
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Da war diese ganz leichte Abbruchkante, die die Sippen beim Schneefegen immer geärgert hatte. Uga, westwärts, fegte bei Bedarf, ließ auch den Matsch nicht liegen, und erfüllte mehr oder weniger seine Aufgabe, den Platz an der Höhle eisfrei zu halten, wenn die Schauer hernieder prasselten. Nur Frtz konnte das nicht verknusen. Er ritzte drei Monde lang Prognosen für die Flockendichte in den ostwärts gelegenen Felsvorsprung, mittelte Nässe samt Niederschlag und hälftelte sie auf die drittelige Bemondung, alles vor Erfindung der Homöopathie wohlgemerkt, und er stellte hernach mit wissenschaftlicher Akribie fest: hier regnete es, da aber auch. Nun hätte sein sicherheitsorientiertes Denken die historische Größe wohl fleißig mit eigener Abluft aufgepumpt, doch nein – wer erfand den Schirm und das Zelt, Vordach, Campingwagen, Haus und Outdoorkleidung in anästhetischer Farbe? Selbstredend der Sanguiniker mit selbstironischer Temperaturkontrolle. Ihm, der den Niederschlag als nicht planbares Ereignis in seine pulsierende Lebenswirklichkeit einbezogen hatte, eröffnete sich augenblicklich die lebensfrohe Spontaneität, das Dasein bei jedem Wetter zu genießen. Frtz aber, und er bleib sich darin treu, begründete die Ideologie des rechten Winkels.
Für das alte Regime, das kurz nach dem Hochmittelalter die Fünfjahrespläne bis zum Kollaps der Sonne in der Schreibtischschublade zu liegen hatte, liefert die Klemmfraktion schon recht viel. Kaum eine Wirtschaftsprognose geht auf mehr als fünfhundert Jahre, das Wetter scheint am Durchschnitt festgenagelt zu sein, die Bevölkerung hat streng logarithmisch zu wachsen. Pille, Euro, Weltkrieg? Für die Besserwisserfraktion nur kleine Übel, um die große Wahrheit ideologisch zu festigen. Vielleicht kam es ihnen nach 1945 auch nur auf die Reproduktionsrate an und die absoluten Zahlen waren ihnen wumpe. Keiner wüsste, wie sich Europa aus der Katastrophe langfristig würde retten können, aber das heißt ja nicht, dass sie es nicht wenigstens probieren würden.
Aber keiner würde es heute wissen, schlimmer: es gibt keinen, dem das nicht gleichgültig wäre. Dass ein multinationaler Gummikonzern heute zehntausend Arbeiter entlässt, obwohl es gestern noch keiner geahnt hätte – geschenkt. Die Pleite einer Bank, die mehrere zehntausend Arbeiter seicht verblümt in die Scheiße reitet – Glück gehabt, die meisten Proleten können eh kein Latein.
Die Kehrseite der neuen Weltordnung heißt Flexibilität, und jeder Depp verlangt sie von seinem Taxifahrer, denn wer nicht auf einen Zweihunderter ohne Trinkgeld passend herausgeben kann, ist eben für die postmoderne Gesellschaft nicht gut genug. Selbst aber wurstelt sich der gemeine Bürger durch die verschwiemelte Funktion der Planbarkeit: Geburt, Examen, Rente, Reihengrab. Wo sich auf einmal die Koordinaten biegen, haben natürlich die Koordinaten schuld. Wer würde auch angesichts der gravierenden geopolitischen Lage eine Änderung vom Staatsbürger verlangen, abgesehen von den Ossis? Wetter und Gravitation, Zinssatz und Geschichte haben sich zu ihrem guten Ende rein an der Befindlichkeit des deutschen Staatsbürgers zu orientieren. Millimetergenau. Deshalb macht’s ja auch keinen Unterschied, ob der wegen der Rentenkürzungen auf die Straße geht oder bei einer drohenden Enteignung durch die Hartz-Reformen das Land für Monate quasi lahmlegt.
Beides nicht passiert, aber der Deutsche wusste ja vorher, wen er zehn Jahre später dafür würde verantwortlich machen können.
Natürlich verzweifelt, wer sein Heimatland unbedingt so haben will, wie es immer schon gewesen sein muss, und dafür die Werte seines Heimatlandes preisgibt; natürlich verzweifelt, wer ein Land vor vorbildlicher Weltoffenheit, schneller Auffassungsgabe und internationaler Anerkennung, technologischer Führerschaft, kultureller Brillanz und sozialer Vorbildfunktion schützen will, damit seine Einwohner aus einer Rotte Dumpfklumpen besteht, die auch in der Wüstensonne eine Woche lang Atemübungen machen, bevor sie bei Rot das ausgetrocknete Flussbett überqueren.
So wurstelt sich der Bürger derzeit durch, aber: er verlangt von seiner Regierung im Großen die hellseherischen Fähigkeiten, die er selbst nicht hat. Und eine Garantie, dass ihre Handlungen seltener schiefgehen als sein eigenmächtiges Getue. Das sinnlose Fischen im Trüben wird gleichsam zum Paradigma geheiligt, nicht wenige Figurinen der Staatslenkerei machen es sich zu eigen, und das ist doch nicht mehr als Gleichgewicht zu halten auf abschüssiger Bahn. Nach schön schauerlichen Geschichten sollen die Nachfahren von Frtz einen Fünfjahresplan aus der Rübe gerattert haben. Sie haben damit zwar keinen Krieg gewonnen – was auch daran gelegen haben mag, dass sie keinen begannen – aber für ein Gewurstel in geordneten Bahnen gesorgt. Nichts und niemand wird sie dabei stören, es sei denn, sie müssten irgendwann für sich selbst sorgen. Und dann gnade ihnen die Geschichte.
Satzspiegel