
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Es waren einmal zwei… nein, anders: in einem finsteren Wald hatte sich eine alte… es lebte einmal ein Mädchen, das hatte keine… Nichts zu machen, mit derlei Botschaften wird man von der Hirnschwundbeauftragten an den Augenlidern aus dem Saal gezogen und an die Wand getackert, mit biologisch-dynamischem Fallobst beworfen und bis zum Verlust der Muttersprache von indigener Nasenflötenmusik beschallt. Kinder, die sich einmal im Wald verlaufen haben, sagt die in einen Sack aus Jute und Holzspäne gehängte untergewichtige Frau mit der Dritte-Welt-Frisur, könnten bis zu drei Tage lang schlecht schlafen, entscheidende Kenntnisse bei der Chinesischfrühförderung verpassen und den Wunsch entwickeln, nur noch in Großstädten leben zu wollen. Die nicht allein erzogenen Mädel und Knaben wären möglicherweise nicht in der Lage, den temporären Verlust eines Elternteils zu verkraften. Den Wolf hatte sie schon vorher im Beisein einer Bezugsperson mit der Glock von Opa über die Wupper geschickt. Schließlich ist sie dafür verantwortlich, dass wir in einer enttriggerten Welt vegetieren dürfen.
Alle Naselang plärrten die Warnhinweise am Anfang es aus: Vorsicht, Rassismus! Sexismus! Rosenkohl! Noch bevor ein Text mit der Reflexion überhaupt beginnen kann, keucht es aus ihm, hier werde dem Subjekt Böses über die Rübe gezogen. Bloß nicht lesen bei abweichender Hautfarbe, mangelnder Kenntnis historischer Forschung oder persönlicher Betroffenheit, also gerade dann, wenn die Auseinandersetzung mit einer kontroversen Position besonders notwendig wäre. Denn der, der einen Text liest, ist immer nur das Subjekt, das mit seiner Konnotation das Verständnis versaut, nicht aber die Gesellschaft, die sich mit dem Text auseinandersetzen sollte. Wenn über jedem Beitrag, der Missbrauch und Sexismus thematisiert, bunt blinkende Barrikaden kleben, wird sich mit dem Thema jedenfalls keiner mehr beschäftigen. Erst recht nicht kritisch.
Überhaupt, was hupt da am Eingang? ist nicht jene stereotype Triggerwarnung schon Trigger genug, um negative Reaktionen auszulösen? Wer sich als Betroffener weigert, die juristische oder politische Aufarbeitung von Rassismus oder Sexismus auch nur zu diskutieren, weil man dazu die verhassten Begriffe zur Kenntnis nehmen müsste, perforiert seine Wahrnehmung an entscheidender Stelle. Hand in Hand mit dem Kopf-in-den-Sand-Modell geht die bizarre Forderung, als Betroffener aber nur selbst über gesellschaftliche Ausgrenzung diskutieren zu dürfen – Hütchenspiel als Kunstform, Hauptsache, man kann tapfer gegen die anderen anschreien. Nicht zufällig geht die Stereotypisierung der Opferrolle harmonisch mit zwanghaft auf politische Korrektheit getrimmte Kommunikation einher.
Jener Getriebesand, grobe Mischung, ist auch nichts anderes als eine im pseudomoralistischen Zurückbildungssystem zusammengeschwiemelte Masse aus Neusprech und vulgärpsychologischen Sedativa, die zunächst als Kontrolle des kulturellen Diskurses dient und dann, um sich die Macht unter den Nagel zu reißen, zur Kontrolle über die Vergangenheit. Wie die politische Korrektheit die Begriffe weichspeichelt, macht ein Triggeralarm die Beschäftigung mit den Dingen eigentlich schon obsolet, weil sie dem Realitätsallergiker mit viel Gehampel vormacht, es gäbe keine Vergewaltigung mehr, schriebe nur nie mehr jemand Vergewaltigung. Oder läse es, stünde es denn schon geschrieben. Eine weitere Stufe der Entmündigung in einer komplett paternalisierten Wattebäuschchenwelt, mehr ist es nicht. Das Rezept indes ist nicht neu, es lässt sich mit Bordmitteln auch leicht nachkochen. Die Welt mit allerhand Gefahren zur potenziellen Hölle aufzupumpen dient nur der Installation zusätzlicher Zensurmaßnahmen, die sich daneben beliebig weiternutzen lassen. Wer die Säge hat, will auch sägen irgendwann.
Doch wer nimmt überhaupt den Menschen ernst oder seine Vielfalt von Ängsten, gerade denen, die tatsächlich subjektiv erlebt werden? Wer kümmert sich um Agoraphobie oder Furcht vor Spinnen? Wer nimmt posttraumatische Belastungsstörungen als soziales Phänomen wahr? Es ist wohl einfacher, den Käfig mit den Ratten in den Raum zu stellen und bei freier Sicht eine Rolle Flatterband um die Gitter zu wickeln, damit auch jeder sieht: hier beginnt die Schutzlosigkeit. Und kann man in diesen Zeiten Nachrichtensendungen überhaupt noch ohne Triggerwarnung bringen, ohne in die Abmahnfalle zu stolpern? Brauchen wir ein Ganzkörperpflaster gegen Anwälte? Oder nur eine rosarote Brille, um die real existierende Gewalt hinter niedlichen Definitionen zu verschanzen, um uns nicht mehr dem Trauma zu stellen. Der Wolf wusste noch, dass genau das seine Chance war: niemand musste ihn sehen, um ihn zu fürchten, reichte seine gefühlte Existenz. Keiner sprach seinen Namen aus. Er lebte von seinem Ruf. Es funktioniert noch heute.
Satzspiegel