Heilpraktiker

18 08 2016

„Und Ihre Überweisung bräuchte ich dann bitte noch.“ Die Dame am Empfang lächelte freundlich, aber ich konnte ihr doch nicht helfen. „Ich habe einen Termin mit Herrn Flöterich“, erklärte ich, „und ich komme ein wenig früher.“ „Privatpatient“, strahlte sie. „Hätten Sie das doch gleich gesagt! Vorab ein Tässchen Kaffee?“ War es doch nur eine ganz normale Praxis wie so viele hierzulande?

Ich hatte meinen Mantel kaum an den Haken gehängt, da kam er auch schon. „Flöterich, ich bin der Heilpraktiker.“ Er verneigte sich leicht und fasste mich sogleich unter. „Sie werden sicher schon einige Dinge über unser Institut gehört haben, und ich kann Ihnen versichern: es ist alles falsch.“ „Sie scheinen Ihren Ruf recht genau zu kennen“, antwortete ich, kam mir dabei besonders bissig vor und hatte doch nicht mit seiner milde belustigten Reaktion gerechnet. „Wie gesagt“, gab er zurück, „die Leute denken immer, ich sei nur Heilpraktiker, weil ich es nie zu einem ordentlichen Medizinstudium gereicht hätte. Das ist aber falsch, und ich werde es Ihnen gerne zeigen.“ Damit lüpfte er die silberne Haube auf dem Anrichtewägelchen, unter der sich ein gebratenes Huhn mit mancherlei Gemüsen befand. Ein dienstbarer Geist klopfte an die Tür, öffnete sie und schob den Wagen hinein.

„Wie Sie sehen“, erläuterte Flöterich, „ist uns an einer individuelle Therapie gelegen. Die Dame bekommt die beste Behandlung, die sich wünschen kann.“ Die Patientin lag auf einem römischen Sofa, ein überdimensionales Lätzchen umgebunden, und genoss gerade einen leichten Zwischengang. Nun nahm sie sich das Brathuhn vor. „Sicher haben Sie bereits von vielen entschlackenden, entgiftenden Prozeduren gehört, Detox, Ausleitung, Heilfasten.“ Ich nickte. „Alles Humbug. Wir praktizieren kein Heilfasten, sondern Heilfressen.“ Der Pfleger legte Röstkartoffeln nach und goss üppig Sauce auf den Teller. „Sie sehen, die therapeutische Wirkung setzt umgehend ein.“

Am Ende des Ganges rollte bereits ein neuer Wagen an. Flöterich schloss leise die Tür hinter uns und blickte auf seine Liste. „Sie sind noch nicht überzeugt“, merkte er an, „aber das wird sich glech ändern. Kommen Sie mit.“ Und er öffnete die nächste Tür, hinter der sich eine Nasszelle verbarg. Ein junger Mann lag wie im Halbschlaf in einer Badewanne, dick bedeckt mit knisterndem Schaum. „Wasseranwendungen im Kurbetrieb werden Ihnen wohl geläufig sein“, sagte Flöterich. „Und hier wird nun also das Heilbaden betrieben. Unser Patient liegt bereits seit drei Stunden drin, und das Wasser wird gewissenhaft temperiert.“ Auf Zehenspitzen schlichen wir uns wieder hinaus.

„Warum bezeichnen Sie sich als Heilpraktiker?“ Er lächelte wieder sein mildes Lächeln. „Weil ich einer bin, im Gegensatz zu denen, die sich nur als solche bezeichnen. Wir arbeiten nicht theoretisch mit den Menschen, und ich kenne mich mit der Theorie auch nicht so aus. Deshalb mache ich mit den Patienten etwas Richtiges.“ Der nächste Wagen rollte schon an – es roch nach Schmalzgebackenem – und ich fasste mir ein Herz. „Schön und gut, aber haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht über die Nebenwirkungen dieser Therapie? Ihre Patienten sind glücklich, aber fett, und das soll gesund sein?“ Er wischte die Bemerkung mit einem raschen Armschwung beiseite. „Es gibt ja auch kein Medikament ohne Nebenwirkungen. Warum sollten wir dann den Menschen vorgaukeln, dass eine Heilbehandlung bei uns keine hat?“

In einem weiteren Raum war nichts zu sehen, nur ein leises Schnarchen ließ erahnen, was darin geschah. Auf dem Therapiebalkon saß ein älterer Herr mit einem großen Bücherstapel. „Wir kombinieren auch“, sagte Flöterich. „Natürlich nur da, wo es sich anbietet – Baden und Lesen sind leichter zu bewerkstelligen, Schlafen und Essen weniger leicht.“ Dann kamen wir in das Zimmer, das vollgestellt war mit Kleiderständern. Ein Mann rannte darin herum, häufte sich Hemden über den Arm, Schuhe, Krawatten. „Das werden Sie doch auch kennen?“ Doch ich verstand es nicht recht. „Heilshoppen.“ Heilshoppen? „Für manche ist es eine Strafe, aber manche genießen es und erleben es doch nie als wirklich genussvoll. Hier setzen wir an und entwickeln eine patientenorientierte Therapie. Das unterscheidet uns von anderen.“ Ich verstand es nicht gleich. „Ist das nicht alles dasselbe?“ Wieder lächelte Flöterich milde. „Anderen Heilpraktikern geht es vor allem um ihren Geldbeutel. Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch etwas.“

Der Raum war komplett schallisoliert, man hörte das Gebrüll erst, als Flöterich die Tür geöffnet hatte. Der Mann schrie und schrie; offenbar war für ihn die zufällige Herkunft aus Deutschland sehr wichtig. Er brüllte, spuckte und stampfte mit den Füßen auf, wollte, dass Deutschland schön deutsch bleibt, und kündigte an, die Kanzlerin in der Zwangsjacke ins Gefängnis zu stecken. Da strauchelte er, ich hatte nicht gesehen, dass er an einem Gummiband hing, und fiel auf die Nase. Er musste sich empfindlich verletzt haben, denn er blutete und schrie weiter. Erst jetzt fiel mir die Frau auf, die an der gegenüberliegenden Wand in einem Sessel saß, eine Teetasse auf dem kleinen Tischchen neben sich, und amüsiert zusah. „Wir sind“, sagte Flöterich, „eben an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.“


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