Hildegard rührte unschlüssig in ihrer Kaffeetasse. „Ich müsste spätestens heute die Bluse aus der Reinigung holen“, verkündete sie. „Also musst Du sie heute abholen“, gab ich zurück. „Denn wenn Du sie heute nicht abholst, dann ist es ja morgen zu spät.“ „Stimmt“, sagte sie gedankenverloren. „Welche Bluse übrigens?“
Jedenfalls war es nicht meine. Hildegard wollte sie nur zu einem kleinen Umtrunk anziehen, den Doktor Klengel anlässlich seines 75. Geburtstages geplant hatte. „Ich würde sie ja abholen“, sagte ich mit deutlichem Bedauern, „aber ich wollte doch nach einer Glückwunschkarte suchen.“ Sie drückte gelangweilt das Innere der oberen Brötchenhälfte zusammen. „Wozu brauchen wir denn eine Karte? Alle werden mit einer Flasche Wein kommen oder einem Bildband, da muss man doch nicht auch noch eine Glückwunschkarte schicken?“ „Die werden wir selbstverständlich an den Rasenmäher kleben“, erklärte ich, „außerdem war die Glückwunschkarte Deine Idee.“ „Du kommst immer nur auf so dumme Gedanken wie den Rasenmäher“, brauste Hildegard auf, „dann kümmere Dich auch um das Ding.“ „Den hatte sich Doktor Klengel ausdrücklich zum Geburtstag gewünscht“, begehrte ich auf. Aber sie hörte schon gar nicht mehr zu. Das Brötchen war wichtiger.
„Außerdem brauchen wir neues Schreibpapier“, stellte Hildegard fest. „Schon seit gestern Abend.“ „Es ist das gleiche Problem wie Deine Bluse“, stellte ich fest. „Du hast es gestern festgestellt, kurz vor dem Schlafengehen. Wie hätte ich denn bis jetzt Schreibpapier besorgen sollen?“ „Lenk jetzt nicht ab“, fuhr sie mich an. „Du willst bloß nicht meine Bluse aus der Reinigung abholen, nur weil Du dazu die ganze Straße heruntergehen müsstest!“ „Das wäre vielleicht sogar ganz praktisch“, überlegte ich, „auf dem Weg könnte ich gleich noch in die Drogerie um die Ecke und eine Flasche Reinigungsmittel für die Treppe besorgen.“ „Wer putzt denn hier immer die Treppe?“ Gut, ich putzte immer die Treppe, es war ja auch meine Wohnung, aber ich hatte wohl im Eifer des Gefechts einen Denkfehler gemacht.
„Wenn Du sowieso gerade unterwegs bist“, erklärte Hildegard, „dann könntest Du doch auch das Zeitungsabonnement abbestellen.“ „Welches Zeitungsabonnement“, fragte ich. Sie zupfte wütend die Krume aus der anderen Brötchenhälfte. „Du hörst mir eben nicht zu“, knurrte sie, „ich brauche überhaupt keine Zeitung, das ist rausgeworfenes Geld, und das wird jetzt abbestellt. Basta!“ Damit schob sie resolut einen Coupon über den Tisch, der besagte, dass sie nach zwei Wochen regelmäßigem Bezug eines Lokalblattes keinen weiteren Bezug mehr wünschte. Ich hatte davon nichts wissen können, schließlich war die Zeitung an ihre Adresse geliefert worden, was auch nicht verwunderlich war. Sie hatte sie ja selbst bestellt. „Das liegt aber in der Stadt“, konstatierte ich. „Es ist nicht weit entfernt von der Reinigung, Du könntest also Deine Bluse abholen und dann zur Zeitung.“ Hildegard kratzte den Tassenboden auf. „Wenn ich in der Reinigung anstehe, dauert das wieder Stunden! Ich möchte nicht wissen, wie mich die Typen aus dem Abonnementsbüro ansehen, wenn ich so kurz vor Feierabend mit einer Kündigung hineinkomme!“ „Erstens“, konstatierte ich kühl, „haben wir noch nicht einmal halb acht, zweitens könntest Du auch erst zur Reinigung und dann mit der Kündigung ins Zeitungshaus.“ Sie sah mich feindselig an. „Und da man das Abonnement auch online kündigen kann, warum musst Du Dir überhaupt Sorgen machen?“ Sie knirschte mit den Zähnen. „Das heißt, ich muss gar nicht in die Innenstadt?“ Gerade wollte ich Luft holen, aber es war schon zu spät. „Dann frage ich mich, warum Du nicht jetzt sofort das Abonnement kündigst und Dich sofort auf den Weg machst, um die Bluse zu holen!“
Seufzend packte ich den Einkaufskorb. „Es bleibt bei Melone mit Schinken?“ Hildegard nickte. „Natürlich“, versicherte sie, „darauf habe ich mich schon das ganze Wochenende gefreut. Und bring genügend Kartoffeln mit.“ „Wozu brauchen wir denn Kartoffeln“, antwortete ich, „wir haben…“ „Melone mit Schinken“, fiel sie mir ins Wort, „ist eben Melone mit Schinken, und ich bin davon noch nie satt geworden. Aber wenn Du unbedingt nur eine Kleinigkeit essen willst – bitte, ich dränge mich ja nicht auf!“ „Dann muss ich doch zum Schreibwarenhändler“, stellte ich fest, „wegen der Karte und für das Schreibpapier, aber das ist dann ganz am Ende der Stadt.“ „Sehr gut“, befand sie. „Das ist eine gute Idee. Wenn Du sowieso einmal quer durch die Stadt musst, dann kannst Du bei der Gelegenheit auch gleich den Rasenmäher besorgen. Sie werden sich sicher im Schreibwarenhandel nicht wundern, wenn Du ihn vor der Tür lässt.“ „Ganz sicher nicht“, knurrte ich, „nur dann, wenn ich ihn mit in die Reinigung nehme.“ „Jetzt sei nicht kindisch“, moserte Hildegard. „Mir ist auch klar, dass das eine größere Besorgung ist, aber andere Leute fragen vorher noch im Reisebüro nach kurzfristigen Angeboten nach und bringen dann den Hund zum Tierarzt.“ „Welchen Hund?“ Hildegard zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ich meine ja nur. Aber das ist doch nun wirklich zu schaffen, oder?“ Wortlos packte ich den Korb. „Und denk ja an das Reinigungsmittel“, hörte ich sie noch, „ich habe es Dir gesagt – Männer kriegen ja alleine nie irgendwas auf die Reihe!“
Satzspiegel