Schnellvertreter

28 07 2016

„Es dauert mal wieder länger“, seufzte sie und schob den Teller mit den Keksen über den Tresen. Das Telefon klingelte. Luzie meldete sich. Aus dem Faxgerät quoll Papier. Die Kanzlei hatte gut zu tun, nur Anne war nicht da.

„Die Hüppelmann-Verträge.“ Sie blätterte im Tischkalender. „Dann Gerichtstermin, noch einer, noch einer und noch einer.“ Ich stellte den Koffer mit der Bohrmaschine auf das kleine Tischchen in der Sitzgruppe, warf den Mantel auf den Ständer, an dem sonst der schwarze Talar hing, und guckte ins Beratungszimmer. Die beiden neuen Bilder standen noch hinter dem Schreibtisch und warteten darauf, dass die Wand Löcher bekam. Halb zwölf. Ich war jedenfalls pünktlich gewesen.

Da pochte es plötzlich heftig gegen die Tür. Hatte Anne etwa wieder ihren Schlüssel vergessen? „Knolz“, stellte sich der schwitzende Mann vor, „ich hatte angerufen, das heißt, ich wollte, aber das waren ja nicht Sie, und da ging dann keiner dran, aber Sie haben noch offen, und jetzt bin ich hier.“ Der das Evidente so formschön aussprach, steckte in einem viel zu engen Anzug – es lag nicht etwa am Anzug, sondern daran, dass man mit diesem Aussehen leicht Anzüge findet, die zu eng sind – und stürmte auf mich zu. „Gestatte mir.“ Dazu schloss er die Tür. Schon saß er, und zwar auf dem Stuhl gegenüber dem Schreibtisch.

„Hören Sie“, begann ich, „ich würde Sie doch recht herzlich dazu auffordern…“ „Sie werden dies Schwein fertigmachen“, keuchte er und wühlte in den Taschen seiner Jacke nach irgendetwas. „Sie sind ja wohl Fachmann, oder? Also gehört habe ich schon von Ihnen hier, Sie arbeiten ja in Sozilität, und deshalb bin ich hier.“ Es handelte sich um ein fotokopiertes Blatt mit der Aufschrift VERSCHWINDE SONST SETZT ES WAS. Ich warf einen Blick auf den Zettel. „Sie werden erpresst“, schloss ich. Knolz nickte empört. „Das Schwein haut einfach nicht ab! Da musste ich ihm natürlich die Botschaft hier hinter den Scheibenwischer – ich schwöre, der war schon lose, der wäre auch von alleine abgebrochen! Aber Sie brauchen das hier zur Vollständigkeit für die Akten.“ Damit reichte er mir die Drohung über den Schreibtisch. Ich hatte einen Mandanten.

„Also gut“, presste ich hervor, „dann erzählen Sie mal von Anfang an.“ Knolz lehnte sich zurück. „Direkt vor meiner Ausfahrt. Direkt davon!“ Er schüttelte in höchster Erregung seine kleinen Hände vor dem Gesicht. „Und das ist jetzt drei Tage her, dass ich mir das gefallen lasse, dabei habe ich doch ein Schild an der Ausfahrt, dass man da nicht parken darf.“ „Sie kommen mit Ihrem Wagen also nicht mehr vom Grundstück“, resümierte ich, aber sofort unterbrach er. „Hören Sie mir überhaupt zu“, bellte Knolz, „ich habe doch gar kein Auto, aber dieser Verbrecher parkt davor – das lasse ich mir aber nicht gefallen, und jetzt werden wir klagen! Sie werden ein Formular haben für so etwas, ja? das bereiten Sie schon mal vor, und wenn das dumme Schwein wieder da ist, dann klagen wir ihn an!“

Mein Finger musste versehentlich auf die Taste gekommen sein, die am Empfang die Sprechanlage einschaltet. „Sie wissen also, wessen Auto da bei Ihnen vor der Einfahrt parkt? Warum lassen Sie es nicht einfach abschleppen?“ „Eben nicht“, knurrte Knolz. „Er ist ja gar nicht da, aber ich habe ihn in Verdacht, dass er erst sein Auto da geparkt hat und danach dann verschwunden ist.“ Derart brillanter Logik konnte auch ich mich nicht entziehen. „Und wem gehört nun das Auto?“ „Dem neuen Nachbarn, aber das würde er ja nie zugeben.“ „Hat er es Ihnen denn gesagt oder haben Sie ihn in diesem Wagen schon einmal gesehen?“ Der Mann verlor fast die Nerven. „Wenn ein Auto mit fremdem Kennzeichen da parkt, kann es doch keiner aus der Straße sein, dann muss es vom Nachbarn kommen! Und der ist eben nicht aufzufinden – im Urlaub, sagt der von gegenüber, der hat’s selbst gehört.“ Langsam wurde mir das Theater zu viel. „Sie holen jetzt die Polizei, und dann lassen Sie die Karre eben abschleppen.“ „Aber das geht doch nicht“, schrie Knolz. „Ich musste das doch tun, es war Notwehr! Und mit platten Reifen kann man den auch nicht mehr so einfach abschleppen.“ Ich sah ihn entgeistert an. „Sie haben die Ventile aufgedreht?“ „Sie hören mir ja gar nicht zu“, brüllte er zurück, „das macht man doch mit dem Taschenmesser!“

Da klopfte es an der Tür. Luzie Freese, mit diversen Akten beladen, musterte den Mandanten sehr reserviert. Aber es wäre nicht Luzie gewesen, die die Papiere ihrer Chefin stets schwungvoll mit luziefr zeichnete, wenn sie sich nicht in der Tür noch einmal umgedreht hätte. „Ehe ich’s vergesse, der Staatsanwalt ruft zurück. Ich stelle Ihnen das Gespräch durch.“

Da klingelte auch schon das Telefon. Ich hob ab. „Haben Sie die Unterlagen bekommen? Sehr schön, dann sind wir jetzt ja – was?“ Knolz studierte seine Fingernägel. „Seit wann denn? Interessant, und wo? Haben Sie schon einen Verdacht?“ Jetzt nestelte er ein Taschentuch aus seiner Hose. „Sehen Sie, auf unsere Polizei ist da Verlass, die finden einen Wagen normalerweise innerhalb von – wie!? Haben sie Fingerabdrücke gesichert? Gut, gut. Aber ich frage mich, wer macht so etwas? und gleich alle vier Reifen?“ Er hielt sich krampfhaft an der Tischplatte fest. „Und die Spurensicherung ist auch schon unterwegs?“ „Aber es waren doch nur zwei“, wimmerte Knolz, „zwei Reifen, ich schwöre!“ Nach besten Empfehlungen an die Gattin legte ich den Hörer auf. „Sie sollten vielleicht erst einmal untertauchen“, sinnierte ich. „Gegenüber finden Sie ein Reisebüro, die haben bestimmt noch ein Last-Minute-Angebot.“ Fluchtartig verließ er den Raum.

Wenige Minuten später kehrte Anne zurück. „Es ist zum Wegrennen“, stöhnte sie und schmiss den Talar auf den Kleiderständer. „Ich hätte diesem Vollidioten einen Korken in den Hals schieben sollen – er redet und redet, und dabei hört er noch nicht einmal zu, was ich ihm sage. Was könnte das Leben schön sein ohne Mandanten!“ Ich trug eins der Bilder zur gegenüberliegenden Wand. „Siehst Du“, sagte ich, „und genau deshalb bin ich nicht Jurist geworden.“