Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLII): Die taktische Verschwörungstheorie

11 11 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Geschichte dessen, was wir für Zivilisation halten, ist eine Geschichte hanebüchenen Unsinns, den nicht wenige Zeitgenossen ohne nennenswerte kognitive Eigenleistung glauben. Wie sich dumpfe Ideologien aus Versatzstücken grobe Erklärungen für eine komplexe Welt zurechthämmern, ist weder neu noch originell, hat überwältigend niveauloses Gefolge und dient sich ebendiesen Knalltüten an, weil die Koordinatenbieger mit Bedacht verstrahltes Personal für eine trennscharfe Zielgruppe aus dem Mob mitschnacken. Was da als soziales Konstrukt, das der Existenz von Außerirdischen, Reptiloiden und Gespenstern seinen angeblich unterdrückten Wahrheitsgehalt verdankt, auf vielseitig ungebildete Quotenwürstchen prallt, hat durchaus das Zeug, gesellschaftliche Strukturen in Schutt und Asche zu legen, wenn es als taktisch eingesetzte Verschwörungstheorie funktioniert.

Jede Verschwörungstheorie ist Ausdruck einer Verunsicherung, die sich einen billigen Ausweg in der kompletten Realitätsverleugnung sucht – Flucht reicht hier nicht aus, denn die Wirklichkeit hat die unangenehme Eigenschaft, ihre Kritiker nicht zu entlassen. Da sie im Kern die Welt umzukrempeln verspricht, ist die Theorie kein singuläres Gebilde, sondern arbeitet sich krebsartig voran. Mit einem Luftschloss wird ein anderes erklärt, wie Lochfraß, der sich seinen Weg durch alle Hirnbereiche bahnt, so dass endlich alle Erkenntnis einem primitiven, aber widerspruchsfreien Mythos dient. Erscheint trotz allem Widerspruch, wurde er von ihnen geschürt. Sie sind die anonyme Macht, Illuminaten, Freimauer oder die geheime Weltregierung, die den Vorteil hat, völlig unangreifbar zu sein, ewig bestehend, unbegrenzt in ihrer diabolischen Macht und daher der optimale Endgegner, der sich bei allen Fehlschlägen der Verschwörungstheoretiker nicht verbraucht, nicht einmal, wenn der dutzendfach genau berechnete Weltuntergang mangels göttlicher Fügung bisher zuverlässig ausfiel.

Und diese maßgeschneiderte Teufelsgestalt ist wichtig: wer an sie glaubt, hat autoritäre Denk- und Verhaltensmuster eingeübt und derart verinnerlicht, dass er sie gegen jede rationale Erklärung verteidigt. Die autoritäre Persönlichkeit aber, die sich unterwirft, ist Schlüssel zur Funktionalisierung und Garant für den Erfolg des taktischen Gebrauchs. Hier beginnt, je nach Perspektive, die Verschwörungsmeta- oder Metaverschwörungstheorie.

Wie die Esoterik, der im Niedervoltbereich erleuchtete Stiefzwilling der Pseudowissenschaft, dient auch jede andere aggressive Verleugnung von Vernunft und Aufklärung als beliebter Test für die Hohlpflockrotte, die jedem populistischen Gewinsel Beifall patscht. Die autoritätsgläubige Person, deren flach strukturiertes Denken schon bei kleinstem Bodenverlust Höhenangst kriegt, lässt sich aus Gewohnheit glitschiges Zeug in die Birne kippen, ohne messbare Gegenwehr, wenn es einerseits die bisher vorhandene Mystik nicht durch Fakten stört, andererseits die Angstwut vor ihnen weiter schürt und sie als gemeinsames Feindbild im Amt bestätigt. Die als zuverlässig behämmert Erkannten, die die Mondlandung für einen Filmtrick halten und Elvis für lebendig, werden auch tapfer den Holocaust leugnen und die Umvolkung der Deutschen erwarten. Wer seinen ideologischen Sondermüll bei den Stumpfklumpen ins Hängeschiebregister pfropft, entsorgt also nicht den intellektuellen Faulschlamm, er ersetzt ihn nur durch Auswurf in anderer Geschmacksrichtung. Jeder, der Chemtrails für physikalisch möglich hält, rennt auch hinter Die Juden sind unser Unglück her, prügelt sich für den Dünnsinn und wirbt neues Vieh für den Schädelentkerner. Man braucht wenig Kreativität, Buhmänner und Popanze in Parteipropaganda hineinzuschwiemeln und sie auf die minderbemittelte Masse loszulassen, um jederzeit Wirrlichter im Wartezimmer zu finden.

Nicht einmal die Bumsköpfe um den Bettnässer aus Braunau haben es anders gemacht, als sie in den eigenen Reihen nach Horoskop, Homöopathie und ähnlichem Hokuspokus handelnde Hohlhupen aufspürten, um sie von den Hellsehern und Wünschelrutengängern zu nationalsozialistisch approbierter Pendelei und Rassenlehre zu bekehren – die Beklopptheit war grundsätzlich erwünscht, ihr Aggregatzustand wurde im Sinne der eigenen Macht beliebig uminterpretiert. Wenig anders sind die Geschäftspraktiken der Religionsmanufakturen, die wahllos zusammengehauenen Schmadder als Glaubenssysteme auf den Markt klatschen, um mit den durch ihnen erzeugten Frustrationserfahrungen neue Produkte aus dem breiten Sortiment für ausgeknipste Blitzbirnen nachzuliefern, bis in der Kasse die Spinnenweben verkleben. Vermutlich sind Chemtrails schuld, dass sich der Erfolg nicht einstellt, die mit dem Trinkwasser verabreichten Hormone, RFID-Chips, die bei jeder Impfung unter die Haut geschossen werden, der Fäkaliendschihad, der Papst, die Weltbank, die Dinosaurier, Pippi Langstrumpf, ein Eimer Streusand auf Lummerland. Und natürlich sie.