nicht selten, so Kritiker, sei schon im Fokus, ein möglichst ausgefallenes, originelles Geschenk mitzubringen. Und manche wieder meinen, diese Entwicklung greife bereits auf Weihnachten über. Wir anderen aber, wir widmen uns selbstverständlich weiterhin der Tradition, zum Beispiel dem Freitagstexter.

Für eine ordentliche Bescherung wäre es an sich noch ein bisschen früh, draußen toben ja immer noch Herbstwinde, die einfach nicht ans Gefrieren denken wollen, aber da bei den meisten das Weihnachtsfest auch immer recht plötzlich im Kalender erscheint, schreiten wir mal ans Werk. Ein weihevoller Blick auf den blinkenden Pokal – Doktor Klengel hatte noch diesen wundervollen mongolischen Mandarinenlikör von Breschkes Tochter stehen, er empfiehlt ihn wärmstens als feine Metallpolitur – und dann ab durch die Hecke. Preisverleihung!

Nicht nur die Geschenke sind wichtig, vor allem zählt doch das Weihnachtsmahl. lamiacucina, erfahren mit knusprigen Gänsehäuten und opulenter Tischdekoration, erfreut einmal mehr mit einem der seltenen Reime, zu denen ich (nicht nur zur Weihnachtszeit) gar nicht genug animieren kann. Ein bronzenes Weihnachtsengelchen!

Im Winter, wenn es stürmt und schneit
Und’s Weihnachtsfest ist nicht mehr weit,
Da kommt weit her aus dunklem Tann
Der glanzgebräunte Muskelmann.

Zwischendurch reicht Hildegard wie immer etwas Gebäck zum Tee (die ayurvedisch-homöostatischen Beutelplörre von Sigune haben wir umstandslos im Ausguss verstaut und sind zur Ostfriesenmischung zurückgekehrt), wie um zu zeigen, dass man sich von Fest zu Fest die schönsten Geschenke immer selbst macht. Ein silberner Weihnachtsengel, da derChristoph die schöne Bescherung also zusammenfasste.

Tanningtraum & Tannenbaum

Natürlich haben wir einen Publikumspreis. Und natürlich ist es ein Klassiker, denn auch Heinzelmann und Atomkraftwerk sollen uns nicht ablenken von der süßen Melancholie, mit der wir Jahresende um Jahresende wieder die Feiertagsstube betrachten. Ein Fläschchen von der Mandarinenpolitur nebst einer sehr guten Krawatte aus ukrainischem Vollpolyester (Breschkes Hausmarke!) für den Blogkollegen Shhhhh in nostalgischer Milde!

Früher war mehr Lametta.

Und schon nähern wir uns dem Höhepunkt des Festes. Schrille Nacht. Irgendwo in der Ferne entspringt ein Ross. Alles richtig gemacht. In sanftem Licht erglüht tief der Siegerpokal, eine goldene Flügelfigur (VEB Bad Gnirbtzschen) für den Wortmischer anlässlich einer tiefen philosophischen Weisheit: gib acht, was Du Dir wünschest, es könnte in Erfüllung gehen.

Verstört nahm Oma die Virtual-Reality-Brille ab, die ihr die Familie unter den Weihnachtsbaum gelegt hatte.

Herzlichen Glückwunsch! Beim Wortmischer glänzt ab dem 20. November unser kleiner Wanderpokal, und wer noch Tee möchte, ein Plätzchen… oder vielleicht einen Mandarinenlikör?





Spiel mit Grenzen

18 11 2015

„Oder doch noch eine Talkshow.“ „Das wären dann schon drei.“ „Man muss der Flüchtlingskrise eben eine gewisse Aufmerksamkeit…“ „Aber doch nicht an einem Abend!“

„Wie gesagt, wir brauchen für die Agenda, die man uns vorwirft, auch ein paar Programmplätze.“ „Dann machen wir mal einen Verbrauchercheck für Fachkräfte.“ „Gute Idee, was kommt raus?“ „Diese arabischen Einwanderer sind uns unterlegen, weil sie nie Goethe und Kant gelesen haben…“ „Das haben die meisten deutschen Facharbeiter auch nie.“ „Wenn es danach ginge, sollten wir sie direkt in die Bundesregierung vermitteln.“ „… aber man kann mit ihnen den Mindestlohn drücken.“ „Sehr gut!“ „Was ist daran sehr gut? die Gewerkschaften rennen sofort…“ „Aaah-hahaha!“ „Sehr komisch!“ „Also wenigstens tun sie so, als würden sie vor Gericht ziehen.“ „Und deshalb drücken wir dann den Mindestlohn für alle.“ „Sehr gut!“ „Und dann machen wir eine Reportage aus der Dönerfabrik, die Biodeutsche zu Hungerlöhnen beschäftigt, und dann haben diese Ausländer ein Problem.“ „Die beschäftigen aber meist nur…“ „Ich sag’s doch, die nehmen den Deutschen die Jobs weg!“

„Jetzt kommen Sie mal wieder runter, wir brauchen nur eine vernünftige Programmstruktur.“ „Da haben wir beispielsweise diese…“ „Eben, noch eine Talkshow.“ „Würde ich jetzt eher als Diskussionsveranstaltung sehen.“ „Sendung zum kulturellen…“ „Herrgottscheiße, jetzt kommen Sie doch mal mit einem ordentlichen Titel rüber!“ „Ja äääh…“ „Das muss halt rocken, verstehen Sie?“ „Also: Wie viel Islam verträgt…“ „Laaangweilig!“ „Aber…“ „Bratwurst, Bier, Dschihad – wann löscht die syrische Invasion die westliche Leitkultur aus?“ „Das ist doch…“ „Regen Sie sich ab, ich finde es auch zu lang. Und syntaktisch ist mir das auch viel zu komplex.“ „Sie können doch nicht…“ „Ich muss, mein Lieber. Ich muss. Wenn wir das gut einem Drittel nicht mehr kommunizieren können, dann springen uns in der ersten Werbepause die Kunden ab.“

„Wir müssten auch etwas über die terroristische Bedrohung sagen.“ „Die ist ja eigentlich derzeit unser Hauptthema.“ „Auch egal.“ „Das sagen Sie so – aber wir müssen unsere Zuschauer auch auf das Wesentliche konzentrieren.“ „Dann nehmen wir die Flüchtlingsfrage also raus?“ „Wieso das denn?“ „Wir haben den Fokus auf der terroristischen…“ „Aber die interessiert doch keine Sau mehr, wenn wie sie nicht den Flüchtlingen in die Schuhe schieben können.“

„Gut, dann: Islam in der Schule.“ „Hmja. Aber wo ist da die Schweinerei?“ „Naja, das Wutbürgertum wird doch bestimmt…“ „Das kümmert die nicht, was in der Schule passiert.“ „Und die deutsche Kultur?“ „Er macht wieder seine pseudowitzigen Scherze, Sie verstehen?“ „Warten Sie: Moslems, Mohammed, Massenmord: Wann hat sich Europa abgeschafft?“ „Dufte!“ „Voll cool!“ „Und politisch absolut voll total unkorrekt!“ „Das klingt ja, als könnten Sie den Bürgerkrieg gar nicht mehr abwarten.“ „Auch, ja. Aber im Wesentlichen geht es uns um unsere Zuschauer.“

„So eine Spielshow hatten wir lange nicht mehr im Programm.“ „Wir könnten ja Migranten noch mal durch den zugesperrten Zaun fliehen lassen.“ „Und diesmal mit gültigem Pass.“ „Und diesmal haben wir die Obergrenze erreicht.“ „Spiel mit Grenzen.“ „Das ist…“ „Ja, ich finde das auch sehr gelungen.“ „Der Verlierer kriegt einen nagelneuen Gebrauchtwagen.“ „Vielleicht sollten wir die Talkshow dann direkt danach machen.“ „Wer redet von einer Talkshow?“ „Die CSU wollte doch einen Flüchtlingssender.“ „Ich fürchte, Sie haben da etwas in den falschen Hals gekriegt.“

„Werden wir denn jetzt alle sterben?“ „Hm, ist mir für einen Sendungstitel irgendwie auch etwas zu unspezifisch. Außerdem weiß ich gar nicht, ob das…“ „Nein, ich meine: werden wir denn jetzt alle sterben?“ „Im ontologischen Sinne würde ich da keine Sache ausschließen, obwohl…“ „Ich will doch einfach nur wissen, ob wir deshalb jetzt alle…“ „Meine Güte, nein!“ „Das würde sich kein Mensch angucken!“ „Höchstens als chinesisch-chilenische Koproduktion.“ „Nachts.“ „Mit Helene Fischer als…“ „Aufhören!“

„Dann machen wir vielleicht einfach nur eine Dokumentationssendung, dass uns die Flüchtlinge in den nächsten Jahren viele Terroranschläge…“ „Haben Sie einen Beweis dafür?“ „Ich habe einen Programmplatz von 22:45 bis 23:30.“ „Das rechtfertigt schon mal fast alles.“ „Und dann irgendeine Prognose, weil wir pro Jahr mehr als…“ „Das muss aber mit Schäuble abgesprochen werden.“ „Reichen nach zehn Uhr nicht gefühlte Zahlen?“ „Das gilt laut Redaktion… gilt das nur für Talkshows.“ „Also ein Fernsehspiel, wo eine Terrororganisation Anschläge ganz Deutschland durchführt, und danach können wir das ja in einer Talkshow mit Experten aufarbeiten.“ „Genial!“ „Sehr gut.“ „Und Sie haben auch schon einen Arbeitstitel?“ „Wie wär’s mit Nationalsozialistischer Untergrund?“