Au Backe, backe Kuchen

23 11 2016

„Es ist ein bisschen viel geworden.“ Wer die Worte kannte – und wer Horst Breschke kennt, lernt diese Worte recht schnell kennen – der hatte eine leise Ahnung, dass der Gang in die Küche eine noch viel größere Überraschung mit sich bringen würde, so wie der Alte da vor mir stand, beide Ärmel der Strickjacke aufgekrempelt und dennoch mit Zucker und Butter bis zu den Ellenbogen beschmiert. Es war, man ahnt es, Adventszeit.

Und es war gleich die große Emailleschüssel geworden, randvoll mit einer Art Buttermasse, die sich mit dem Rührgerät, so wie es im gelben Glanze frischen Fetts auf der Küchenanrichte stand, kaum noch zu bearbeiten war. Vielleicht würde es vorher aufgeben. Oder Herr Breschke. „Sie macht immer die Plätzchen“, seufzte er, „aber jetzt ist sie für drei Tage zu unserer Tochter gefahren, und ich wollte sie überraschen.“ Zumindest dies war ihm durchaus gelungen. Nach der Renovierung des Erdgeschosses und einer neuen Einbauküche, die Pioniere ohne Furcht und Tadel in tagelanger Schwerstarbeit von allen Teigresten befreit haben würden, wäre seine Frau sicher verblüfft. „Habe ich da etwas falsch gemacht?“ Er zuckte mit der Nase. Wie sollte er sich auch jucken, ohne hinterher wie ein Weckmann im Rohzustand auszusehen?

„Zunächst“, stellte ich mit einem Blick auf das Notizheft fest, das da auf der Anrichte lag, „handelt es sich nicht um einen Plätzchenteig.“ „Es gibt da Unterschiede?“ Manchmal waren Hopfen und Malz verloren, der pensionierte Finanzbeamte hatte seine Kompetenzen in Richtung Zucker und Fett verlegt. „Es gibt da Unterschiede“, erklärte ich. „Das sieht mir doch eher nach einem Kuchenteig aus, oder doch nach einer Art Weichgebäck. Was genau haben Sie denn hineingegeben?“ „Von der linken Seite.“ Mit dem kräftig gebutterten Finger zeigte er auf die Spalte, die die Zutaten aufzählte. „Ein Ei, dann zweimal Milch, dreimal Zucker, vier Päckchen gute Butter und…“ „Verzeihung“, unterbrach ich, „Sie haben aber schon gesehen, dass da Punkte stehen? und Maßangaben auf der rechten Seite?“ „Gehören die nicht zu einem anderen Rezept?“

Da nun das Inhaltsverzeichnis des vergilbten Heftchens, das Frau Breschke sicherlich in der Zeit ihrer jungen Brautschaft angelegt haben musste, so gut wie unlesbar geworden war, musste ich mich auf Schätzwerte verlassen. Ein Anhaltspunkt waren die Butterpapiere sowie drei Zuckertüten, die ich im Müll fand. Glücklicherweise hatte der Bäcker bei seinem Experiment kleine Milchtüten genommen, so dass keine Armee von Pfannkuchen in den Wald kantappern würde. Nur das Mehl fehlte. „Ich war noch nicht dazu gekommen“, beeilte sich Breschke. „Die Tüten sind aber im Keller. Gleich neben den Äpfeln und dem Kartoffelsack, Sie müssen nur erst die Konserven zur Seite schieben.“

Praktischerweise hatte ich den Waschkorb mit in den Keller genommen. Die Ausbeute war gewaltig. „Wir rühren es jetzt in den Teig ein“, empfahl ich, „Sie lassen langsam eine Tüte nach der anderen in die Mischung einrieseln, und dann sehen wir mal weiter.“ Der Kochlöffel war von erstaunlich zäher Natur, er hielt heftigem Rühren stand. Fast eine halbe Stunde lang dauerte es, dann wurde aus dem Butterschaum eine halbwegs feste Masse. „Man könnte jetzt Plätzchen daraus machen“, überlegte Herr Bresche, „oder wären Sie eher für Stollen?“ Den Teig mit noch mehr Mehl zu stabilisieren war auch nicht die beste Lösung, außerdem war die letzte Tüte aufgebraucht. „Man könnte daraus einen Blechkuchen improvisieren“, überlegte ich, „oder zeigen Sie mir mal, was Sie an Backformen haben.“ Der Griff in den Küchenschrank förderte eine Kastenform zutage. Immerhin etwas. „Man könnte ihn auch in Konservendosen einfüllen“, sinnierte Breschke, „natürlich müsste man die vorher oben – also mit der Säge, die ist auch im Keller, aber neben dem…“ „Nichts da“, unterbrach ich ihn. „Wir werden das jetzt professionell angehen. Geben Sie mir den Waschkorb. In der Zwischenzeit rühren Sie den Teig geschmeidig.“

Es war noch früh am Nachmittag, aber ich hatte in der Nachbarschaft großes Glück. Zwölf Formen brachte ich zusammen, teils für Königskuchen, teils in Napfform. Ehrfürchtig blickte Herr Breschke auf die Sammlung. „Reicht denn der Teig überhaupt für alle?“ Noch ehe ich ihn bremsen konnte, fischte er schon nach seiner Strickjacke, der er eben die Ärmel frisch abgeputzt hatte. „Ich könnte noch eben ein Päckchen Zucker holen, und Eier haben wir noch im Kühlschrank.“ Ich schob ihn zurück in die Küche. „Margarine“, befahl ich. „Pinseln. Alle.“ Er gehorchte.

Keine Viertelstunde später standen die ersten Formen im Rohr. Es duftete süßlich und mild nach Vanille. Wir schlürften am Tee, den Breschke in der Zwischenzeit aufgebrüht hatte. „Neun Kuchen“, stellte ich befriedigt fest. „Drei sollten Sie in der Nachbarschaft verteilen, einen nehme ich, dann haben Sie immer noch genug für einen guten Adventskaffee.“ Er rieb sich die Hände. Dann nahm er die weiß und rot geblümte Schale von der Anrichte und stellte sie mitten auf den Küchentisch. „Können Sie mir noch eben zeigen, wie ich die Rosinen in den Kuchen bekomme?“ Erwartungsvoll sah er mich an. Ich atmete angestrengt ein. „Erstmal lassen Sie den Kuchen auskühlen“, antwortete ich. „Und wenn Sie die Formen zurückgeben, fragen Sie noch mal in der Nachbarschaft herum. Einer von denen wird schon ein Luftgewehr haben.“