
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Bis zum dreizehnten Nachkommen war mit Uga alles okay. Er hieb Nashörnern eine rein und den Nachbarn über die Rübe, wenn sie sich an seine Töchter wagten. Sogar Betriebsratsvorsitzender der Beerensammler wurde er, mehrfach einstimmig wiedergewählt. Aber irgendwann, es war ein kalter Winter gewesen mit vielen schauerlichen Märchen, da wollten sie nichts mehr von ihm wissen, nichts mehr von seinem Weib, schließlich auch nichts mehr von seinem gebärfähigen Nachwuchs. Die Alten murmelten es am Feuer, die Jüngeren hinter vorgehaltener Hand: das Böse hatte Besitz von der Sippe ergriffen. Man konnte nicht mehr mit ihnen verkehren, ohne gründlich infiziert zu werden.
Jahre zogen ins Land, der Mensch wurde doch noch klug – Kreuzzüge, Hexenjagd und das Dritte Reich waren ja schließlich irgendwann Geschichte und also nicht mehr relevant – und die Idee eines konkretisierten Verderbens wurde nun endlich vom Geist durchdrungen, den er übriggelassen hatte. Das Böse: wer durch Jahrhunderte abendländischen Klamauks durchschwiemelt an Pflanzenfresser mit Schwefelatem gewöhnt war – der panische Typ mit Hörnern und Hufen ist nach gängiger Physiologie nun mal Veganer, Darwin kann auch nichts dafür – sucht sich schnell eine Karnevalsfigur, um seine unheilvollen Seiten zu fassen zu kriegen. Denn darum geht es doch.
Mord, Neid und Gier, sie sind zunächst nur eine Fehlleistung der Impulskontrolle, wenn sie der dünne Glanzlack der Zivilisation nicht hat im Zaum halten können. Kaum bricht es aus dem Bekloppten heraus, wenn er im Finanzamt Dummklumpen mit der Motorsäge zu Blutsuppe verkärchert, attestiert die Psychoanalyse ihm schon Schuldunfähigkeit, da das Schlimmerhaftige Besitz ergriffen hat von ihm. Ist es denn die Norm, dem Formularhengst nicht das Nasenbein in den Schädel zu integrieren, sieht die anthropologische Konstante des Urmenschen es nicht viel eher als natürliche Reaktion auf blödes Gefasel mit vielfarbigen Faltblättern vor, die Art vor Schaden zu bewahren, indem sie derart Gewölle zu Feinstaub reibt? Wohnt also das Böse dem Ich inne, unveräußerlich als Es, das sich treiben lässt und sich erst einfangen lässt, wenn es fast schon zu spät ist?
Die Wahl, das Böse als solches zu deklarieren, fiel noch immer auf religiöse Kontrollsysteme, die in ihrem Absolutheitsanspruch auf Deutungshoheit noch nie versagt haben, wenngleich ihre Motive selten wahrhaftig waren. Sie selbst konnten schon mal nicht von der dunklen Seite der Macht sein, wie bekanntlich auch alle normal sind, die es für sich in Anspruch nehmen. Die Lösung liegt auf der Hand und wird mit Vorliebe als Abkehr vom Schlechten praktiziert, das ja böse sein muss, da es schlecht ist. Spaltet man es nun noch ab, presst es ins Korsett billiger Personifizierung, so hat man schnell die Unschuld zur Hand, vielseitig einsetzbar wie der Finger, mit dem man auf die anderen zeigt.
Schnell und chirurgisch präzise lassen sich auf einmal die Auswüchse der Neigung darstellen, das Sittengesetz zu brechen. Nur sind Killerspiele, Sex und Askese – alles ist hier richtig, vor allem aber auch das Gegenteil – hier nicht mehr Ausdruck der Bosheit, sondern zu ihrem Auslöser geworden. Das Böse banalisiert längst nicht mehr nur sich selbst, es hat die Beweislast umgekehrt. So ist aus der Möglichkeit der Schuld eine Waffe, aus dem Sittengesetz eine Anleitung zum Abschaffen des Menschen zu machen.
Und der Kampfbegriff wirkt. Längst hängt eine aus praktischer Vernunft gerottete Masse der Idee an, auch soziale, politische oder wirtschaftliche Normen zur Kontrolle der ständigen Reflexion zu gebrauchen. Die Etikettierung der anderen zum Bösen ist bewährt, enthebt endgültig der eigenen Rechtfertigung, die ja die Geschichte übernehmen wird, und spornt zum radikal Guten an. Nicht einmal mehr das populäre Konzept, sich für eine Seite entscheiden zu können, wie es die Religionen als letzten liberalen Hauch anbieten, ließe sich zur Norm umbiegen. Sobald sich eine einigermaßen verständliche Haltung durchgesetzt hat, das Böse zu erkennen und es als Feind des Guten durch die Notwendigkeit des Unmoralischen zu beseitigen, haben die Direktiven der säkularen Welt die Religion ersetzt, und das ganz ohne den liberalen Deckmantel.
Das Böse also zerstört die Welt, indem es die Norm nicht anerkennt, die es kategorisiert. Es wohnt dem Denken inne, bricht sich da Bahn, wo es nicht aufgehalten wird, und schürt die irrationale Vorstellung, man könne es verhindern, vermeiden, vertilgen. Genau hier beginnt eins der schauerlichen Märchen, mit denen man Kinder jeden Alters in Unsicherheit wiegt, nur um sie zur Verzweiflung zu treiben mit der schlechtesten aller Nachrichten: alles wird gut. Nur wann und wie, das kann ihnen keiner verraten. Wozu auch.
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