Hier also geschah Tag für Tag das Jobwunder. Hier gab es Vollbeschäftigung. Die Menschen schlichen verängstigt durch die Flure, zogen ihre Schultern hoch und krallten sich an Aktendeckeln fest. Der Schweiß stand ihnen auf der Stirn. Und das waren erst die Arbeitsvermittler.
„Sie hatten ganz recht“, begrüßte mich Schlönz, „da musste sich etwas ändern. Und wir haben ja nun auch wirklich etwas verändert. Ob es sich dann auch bewährt, das wird sich zeigen.“ Er öffnete die Tür zu einem kargen, aber hellen Büro. Der einzige Schmuck bestand aus einer Topfpflanze, die schon seit Jahren eine Weiterbildung zum Fossil machte. Aber das störte nicht. Ich nahm Platz. „Jedenfalls weht hier nun ein ganz anderer Wind, wie Sie sicher festgestellt haben. Früher war es hier kurz vor Dienstbeginn sehr laut und fröhlich, man stand zusammen und unterhielt sich angeregt, bis pünktlich um acht die Atmosphäre sich verfinsterte. Da kamen die Kunden.“ Er spielte selbstvergessen mit einem Bleistift. „Aber heute, das ist gar kein Vergleich. Sie haben es nun selbst gesehen, es sind geradezu umgekehrte Vorzeichen.“ Ich kratzte mich am Kopf. „Und woran liegt das?“ Schlönz legte den Bleistift wieder in die Schale zurück. „Sie haben mich da auf eine Idee gebracht. Wir sanktionieren jetzt. Gnadenlos.“
Die Fallakte sah eindeutig aus. „Brömsemann“, buchstabierte ich, „hatte eine steile Karriere als Berater, bis ihm plötzlich die Arbeitslosigkeit…“ „Obdachlosigkeit“, korrigierte mich Schlönz, „wir hätten es fast geschafft, Brömsemann obdachlos zu machen. Hat leider nicht ganz geklappt, aber da er sich nicht gebessert hat, sehe ich da noch gute Entwicklungspotenziale bei ihm, sich in eine soziale Randgruppe einzugliedern.“ Der Akte nach hatte der Berater mehrmals Kunden Bescheide zugestellt, die weder eine Rechtsgrundlage noch eine vernünftige Berechnung hatten. „Da mussten wir natürlich eingreifen. Erst dreißig, dann sechzig, zum Schluss hundert Prozent Gehaltskürzung, weil er sich uneinsichtig zeigte. Und da wir jetzt ja eine neue Gesetzesgrundlage haben und Brömsemann sich absolut uneinsichtig zeigte, haben wir ihm wegen sozialwidrigen Verhaltens das gesamte Gehalt des vergangenen Jahres wieder gestrichen.“ Er sah durchaus befriedigt aus.
„Sie sanktionieren nun auch Berater“, stellte ich fest. „Richtig“, nickte Schlönz. „Leicht fiel uns der Schritt nicht, denn wir müssen dazu natürlich das Existenzminimum unserer Mitarbeiter in Frage stellen, aber was hilft’s? Wenn sie es bisher ohne jede Rücksicht getan haben, wozu denn dann auf sie Rücksicht nehmen?“ Das klang hart, aber nirgends unlogisch. Schlönz hatte wieder begonnen, mit dem Bleistift zu spielen. „Spiritus Sanctionis“, erklärte er. „Irgendeinen Zweck heiligt das Mittel schon.“
Die Akte Kunzpeter war nicht besser. Aus reinem Eigennutz hatte er eine junge Mutter immer wieder aufgefordert, sich auf Managerinnenposten zu bewerben, von ihr verlangt, im Lebenslauf zehn ausgedachte Fremdsprachen anzugeben und ein gut abgeschlossenes Studium völlig überflüssiger Fächer – Assyriologie und Betriebswirtschaftslehre – vorzutäuschen, freilich mit dem Ergebnis, dass ihr keiner glaubte oder aber, schlimmer noch, in einem persönlichen Vorsprechen auf die Schliche kam. Meist hatte Kunzpeter die junge Frau auch noch zu sich zitiert und Rapport verlangt, wenn sie als Generalsekretärin eines international agierenden Atom-, Gummi- oder Topfblumenkonzerns wieder nicht eingestellt worden war. „Er hat für die vielen Bewerbungen Pluspunkte erhalten“, erläuterte Schlönz. „Minuspunkte hat er bei der Bewerberin gelassen. Also haben wir uns entschlossen, ihm wegen des eigenmächtigen Vorgehens vorerst die Leistungen zu kappen. Er darf gerade Erfahrungen mit einem Ein-Euro-Job sammeln.“
Auch die Lohnbuchhaltung war erheblich umgestellt worden; dreißig bis vierzig doppelseitig bedruckte Blätter mit wirren Zahlenkolonnen, teils sorgsam in falscher Reihenfolge zusammengeheftet, warteten darauf, mit mehreren Wochen Verspätung versandt zu werden. „Und dann“, ergänzte Schlönz, „erwarten wir eine vollständige Offenlegung der Finanzen unserer Angestellten, bevor wir einen Teil des Gehalts überweisen. Es könnte ja sein, dass Sie etwas auf die Seite legen, ohne dass Sie zu den Leistungsträgern dieser Gesellschaft gehören, denen das gestattet ist.“ Brömsemann bekam aus dem vergangenen Jahr noch zwei Monatsgehälter, hatte auch schon den Klageweg beschritten, aber das war Schlönz egal. „Er kennt unsere Behörde. Er weiß, zahlen müssen wir irgendwann sowieso, aber wann, das bestimmen immer noch wir.“ Befriedigt lehnte er sich in seinem Sessel zurück.
„Ich hätte“, begann er wieder, „hier nun eine Aufgabe für Sie. Wir bräuchten ein paar Hundert Stellenanzeigen, auf die sich unsere Berater bewerben müssen, sanktionsbewehrt versteht sich, und das außerhalb ihrer Arbeitszeit. Sie haben doch immer so lustige Ideen, Feldstecher, Sternenbanner, Spiegeltrinker, das halt. Meinen Sie, Sie bekommen das hin?“
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