Reisewarnung

24 10 2016

„Nein, nicht Terrorismus, Tourismus! obwohl, hier in Dresden geht das eine ja zuweilen fließend in das andere über.

Deshalb belehren wir die Gäste auch lieber vor der Einreise, damit wir dann hinterher nicht wieder so viele Straftaten haben. Und das ist ja auch kein einfacher Prozess, denn was der Sachse als Straftat ansieht, unterscheidet sich teilweise ganz erheblich von der gängigen Rechtsauffassung im übrigen Bundesgebiet. Die eigenen Taten eingeschlossen.

Also Sie waren schon mal in Sachsen? ach so, 1986 – nee, so viel hat sich nicht geändert. Die Einfuhr westlicher Presseerzeugnisse ist immer noch nicht erlaubt, und wir raten von Experimenten damit entschieden ab. Offiziell dürfen Sie sich auch nicht gegen Juden äußern, und wir empfehlen den Reisenden, keine Diskussionen mit Einheimischen darüber anzufangen. Teile der Bevölkerung fühlen sich dabei doch erheblich verunsichert, und dann sorgen die dafür, dass es zu Missverständnissen kommt. Halten Sie zu Themen wie Rassismus oder Gewalt gegen Minderheiten am besten den Mund. Die sächsische Landesregierung sollte Ihnen als Vorbild ausreichen.

Nehmen Sie so eine Fahne mit. Ja, das ist eine Reichskriegsflagge, aber Sie sind halt in Sachsen. Da fallen Sie ohne Reichskriegsflagge viel mehr auf als ohne. Einfach nur bei sich führen, wenn mal eine Menschenansammlung im Weg ist, ziehen Sie das Ding aus der Tasche, brüllen wirres Zeug, und dann lässt man Sie in Ruhe. Welche Sticker? die Hakenkreuzsticker, ach so. Ja, die haben wir noch, aber die geben wir nicht mehr aus. Das ist für die ganz schweren Fälle, wenn sich Passanten gar nicht mehr ins Straßenbild integrieren können und eine Art Schutzwaffe gegen die freie Meinungsäußerung anlegen müssen. Stellen Sie sich vor, Sie geraten in eine Verkündigung des gesunden Volksempfindens und sind vollkommen unbeteiligt, und Sie haben auch keine weiteren Vorkehrungen dafür getroffen, dass man Sie deshalb krankenhausreif schlägt. Da haben Sie ein Problem. Deshalb sollten Sie erstens den Verkehrsfunk genau verfolgen und zweitens die Hakenkreuzsticker immer griffbereit halten. Als Reisegruppe aus Israel kriegen Sie die zum Beispiel umsonst.

Sehr gut kommt ja gerade ein russischer Akzent, aber Sie als Wessis sind leider unterbegabt. Meinen Sie, Sie kriegen vielleicht einen sächsischen hin? Der ist nicht kompliziert, der macht einfach nur Schmerzen beim Sprechen, wenn man’s nicht so gewohnt ist. Wir machen mal einen Test, ja? Also da ist ein Eingeborener, ganz normaler Typ, der sich gerade darüber aufregt, dass die Vergewaltigungen in Sachsen zugenommen haben. Was sagen Sie? Nee, einfach die Kärtchen ablesen: ‚Dö Aösländör nähm ons dö Fräoen wech!‘ Denken Sie nicht so kompliziert, es geht um Wegnehmen, Neid, um die ganz impulsiven Affekte. Denken Sie am besten gar nicht nach.

Aber Sie wollten Kultur, richtig? Dann bleiben Sie am besten von der Frauenkirche weg. Das ist natürlich auch Kultur und auch nur einen August und einen Luther entfernt vom Zentrum des Geschehens, aber das ist ein imperialistischer Bau der Lügenarchitektur. Fragen Sie die Eingeborenen, die werden es Ihnen bestätigen. Die meisten kennen das nicht anders als katalogisierten Schuttplatz. Und dann kommen da ein paar Computerfuzzis und nehmen das schöne Aufbaumaterial weg, klotzen da eine Kirche mitten rein in den antifaschistischen Ortskern und fluten die Stadt mit Wessis. Mal ehrlich, würden Sie da nicht auch mit nationalem Widerstand antworten?

Wenn Sie in die Semperoper wollen, würde ich das nicht gerade am Montag machen. Sie kriegen in der Stadt einfach keinen Parkplatz, und dann haben wir auch die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Sie müssten am besten mit gezücktem Ausweis von der Straßenbahn zur Oper. Polizei hat’s genug, die zeigt Ihnen dann schon, wo’s langgeht. Naja, oder aber auch nicht.

Überhaupt muss ich Sie vor dem Theaterplatz warnen, das ist ganz gefährliches Pflaster. Das wurde aus verpresster Kupferschlacke hergestellt, VEB Mansfeldkombinat Wilhelm Pieck – das ist nämlich stark radioaktiv, müssen Sie wissen. Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht keine Gefahr, aber man munkelt, wer sich da zu lange aufhält, der wird weich in der Birne. Wollte ich Ihnen nur mal so gesagt haben.

Frühstücken Sie am besten immer mit einem kleinen Pils zur Auflockerung. In der zweiten Woche, wenn Sie das durchstehen, gehen Sie dann bessrer zu den härteren Sachen über. Lokalkolorit, Sie verstehen – dies ist eine islamkritische Region, da wird großen Wert gelegt auf eine Leitkultur mit Bodenhaftung. Notfalls haben wir hier auf unserer Homepage Schutzumschläge zum Ausdrucken. Überfremdung, Sophie Scholl, Kaffeetassen, Tausend Jahre Männer in Thüringen. Wenn Sie dann mal im Stadtführer nachschlagen, können Sie sich notfalls ad hoc als heimattreuer Passant tarnen. Und, heißer Tipp: Keine Bananen. Schmeißen Sie keine Bananen auf die Einheimischen. Denken Sie immer daran, Sie sind erstmal nur Tourist.“