
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Und schon wieder hatte sich Rrt blamiert. Die ganze Erzählung war im Eimer. Erst malte er das Nashorn mit Beine statt im Dativ, dann nahm er für erlegen – Speer das falsche Personalpronomen und schrieb die Tat der Tochter zu, jenem drei Monate alten Nesthäkchen, das den Winter zu überleben schien. Vielleicht würde die Witterung das Gemälde langsam von der Felswand verschwinden lassen. Bis dahin, da war sich Rrt absolut sicher, würde er sich nur noch selbst mit der erlegten Beute abbilden – Jagd hin oder her, was am Ende des Tages zählte, war doch nur die Beute. So muss es entstanden sein, das Selfie.
Bekannt ist die Trophäenschau von Fatzke mit Fisch, der sich eitel ablichten lässt im Glanze des Geangelten. Allein störend für den Beknackten war noch immer, dass es des Fotografen bedurfte, der ihn in der austauschbaren Kulisse drapierte, um zu zeigen, dass er auch in den Uffizien Sandalen mit weißen Socken trug. Das narzisstische Surrogat, das ein Sozialleben vortäuscht, es simuliert allenfalls ein sozial verankertes Ich, das überdies in einem Netzwerk kursiert, das auch wieder nur ein Surrogat ist für eine Außenwelt, die es nie gegeben hat, mit tausenden Freunden, die keiner kennt, von denen keiner auch nur weiß, ob sie tatsächlich existieren. Das Selfie, die Selbstschussanlage des Bekloppten, ist reine Aufmerksamkeits- und Bestätigungssuche bei Adressaten in einem Schwarzen Loch.
Denn inhaltlich ist das egomanieristische Bild nichts anderes als die Entwertung der Situation – Tante Hilde steht vor dem Louvre, Tante Hilde schwitzt im Teutoburger Wald, Tante Hilde kippt in den Grand Canyon – durch die Selbstinszenierung des belanglosesten Motivs. Denn sich selbst hat der Intellektflüchtling meist dabei, die Visage kennt die halbe Welt, auch mit einer Hauswand vom anderen Ende der Milchstraße im Hintergrund. Nicht nur ein perpetuiertes Geknipse unwesentlicher Motive sickert aus der Bildebene, selbst das wird noch zum Beiwerk der Gesichtskulisse degradiert, als müsse man sich vierundzwanzig Stunden am Tag in einer vernachlässigbaren Pose nach der anderen auf das Abbild bannen, nur um nicht zu vergessen, dass man selbst dabei war. Eine entlarvender ehrliche Definition von Selbstfindung war bisher nie.
Wobei das inszenierte Ich, das gerade vor buntes Beiwerk postiert wird, nicht einmal kommuniziert mit der Welt, die es sich ausdenkt. Die technische Reproduzierbarkeit des also gezeichneten Ichs schwiemelt sich den Wunschtraum zurecht, die eigene Nase könnte so etwas wie einen Promistatus erlangen, würde sie nur oft genug gesehen, geteilt, kommentiert, mit Likes und Trallala verzuckert – aus dem Schwarzen Loch, das in seinem Vollrausch der Anscheinenswichtige zu einer amorphen Masse unkritischer Konsumenten degradiert. Eben diese Fehlwahrnehmung artet aus in die Zwangsstörung der Lautersprecher. Sie sehen nur, was sie sehen wollen (sich selbst) und lassen auch andere nur sehen, was sie sehen (sich selbst). Es gibt keine Botschaft, und genau das ist sie.
Offenbar ist das Bedürfnis, das Publikum mit immer neuen Nullaussagen zu beschmeißen, derart verzweifelt gewachsen, dass die humanevolutionäre Ausschussware schon mit Deppenzeptern durch die Gegend streifen, immer bereit, sich mit Scheiß am Stiel coram publico zum Affen zu machen. Mit etwas Glück nehmen sie die Fremdkörper aus dem Genpool, wenn sie damit auf Gerüsten und Dächern herumturnen und die Einflüsse der Gravitation auf die Materialkaltverformung antesten. Mit dem Sinken der Hemmschwelle prostituiert sich der Objektmensch auf eine Weise, die ihm vorgaukelt, in eine Scheinwelt eingetaucht zu sein, wie er sie aus dem Fernsehen kennt, nicht aber aus der Sphäre der geistigen Zurechnungsfähigkeit. Die akribische Planung, die das Scheinspontane längst geschluckt hat, resultiert aus dem Sendungsbewusstsein, als gäbe es hier ein Image zu pflegen – jeder Blödföhn ist seine eigene Marke, die ihre Oberhaut zu Markte trägt, weil mehr nicht zum Verkauf steht.
Längst existieren die ersten Anleitungen für Behämmerte, sich das richtige Kostüm aus dem Schrank werfen zu lassen, das perfekte Make-up anzulegen und das passende Bild aus einem Dutzend Versuchen zu wählen, um es per Software auf Covertauglichkeit zu trimmen, als wäre der Aknetruppenübungsplatz das Bewerbungsfoto für die Supermodelakademie im Plaste-und-Elaste-Land. Kein Wunder, dass die Blitzbirnen aussehen wie mit dem Glamourbeutel gepudert, bevor sie das Handtuch werfen. Alle werden sie mal älter als zwanzig, alle hassen ihren Bauch, dürfen nichts mehr essen, kriegen keine vollkommene Maske mehr hin und sehen schließlich aus wie alle anderen auch. Nur halt in billig. Aber sehen wir es mit Erleichterung. Solange noch nicht jede drittklassige Diva einen eigenen Videokanal mit dem eigenen Bewegtbild beschickt, auf denen zu sehen ist, wie das Bewegtbild auf einem Videokanal zu sehen ist, hält sich der Schaden in Grenzen. Jedes Medium gewinnt, wenn man es abschaltet.
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