Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCXXXVI): Doku-Soaps

8 07 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wer will schon eine glückliche Familie sehen. Glückliche Familien, und sei es auch nur eine ganz und gar harmlose Zweierbeziehung mit obligatem Goldfisch, hinterlassen diesen unangenehm bitter vorwurfsvollen Geschmack auf der Zunge: wie kann ein Mensch so werden? Hat er’s nicht alles selbst vollendet? Und doch weicht er ab vom idealisierten Durchschnitt, hat einen anderen BMI, weniger auf dem Konto, kein postmodernes Kraftfahrzeug, und leistet sich keinen Traumurlaub, oder wenigstens zweimal zu wenig im Quartal. Sie sind alle schmähliche Versager. Die Zuschauer. Nur gut, dass man ihnen als Mittel der Abgrenzung nach ganz unten die Doku-Soap gelassen hat.

Das Konzept ist so einfach, dass es auch die Zielgruppe kapiert: Spannerfernsehen von und für sozial andersartig begabte Dummklumpen. Kein Programmgenre zieht derart viele Schimmelhirne in seinen Bann, die einen, weil sie endlich mal im Fernsehen sind, die anderen, weil sie nicht die einen sein müssen. Wer in diesem Kindertheater nun als Sieger im Hirnzellenweitwurf vom Platz geht, ist noch nicht geklärt. Es kommt auf den Einzelfall an.

Kleinere Kaliber probieren sich am Leben der anderen, wie wir es eh schon zu kennen meinen. Der Alltag von Polizisten und Parkwächtern fußt noch auf der moralingetränkten, im Krimi und der ubiquitären Gerichtsshow präsenten Erektion des Zeigefingers, wie er von Erbsünde, öffentlichem Recht und gesellschaftlicher Degeneration befleckte Hobbybrezeln in ihre Schranken weist. Zwei Nasen im Gefecht mit besoffenen Schwarzfahrern und dem drohenden Wohnungseinbruch wegen der durchreisenden Schlawiner – die Ordnungshüter im Sumpf der Verdeppung wecken den Wunsch nach der Falschparker-Gestapo samt mobilem Schafott, langsam, ganz langsam, sehr, sehr, sehr langsam (es handelt sich um Innenminister) bewegen die Länder sich, verbieten gezielte Verdusselung der Beamten, und die TV-Wirtschaft muss sich etwas Neues ausdenken. Das Problem ist, ihr fällt auch hier wieder etwas ein.

Flugs tritt man das Niveau noch weiter nach unten. Kurz vor der Erdkruste entdeckt die Firma den Dauerbrenner Schadenfreude, der noch jedes beknackte Format gerettet hat. Niedermolekular verzahnt mit einem Voyeurismus sadistischer Art sucht sich das seine Opfer. Adipöse mit Haarausfall, Bildungsferne mit Sprachfehler, beziehungs- und triebgestörte, psychisch beeinträchtigte Honks im Urlaub, auf Partner- oder Jobsuche, kurz: der sich als geistig gesund einschätzende Querkämmer sieht ihren Resozialisationsversuchen beim Scheitern zu, nimmt seinen eigenen Hirnschaden aber nicht wahr.

Das Setting garantiert, dass eine der aus wirrem Genmaterial zusammengecasteten Schnackbratzen die intellektuelle Abwrackprämie der ganzen Folge kassiert haben muss, wodurch sich eine an leisen Brechreiz gemahnende Fremdscham breitmacht. Was dort an vor dem Spaßkarren weggehüpften Maultieren seinen unsortierten Verbalmüll ins unschuldige Medium absondert, während es sich von Fett und Zucker ernährt, selbstreferenziell TV-Trash konsumiert und die Kinder auf ein Leben im Abseits vorbereitet, löst bei den Fachleuten für angewandte Sozialpornografie allenfalls wohligen Grusel aus. Zwischendurch watet ein Spitzenkoch durch bröckelndes Küchenmobiliar und zieht aus Wasserdampf und billigen Sprüchen ein Restaurant aus der Fünftklassigkeit. Hinterm Baum hervor balzt ein abgehalfterter Landwirt, trifft frontal auf eine Schwiegermutter aus welkendem Polyester mit Sprech- und Schluckmodul, Totalschaden, aus. Das Ergebnis ist unscharf hingequarkter Matsch, den der Schnitt nicht einmal mit der Axt retten könnte, aber was kümmert das Unterschichtsgucker, die mit dem entsprechenden Pegel eh nicht aufnahmefähiger sind als eine gebrauchte Hundewindel.

Die Realität hält dem Mist leider nicht Stand und muss auf die Schnelle aufgefettet werden. Schon entsteht, was als Scripted Reality bekannt wurde. Zwar eine Realität, wie sie im Frontallappen eines triebgestörten Schwerstalkoholikers nach gründlichem Schlafentzug entsteht, wenn er kurz vor Abgabeschluss mit der Birne an den Balken bumst, aber immerhin eine Art Realität. Es wurden schon Weltreligionen aus weniger tragfähigem Material zusammengeschwiemelt.

Wahrscheinlich haben sich die Knalltüten auf dem Sofa längst damit abgefunden, dass keins der im Suff entstandenen Schauermärchen auch nur einen Funken Wirklichkeit enthält, dafür Blut und Tränen, Schweiß und Scheiße. Wer denkt, die aus Emotionen und Selbsterniedrigung geschwappte Gülle habe der überlebt, der sich als dicht am Zuschauer positionierte Figur auf der Schussfahrt zur Nachahmung empfehle, der irrt gewaltig. Es sind die glücklich Dummen, die den Dreck ohne Hirnembolie wegstecken, die inwendig blondierten Blödföhnaushilfen, die ihr zur Existenz geronnenes Torkeln im Schrott wegstecken, weil das Langzeitgedächtnis nicht mehr auf die Reihe kriegt. Auch die kann man beneiden um ihr Kollektivkoma und das Glück, doof zu sein wie ein Prellbock. Aber dann wäre man ja ein Pharisäer.