„Was bildet sich dieser Fatzke eigentlich ein!“ Anne war außer sich vor Wut. „Zehn Jahre lang war ich gut genug, ihm jeden Ärger vom Hals zu halten, und jetzt behandelt er mich wie einen Fußabtreter!“ Luzie schob mir das Schälchen mit den Keksen für Besucher herüber. „Gehen Sie besser nicht rein“, flüsterte sie. „Sie ist imstande und schmeißt Ihnen etwas an den Kopf!“
„Taubenheim!“ Anne knirschte mit den Zähnen. „Taubenheim, dieses verfluchte Schwein!“ Als Generaldirektor der Vereinigten Gummiwerke hatte er mit einigen Patenten Unsummen verdient. Anne, die seinerzeit noch in der Großkanzlei angestellt war, hatte alle seine Rechtsstreitigkeiten mit der Konkurrenz siegreich erledigt, sie hatte sogar den Geniestreich des Patriarchen, den multielastischen Kautschukschlauch MK-31/b, gegen ein minderwertiges chinesisches Plagiat auf dem Markt verteidigt und ihm damit Millionenumsätze gesichert. Allein das war es nicht. Herr Gustav Taubenheim war ebenfalls passionierter Sammler aller Arten von Kunst. Sein Geschmack galt nicht als erlesen, doch seine Sammelleidenschaft ließ ihn vor nichts zurückschrecken. „Ich darf nichts sagen“, knurrte sie, „als seine ehemalige Anwältin bin ich immer noch zum Schweigen verurteilt.“
Allerdings konnte man sich die Dinge auch gut zusammenreimen. Einige nicht ganz unbekannte Bilder verloren sich schon kurz nach dem Diebstahl aus gut gesicherten Museen im Dunkel, während Taubenheim Millionen lockermachte und recht lose über neue Erwerbungen seiner Privatgalerie sprach. Eine seiner drei Verflossenen, eine jüngere, dafür aber um so untalentiertere Schauspielerin, konnte sich sehr gut an einen bis heute verschollenen Picasso erinnern; tragisch, wie sie, die nicht schwimmen konnte, bei einer Bootstour auf dem Mittelmeer plötzlich im Abendkleid ins Wasser sprang.
„Und jetzt will dieses dumme Schwein, dass ich seinem neuen Anwalt die Rechtsgeschäfte übertrage!“ Sie raste vor Zorn. „Er kommt heute Nachmittag und will sämtliche Prozessunterlagen abholen.“ „Der Anwalt?“ „Taubenheim“, schrie Anne, „das ist es ja! Er hofiert diesen dummen Schnösel auch noch!“ Ich blickt auf den Tisch; der Stapel aus Aktenbündeln hatte durchaus einiges Gewicht. Zwei Kartons mit leeren Aktenordnern standen an der Wand, eine ausrangierte Pinnwand lehnte am Sofa hinter dem Besprechungstisch. Ich kniff ein Auge zu. „Warte mal.“ Sie sah mich mit wachsender Skepsis an. „Du führst doch wieder etwas im Schilde.“ „Im Bilde“, korrigierte ich. „Nur im Bilde.“
Schnell hatte Luzie das nächstgelegene Geschäft für Künstlerbedarf herausgefunden. „Heinestraße links, dann bis zum Stadtpark.“ „In einer Stunde bin ich zurück“, versprach ich, „bis dahin sollte die Grundierung fertig sein.“
Der mitgeführte Einkaufsbeutel reichte für ein halbes Dutzend mittelgroßer Quetschflaschen. Die restliche Wandfarbe hatte sich vorschriftsmäßig verhalten und war, wie das Etikett es versprochen hatte, schnell getrocknet. Luzies Nase hatte davon mehr als genug abgekriegt. „Dann wollen wir mal“, verkündete ich, zog das Jackett aus und schraubte die rote Flasche auf. Wie bunter Senf kleckerte die Farbe auf die matt schimmernde Fläche. „Gelb?“ Anne reichte die Flasche an. Langsam gewann das Werk Gestalt.
Ein wenig Haarspray half bei der Fixierung, ein Nagel war schnell in die Wand geschlagen, schon hing das epochale Gemälde über dem Dreisitzer. „Ich bin begeistert“, sagte Anne trocken. „Dass ich mir so etwas überhaupt leisten kann.“ „Jetzt aber schnell“, drängte Luzie. „Taubenheim kann jede Minute…“ Da klingelte es auch schon. Ich knöpfte mein Hemd auf und schlang mir Annes Seidenschal um den Hals. „Lass mich mal machen. Und räum bloß die Akten weg.“
Der Generaldirektor stapfte gleich mit Hut und Mantel nebst einer leeren Aktentasche ins Büro durch, während ich mich nonchalant erhob. „Ich kann mich auf Ihre Diskretion wie immer verlassen“, verabschiedete ich mich von Anne. „Und Sie sind…“ Taubenheim war irritiert. „Also erlauben Sie mal!“ Ich zog Anne zu mir. „Kann man dem Mann vertrauen? Ich meine, er hat mich schließlich bei Ihnen gesehen.“ Ein verdächtiger Blick zu dem scheckigen Objekt an der Wand verriet meine Unsicherheit. Der Alte begriff. „Sie sind Sammler?“ „Nicht so laut“, beschwichtigte ich ihn. „Ich muss mich von einem Teil meiner Stücke trennen, aus – Gründen.“ Taubenheim hob anerkennend die Augenbrauen. „So?“ „Und da wollte ich das eine oder andere – Sie verstehen schon.“ Er hatte verstanden, und er begann das Farbinferno auf hundert mal hundert Zentimeter zu begutachten. „Interessante Linienführung“, murmelte er. „Das hat Rhythmus, nicht wahr, das hat Feuer. Schön! Was soll das kosten?“ „Sie kennen die Malerin?“ „Ich komme gerade nicht auf den Namen“, bekannte er. „Ist das etwa…“ „Alice Kváč.“ Anne biss sich auf die Unterlippe. „Zehn Prozent.“ „Fünf.“ „Gut, einigen wir uns auf acht.“ Taubenheim schnaubte grimmig. „Sieben Prozent, sonst…“ Ich schluckte. „In Gottes Namen.“
„Zwanzigtausend!?“ Luzie tastete nach ihrem Stuhl. „Das Wichtigste ist, dass er der Kanzlei nun doch als Mandant erhalten bleibt, weil sein neuer Anwalt ja so gar nichts von Kunst versteht.“ Ich nahm einen Keks. „Und ich finde, Du könntest die Wand neu streichen.“ Anne nahm mir den Schal ab. „Ernsthaft – Du bist talentiert!“
Satzspiegel