International gestreute Geschäftsfelder

1 03 2016

Kaum hatte ich geschellt, öffnete sich das dunkle, schmiedeeiserne Tor. Ein langer, dürrer Mann mit einem gewaltigen schwarzen Hut trat vor das Portal. Als ich näher kam, verbeugte er sich mit einem tiefen Kratzfuß. „Tsi ir hobn a kleyn gelt“, singsangte er, „nor a kleyn gelt?“ Ich wühlte in der Manteltasche, doch er schien es gar nicht zu sehen.

„Sie müssen entschuldigen“, begrüßte mich der Vorsitzende. „Er ist erst seit ein paar Wochen in der Zentrale, vorher war er jahrelang bei der jüdischen Weltverschwörung angestellt. Er muss sich erst daran gewöhnen, dass er ein Festgehalt bekommt.“ Er führte mich durch ein geräumiges Vorzimmer in sein Büro, ein überraschend enges, mit hohen Aktenregalen vollgestelltes Kontor, das eher eine Art Buchhaltung erwarten ließ, aber nicht das Zentrum der Macht. „So falsch liegen Sie gar nicht“, lächelte mein Gastgeber. „Wir ziehen die Fäden in der ganzen Welt, hier laufen sie zusammen, und wenn Sie wüssten, was das an strategischer Planung erfordert, Sie wären noch viel überraschter.“

Die kleinen Fähnchen mit kryptischen Ziffern und Zeichen übersäten die Weltkarte an der Wand. „Wenn bei Ihnen alles abgestimmt wird“, mutmaßte ich, „werden Sie eine Menge zu tun haben.“ Er nickte zustimmend. „So ist das nun mal mit der Weltherrschaft, sie will gut organisiert sein. Man kann sich zwar bis zu einem gewissen Grad auf die nationalen Gesandtschaften verlassen, aber Sie wissen ja: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein Tässchen Tee?“ Er nahm die Kanne von einem massiv goldenen Untersatz. „Wenn Sie auch einen wollen, sagen Sie nur. Die Pharmaindustrie schickt uns regelmäßig ein halbes Dutzend.“

Schwere Schritte stampften auf dem dicken Teppich heran. „Ullullullullullulluh“, schrie es von außen, „ullulllullulluh! Gudn Dach, ’ch wollde de Biecher brinng.“ Das kleine Männchen mit dem fantastisch großen Fez, Pluderhosen und Pantoffeln nebst einem ständig rutschenden Krummsäbel – wie ich feststellte, ein Modell aus hochfein gebürstetem Solinger Stahl – legte einen Aktendeckel auf den breiten Kontortisch. „Mein Oberbuchhalter“, stellte der Vorsitzende vor. „Wie Sie hören, kommt er aus dem nahen Osten. Wir sind ein Unternehmen mit international gestreuten Geschäftsfeldern, daher legen wir viel Wert auf interkulturelle Kompetenz.“ „Sie müssen einiges an Renommee haben“, sagte ich anerkennend. Er nickte. „Außerdem zahlen wir viel besser als die Konkurrenz.“

Ich hatte unterdessen die Mappe geöffnet und überschlug einige Kolonnen. „Nicht schlecht“, rief ich anerkennend, „fünf Milliarden allein für die Bevölkerungsreduktion in Europa.“ Er zog die Stirn in Falten. „Zahlen“, zischte er. „Zahlen – ja, auf dem Papier stehen wir natürlich großartig da, aber auch wir kommen natürlich nicht ohne Politik aus. Wir haben die Zielvorgabe, die Bevölkerung um wenigstens ein Drittel zu verringern, weil die Industrie der Meinung ist, wenn sie nicht mehr so viel produzieren muss, kann sie auch mehr Leute rausschmeißen, dadurch steigen die Aktien – Sie kennen das.“ Der Vorsitzende wirkte angegriffen, doch ich ließ mir nichts anmerken und schlürfte bedächtig an meiner Tasse aus feinstem Elfenbein. „Auf der anderen Seite, und das sehen Sie hier, arbeiten wir natürlich am Bevölkerungsersatz, das heißt: doppelt so viele Einwanderer wie Europäer, um den Mangel an billigen Fachkräften für die Industrie zu gewährleisten. Das müssen wir unter einen Hut bringen.“

Das Telefon summte. „Wenigstens das“, sagte er tief befriedigt. „Die heutigen Chemtrails waren auf die Sekunde pünktlich. Wenn in Bad Salzuflen und in Turkmenistan ungewöhnlich viele Leute hysterisch werden, Sie wissen, woran’s liegt.“

Ein paar Zahlen machten mich stutzig. „Sie geben Geld für Impfungen aus?“ „Allerdings“, bestätigte er. „Aus gutem Grund. Wir wissen zwar, dass wir damit Autismus und Homosexualität unter die Menschen bringen, aber um unsere Technik zu verbessern, führen wir eine streng wissenschaftliche Doppelblindstudie durch. Dies hier ist übrigens die Kontrollgruppe.“ „Und die Erdbebenmaschine?“ „Wir mussten die Arbeiten einstellen“, seufzte er. „Es lief ganz gut, aber dann haben die Chinesen uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, gemeinsam mit den Japanern und Andorra.“ „Wie konnten Sie es nur so weit kommen lassen“, tadelte ich, „ein Mehrheitsvotum? Ernsthaft?“ Er war zerknirscht. „Demokratie und Weltherrschaft passen eben nicht zusammen.“

Ich sammelte die nötigen Papiere in einen Ordner und wollte gerade den Deckel schließen, als er in sein Pult griff. „Nehmen Sie das auch noch mit.“ Ich war verblüfft. „Die ganze BRD GmbH?“ „Vielleicht haben Sie ja jemanden, der sich mit Konsolidierung auskennt? Es ist auch nicht schwer, den Großteil der Schulden hat die GmbH ja bei uns. Aber es drängt.“ „Sie wollen an die Börse?“ Er pfiff durch die Zähne. „Nicht schlecht“, grinste er. „Sie lernen ja schneller als erwartet. Was verdienen Sie eigentlich so im Monat?“

Der Oberbuchhalter nahm mich wieder mit hinaus. „Mittwoch“, rief der Vorsitzende noch aus dem Kontorzimmer, „ich rechne fest bis Mittwoch mit Ihnen – jetzt müssen Sie mich entschuldigen, die Energiekonzerne kommen gleich. Wir müssen unbedingt das Perpetuum mobile verbieten!“