„Na denn kommen Sie mal mit. Treten Sie da nicht rein. Normalerweise sind sie sauber, aber immer am Wochenende müssen sie Ärger machen. Obwohl sie hier ja gar nicht arbeiten. Aber der Lieferwagen kommt halt nur einmal. Daran werden sich diese Deutschen nie gewöhnen können.
Es zwingt sie keiner, nein. Das sind offiziell alles deutsche Staatsbürger. Frauen haben wir hier keine. Auch nicht einfach. Aber für die Frauen ist das wohl auch besser. Also für die deutschen Frauen, denn wenn ich an das denke, was die hier mit dem weiblichen Personal veranstalten – das wollen Sie alles gar nicht hören. Glauben Sie mir. Unsere Sicherheitschefin, Frau Mbumi, muss da manchmal mit harter Hand durchgreifen. Das Paradoxe ist ja, wenn diese Deutschen irgendwo im Ausland sind, dann tun sie immer so, als wäre das eigentlich schon ein Teil von Deutschland, aber ihre zivilisierten Manieren und Zucht und Ordnung und diesen ganzen ideologischen Kram, den lassen sie beim Einmarschieren zu Hause liegen.
À propos Kolonien, die meisten hielten das ja anfangs für eine Art Ferienspaß. Sie sind ja nicht als Asylanten hier, sie können jederzeit zurück – also theoretisch. Dass man ihnen bei der Einreise den Pass wegnimmt, das fanden die meisten auch ganz in Ordnung, weil sie das noch so kannten aus der DDR. Dann begannen sie langsam zu kapieren, dass sie ohne das Dokument nicht mehr nach Hause können. Und nicht mehr in ein Nachbarland, falls sie trotz der Grenzkontrollen mal fliehen wollen. Das hätten sie sich besser vor der Flucht überlegen sollen, dass sich bei politischen Änderungen nicht alles so gestaltet, wie man das hätte absehen können. Aber ich will nicht ungerecht sein, das kenne ich aus unserer eigenen Geschichte. Da wählt man eine Regierung, die merkwürdige Gesetze erlässt, nur so zur Vorsicht, und dann kommt eine andere Regierung, die man gar nicht erst hat wählen lassen, und dann wendet die die Gesetze einfach an. Sie kennen das, oder?
Ach, im Grunde geht’s uns ja gut. Wir haben das Sicherheitspersonal, Hausmeister, der Einzelhandel profitiert davon, die Leute müssen irgendwie auch verpflegt werden, sie werden krank – die meisten, das war aber zu erwarten gewesen, zumindest für uns hier – oder wollen mal ins Kino. Wobei, es gibt kein Kino hier. Doch, es gibt ein Kino, das hat zwanzig Sitzplätze, ist zehn Kilometer entfernt und nur mit dem Omnibus zu erreichen, der zweimal im Monat hinfährt und dann eine Woche später wieder zurück. Für uns ist das normal. Nur die Deutschen, die müssen sich natürlich wieder aufregen. Dabei haben die nicht mal Geld, um ins Kino zu gehen. Das wird ja in der öffentlichen Debatte immer gern unterschlagen, wenn man uns vorwirft, wir würden die Deutschen schlecht versorgen. Also kulturell.
Das begann mit der ewigen Leier der deutschen Rechtspopulisten, dass man mit dem Regelsatz für Asylsuchende in deren Heimatland wie ein König leben würde. Da haben sich dann die Verfechter der deutschen Rasse irgendwann gesagt, wir haben so viel schlechte Laune, daran soll noch mal die ganze Welt genesen, und dann sind sie so nach und nach bei uns eingewandert. Manche von uns haben auch sofort reagiert, es gab jede Woche eine Anti-Dresdner-Demo, der Bachmann war hier, der war ja selbst mal afrikanischer Asylant, und als die ersten hier ankamen, da hat sich die Hysterie dann auch gelegt. Ich meine, Hand aufs Herz: Kamerun ist groß, wir kriegen auch Flüchtlinge von den Nachbarn ab, und was soll’s: braun sind die alle.
Eine gewisse Spannung ergibt sich aus der Verbindung zum christlichen Abendland: die Deutschen haben uns damals unter Kaiser Wilhelm so gründlich durchmissioniert, bis heute sind hier siebzig Prozent Christen. Wir sind natürlich tolerant gegenüber Naturreligionen, und der Hitlerkult mit den Fackelzügen ist auch ganz putzig, wir feiern ja selbst Karneval. Das ist nicht das Problem. Das Problem begann mit der Anwendung des deutschen Sozialgesetzbuches auf die Berechnung des Existenzminimums. So ein Deutscher hier bekommt einhundert Euro. Pro Monat. Damit sollte man soziokulturell minimal überleben können. Kosten der Unterkunft fallen nicht an, wenn man im Lager lebt, die Bürokratie wird vereinfacht, weil Deutsche hier keine Arbeitserlaubnis kriegen und nicht zum Aufstocken gezwungen werden – also paradiesische Zustände, könnte man meinen. Bedingungsloses Grundeinkommen. Das, wovor sie in ihrer Heimat immer gewarnt haben, weil sich das die linksgrünen Muselschwulen ausgedacht haben.
Vereinzelt gibt es Übergriffe auf unser Personal, weil die Deutschen meinen, wir nehmen denen die Arbeitsplätze weg. Wir arbeiten noch an der Lösung dafür, argumentativ kommen Sie da nicht weit.
Naja, Kleinkram halt. Ethnische Konflikte. Ist ja verständlich, wir lernen das auch erst. Dass man Schwaben und Bayern und Franken nicht in direkt benachbarte Wohncontainer steckt. Dass wir ihnen nicht die Telefone abnehmen dürfen, weil man sonst draußen denkt, die hätten sie verkauft, weil das ja verboten ist und direkt von ihren Sozialleistungen abgezogen wird. Manche wollen die unbedingt bis zur Ausreise behalten, weil sie sich sonst nicht mehr zurechtfinden. Oder keinen Kontakt mehr zur Heimat haben. Wobei, wer wieder ausreisen will, der muss halt ansparen. Wenn eine Flasche von dem eingeflogenen Bier nach deutschem Reinheitsgebot um die fünf Euro kostet – rechnen Sie sich’s aus.
So, da wären wir. Da geht’s rein. Aber machen Sie denen keine Angst, das wirkt kontraproduktiv auf ihre Integration. Seien Sie lieber positiv. Denn immerhin, wenn Sie sich mal ansehen, was diese rechtskonservativen Zeitungen schreiben: ein Land wird von mittellosen Fremden überrannt, die ihre eigenen verquasten Rechtsbegriffe und verwirrte religiöse Vorstellungen mitbringen, eine von totalitären Machtpolitikern zugrunde gerichtete Republik, die den Widerstand mit Zensur und Waffengewalt bekämpft – wollten Sie da ernsthaft in Deutschland leben?“
Satzspiegel