Der große Knall

28 12 2016

Es mag an den Festtagen liegen, da jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Hier war es doch trotz der bereits in voller Stärke aufgefahrenen Himmlischen Heerscharen – die man bekanntlich auf der Südhalbkugel besser sieht, darum treten sie ja auch in Australien auf – erstaunlich ruhig, und nur wenige Gäste nahmen an der festlichen Aufführung teil. (Philosophische Frage am Rande: wenn es laut ist und niemand hört zu, existiert dann der Lärm? Und wie ist das dann mietrechtlich zu bewerten?) Jedenfalls ist auch der vorletzte Freitagstexter für dieses Jahr beendet.

Nun aber machen wir uns nichts vor, es lag sicher auch an der außergewöhnlich schwierigen Aufgabe, auf dem Bild verwertbare Spuren zu finden, die der möglichst exakten musikhistorischen Einordnung dienlich sein könnten. Viele hätten zum Beispiel bei einer falsch herum gehaltenen Geige an die übliche australische Handhabung gedacht. Oder an einen Bratscher.

Ich aber, der ich nicht zum ersten Mal in einem Dilemma stecke, ungefähr genauso viele Beiträge wie Plätze zu haben, wende auch genau denselben Trick an, um nicht einen Kommentar auf Kosten der anderen ganz unten aufs Treppchen zu verbannen. Die Preisverleihung beginnt, und wir haben genau einen Sieger, der jenen großen Knall hat – hören können. Es ist hubbie, der Kenner der frühen Klassik, und sein Kommentar ist fürwahr ein Paukenschlag.

Eunice war es lästig geworden, dass bei ihren Kammermusiknachmittagen die Gäste reihenweise wegdösten, diesmal sollte Haydns Nr.94 einen unvergesslichen Moment bereiten…

Herzlichen Glückwunsch! Das goldene Töpfchen geht, wie ich meine, an hubbie – sollte der Austragungsort sich geändert haben, bitte ich um eine kurze Benachrichtigung – und läutet dort die letzte Runde des Jahres am 30. Dezember ein. Sollte es zwischendurch laut werden, wir wissen ja, woran es lag.

Update: Da ich in dieser Woche keine Zeit mehr habe für einen neuen Freitagstexter, reiche ich den Preis für die mathematische Meisterleistung (exakte Berechnung eines Miss-Verhältnisses) an lamiacucina weiter und stelle es angesichts der knapper werdenden Zeit anheim, am 30. Dezember oder am 6. Januar fortzufahren.





Weihnachts-Elf (dreifache Ausführung)

23 12 2016

Freitagstexter

Und da ist der Freitagstexter wieder zu Gast in diesem kleinen literarischen Salon. Gerade eben war noch bunter Herbst vor den Fenster, nun nennt sich das nasse Zeugs da Weihnachten, in der Ecke der berühmte Goldtopf, und von irgendwoher rudern noch ein paar von boomerangs Seniorenschwimmern durchs Bild. Der Tee ist gleich fertig. Herzlich willkommen!

Zwar ist die Schreibstube in der offiziellen Weihnachtspause und so gut wie verwaist, die Beleuchtung ist abgestellt, aber dafür können wir uns ganz der schrägen Bildbetextung widmen, die sich durch angenehme Regellosigkeit auszeichnet. Bis auf die paar Grundzüge, die der Wortmischer irgendwann einmal so zeitlos niederschrieb, dass sie alle Jahre wieder einmal hier und dort genannt werden. (Hildegards neue Haferflockenplätzchen haben ein ähnlich einfaches Rezept, ich möchte es aber hier nicht nennen, weil ich nicht weiß, welche Risikogruppen bei einem Anfall von Staublunge mit dem Schlimmsten rechnen müssten.) Dann lieber Tee. Bis Dienstag, den 27. Dezember um 23:59 Uhr steht die Tür des Arbeitszimmers offen, die kleinen Zettelchen mit Reim und Prosa kommen in den Pokal – wer es nicht bis ins Dachgeschoss schafft, nimmt eben mit einem Kommentar teil – und das Urteil folgt sogleich.

Und diesmal gönnen wir uns ein wenig Musik. Knapp hundert Jahre alt ist das dieswöchige Foto, erhalten in der State Library of New South Wales. Klick macht groß.





Am Ende des Tages

19 12 2016

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie das zum Fest der Feste passieren konnte, ich weiß es wirklich nicht. Aus dem Radio jauchzt und frohlockt es, die Paketboten tragen entsetzlich rote Zipfelmützen und tun alle wie der Weihnachtsmann persönlich – der liefert ja auch nur einmal im Jahr aus, pünktlich schon gleich gar nicht – und wer nicht mit batteriebetriebenem Rentiergeweih aus Taiwan und Weichplastik hysterisch blinkend wie ein Rettungswagen durchs einbrechende Dunkel hüpft, hat die Adventsstimmung offenbar gar nicht verdient. Hausschuh, Hemd und Heizdecke, alles verkauft sich mit X-Mas-Gedöns, laut und schräg und aufdringlich, dass man schnell merkt, wie die Verpackung den Inhalt übertüncht. Es ist zum Weglaufen, und das tun sie ja auch. Alle. Ich sitze vermutlich an den Festtagen am Schreibtisch oder vor der Hausbar, lasse dies Jahr Revue passieren – was nicht einfach sein dürfte, aber wer die Hausbar kennt, hat schon weniger Bedenken – und lege die Füße auf dem geliebten Sesselchen hoch. Alleine. Sie sind alle weg.

Als hätten sie sich verabredet. Kaum rückt der Termin näher, entfaltet sich um mich herum eine hektische Tätigkeit, alles wetzt ins Reisebüro und besorgt ein Rollköfferchen, guckt schnell nach, wo diese Malediven eigentlich liegen und wie lange es sie noch geben könnte, bevor der Billigflieger mit sonorem Röhren über die Startbahn jagt und die winterlichen Gefilde unter sich lässt. Sie sind alle weg, sie reisen, sie können den Geist der letzten paar Jahre Weihnachten schon nicht mehr sehen.

Anne hatte ihre Reise in den Süden schon lange angekündigt. Ihr erstes Jahr in der eigenen Kanzlei hat sie gut hinter sich gebracht, Luzie ist ihr Stab und Stecken geworden, ihr Mentor Husenkirchen, der jüngst seine Goldene Hochzeit gefeiert hat, hält nach wie vor große Stücke auf sie, und keiner hätte erwartet, dass sie länger als drei Monate in diesem Haifischbecken würde überleben können. Zwei Begebenheiten habe ich leider nicht berichten können, man hätte sich auf Grund der Umstände zu schnell zusammengereimt, wer sie als Verteidigerin aufgesucht hat. Immerhin habe ich ihr ins Hotel die gewohnte Portion belgischer Schokolade liefern lassen. Und ich rechne fest damit, dass sie mich am Abend des ersten Festtages wie gewohnt anruft.

Der gute Doktor Klengel genießt seinen Unruhestand nach Kräften und wandert. Auf seine alten Tage hat er sich das Aquarellieren beigebracht und streift in den Flusslandschaften umher, alle paar Wochen meldet er sich zurück mit einer Mappe kleinformatiger Landschaften, die tatsächlich eine Galeristin aufmerksam gemacht haben. Vorerst wird Anne einige Impressionen von der Rheinschleife am Bopparder Hamm in ihrer Kanzlei aufhängen, und die Bückler-Brüder überlegen auch, ob sie in ihrem Landgasthof eine Möglichkeit für Kunst am Gast haben.

Ich muss in diesem Jahr nämlich selbst kochen, das heißt: ich werde es versuchen. Kläglich, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben soll, denn Bruno, den man zu Recht den Fürsten Bückler in seinem Reich nennt, und Hansi, den Regenten von perfektem Service und feinstem Wein, werden wir dieses Jahr entbehren müssen. Die Zwillinge feiern ihren fünfzigsten Geburtstag, und sie haben es sich verdient, einmal die Pforten zu schließen. Petermann, die rechte Hand des Küchenchefs, war drauf und dran, den Laden alleine zu schmeißen, wurde aber mit sanfter Gewalt daran gehindert. Er wird mit der Familie auf einem Donaudampfer in den Sonnenuntergang schippern, natürlich den Jahreswechsel ebenso als Gast am Kapitänstisch verbringen und frisch gestärkt den Landgasthof zu neuen Höhen führen.

(Das heißt nichts anderes, als dass ich mein Menü nach Originalrezepten von mir verehrter Köche aus deutschen, französischen und Schweizer Gefilden zubereite – einen 1995-er Wupperburger Brüllaffen sowie das 1993-er Gurbesheimer Knarrtreppchen spendierte mir Bruno mit leisem Bedauern, dass ich mich seiner Flussfahrt nicht anschließen mochte. Exzellente Tropfen, aber bei Seekrankheit nutzlos.)

Von Siebels ist rasch berichtet. Drei Monate lang erzählte er immer wieder, er wolle diesen ganzen Fernsehmist mit seinem propagandistischem Getöse hinter sich lassen, da kam ihm der Job für die neue Staffel Traumklinik der roten Rosen unter Palmen des Abenteuers in die Quere, und jetzt haut er diesen ganzen Murks zwischen den Jahren runter (O-Ton Siebels), durchaus lukrativ, da mit Starbesetzung, Veronica Ferres spielt den zweiten Gesichtsausdruck von Til Schweiger, und nur den Regieassistenten muss man nachts die Schnürsenkel abnehmen, damit sie nicht auf dumme Ideen kommen. Es reicht ja, wenn Siebels das macht, um die restlichen Gebühren für das laufende Geschäftsjahr zu verballern. Welch ein schönes Leben!

Irgendein Rebirthing-Seminar muss ausgefallen sein, oder war es Fernreiki im Hochschwarzwald? Sigune, die leicht unzurechnungsfähige Nachbarin mit den Feng-Shui-Kakteen, klingelte mit geröteten Wangen an meiner Türe. Was war geschehen? hat eine ihrer mit linksgerührtem Vollmondwasser gegossenen Primeln plötzlich in fließendem Babylonisch die gesamtgesellschaftlichen Zustände auf ihrem Balkon angeprangert? Bekam sie eine von ihrem kompletten Kruscht, Traumfänger und Wünschelruten, gezeichnete Petition, dass die Belästigung durch billige Räucherstäbchen endlich ein Ende haben müsse? Schlimmer. Sie habe da jemanden kennengelernt. Und ja, er sei Therapeut. Und sie werde die Weihnachtstage gleich mit ihm in einem Arbeitskreis bei schamanischem Trommeln verbringen. Sofern sie ihr Geballer außerhalb dieses Grundstücks veranstalten, ist alles prima. Möglich, dass sie jetzt des öfteren mal mit ihm derlei Kurse bucht, geistige Wirbelsäulenaufrichtung oder ein Aufbauseminar Tierkommunikation (sie kann sich dann ja auf Fruchtfliegen spezialisieren, ich sehe da einen Markt), und dann werde ich mich erkundigen, was dieser Mann wo und warum therapiert. Falls ich mal einen Therapeuten brauche und dann genau weiß, zu wem ich nicht gehen werde.

Tante Elsbeth ist auf dem Schiff. Ja, genau die Tante Elsbeth, die seit zwanzig Jahren nicht mehr so gut sieht und dafür zum Ausgleich um so lauter spricht, fährt auf einem wahrhaftigen Kreuzfahrtdampfer durch die Südsee. Hildegard war empört. In diesem Alter, in diesem Zustand, in diesen Zeiten – das gehöre sich nicht, und sie sei nicht einmal zu ihrem 98. Geburtstag zu Hause, nie sei sie zu ihrem 98. Geburtstag zu Hause, kurz: es sei überhaupt alles ganz unerhört. Erstens ist Tante Elsbeth meine Tante, und darauf lege ich großen Wert, und zweitens hat sie Hildegard gebührend den Kopf gewaschen. „Du erbst sowieso nichts“, hat sie ihr am Telefon in die Ohren gedrückt, „und solange ich ohne fremde Hilfe ein Champagnerglas ins Gesicht kriege, lasse ich mir keine Vorschriften machen! Von Dir schon gleich gar nicht!“ Ich habe ihr eine hübsche kleine Aufmerksamkeit an Bord schmuggeln lassen. Sicher wird die ehemalige Direktorin eines humanistischen Gymnasiums – Latein, Griechisch und Philosophie – einen ganzen Tag lang den Dampfer durchstöbern, um einen Briefkasten zu finden für die Ansichtskarten aus Neuguinea. Hauptsache, sie hat ihren Spaß.

Und Hildegard? dass sie mich regelmäßig mit der dramatischen Leistung verlässt, derer die Ferres und die Neubauer nicht einmal zusammengenäht in der Lage wären, das ist ja nun Tradition in diesem Haus und bedarf gerade zur Weihnachtszeit keiner besonderen Erwähnung. Sie bewarb sich jüngst auf einen Posten, für den sie jeden Tag gut zweihundert Kilometer fahren müsste, einfache Tour, oder mit anderen Worten: sie plant den Auszug. Meine doch sehr einfach strukturierten Ratschläge, ihr in meiner Wohnung doch relativ massereiches Inventar dann wenigstens übergangsweise in ihre eigenen vier Wände zu schaffen, um einen endgültigen Umzug problemloser bewerkstelligen zu können, erntete von ihrer Seite keinen Beifall. Vorerst aber ist sie wie geplant ab dem ersten Ferientag bei ihren Eltern, ruft nur wenige Male am Tag bei mir an und erkundigt sich, ob ich auch alle Herdplatten richtig ausgedreht habe, und braucht unbedingt die Adresse der Änderungsschneiderei, da sie nach den Ferien sofort eine Hose wird weiten lassen müssen. Es wird, wie gesagt, doch sehr weihnachtlich sein.

Meinen Neffen Kester habe ich nun seit fast einem Jahr nicht gesehen, und wie erwartet sitzt er an seiner Habilitationsschrift über die Ausrichtung von Spinvektoren. Jüngst hat ihn eine Einladung in die Vereinigten Staaten geführt, er bleibt noch bis zum nächsten Jahr dort, hat aber seine Rückkehr schon in Aussicht gestellt. Die Spinnvektoren sind dort auch ein bisschen stark geraten, da hilft keine Wissenschaft mehr.

Von Trends & Friends habe ich seit dem letzten Zucken beim Insolvenzverwalter nichts gehört, Anne vertritt die zahlreichen Gläubiger – mithin auch mich – und so traf ich jüngst den ehedem so erfolgreichen Travel-Experten Maxim in ihrem Wartezimmer, wo er mir für die Festtage einen Kurztrip nach Nizza empfahl, man muss da Weiß tragen, you know, und es ist ein bisschen fancy, für Hildegard wäre also immer noch Hochschwarzwald drin, notfalls zusammen nach Berlin, weil da sind um diese Jahreszeit kaum Deutsche, vorausgesetzt, you know, man nimmt das richtige Hotel und geht auch zwischendurch nicht raus. Er ist durch meine Vermittlung irgendwo bei einer größeren deutschen Tageszeitung gelandet, gurkt alle zwei Wochen zu Tourismusmessen und wird gelegentlich eingeladen zu einer Hoteleröffnung, bei der er immer dieselben Leute trifft, die sich die Luxussuiten leisten können und die sie daher nicht zu bezahlen brauchen. Gut, dass ich kaum herumkomme.

Nicht einmal Reinmar ist in diesem Jahr zu Hause. Die traditionelle Schachpartie am zweiten Weihnachtstag wäre eigentlich ein Auswärtsspiel, halboffen, Nimzowitsch hat meine Ansicht über die Skandinavische Verteidigung nachhaltig erschüttert, aber auch er braucht Urlaub. Wir sollten es ab dem nächsten Jahr mal mit Fernschach versuchen.

Es wären noch so viele zu nennen, die in den vergangenen zwölf Monaten meine Wege gekreuzt haben: Minnichkeit, der nun endgültig in irgendeine Bürotätigkeit verschwunden ist und im Auftrag von genervten Abteilungsleitern Heftzwecken sortiert; Sofia Asgatowna, die Bücklers Landgasthof gut in Schuss hält und zur Freude von Cousin Hansi ihr Händchen für ansprechende Dekoration entdeckt hat; mein Patenkind Maja, das sich inzwischen so weit in die Zahlentheorie eingearbeitet hat, dass es die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer zwar nicht mehr versteht, aber genug numerische Argumente für gewisse elliptische Kurven hat, und sie kann ihren Dozenten langsam kaum noch etwas beibringen. Irgendwas ist da immer.

Breschke! wie konnte ich nur Horst Breschke vergessen, den stetigen Quell des Entsetzens, der zeitweise mein ganzes sorgenvolles Denken ausmacht, er und Bismarck, und seine Gattin natürlich! Sie haben doch tatsächlich vor, über die Festtage ihre Tochter zu besuchen. Das Problem war nicht, dass diese sich, ganz Weltenbummlerin, immer in obskuren Regionen dieses Planeten herumtreibt, es war auch nicht schwierig, diese Reise mit dem Auto anzutreten. Das Gefährt der beiden Eheleute ist betagt, aber stets gepflegt und gewartet, hat mehrfach die Alpen überquert, war in Prag, an der Nordsee und mehrfach in der Eifel – wer sich da nach Einbruch der Dunkelheit verfährt, den schreckt so leicht nichts. Bis nach Barcelona dürften es die beiden schaffen, nur sandte sie ihrem Vater als Weihnachtsgeschenk ein Navigationsgerät. Das Ding legte mehrere Tage das Leben im Haus der Breschkes sowie den Straßenverkehr zwischen Kastanienallee und Platanenweg lahm, von meinem Nervenkostüm ganz zu schweigen. Davon wird noch ausführlich zu berichten sein.

Und einer, der wird nicht verreisen, denn er ist noch nie verreist. Der von mir geschätzte Kollege Gernulf Olzheimer wird über die Feiertage mit der Axt seine Feder schärfen und sich warm schreiben für einen neue Verbalsalve gegen die vereinigte Dummheit auf Erden. Ab und zu knurrt er wieder am Mittwoch ins Telefon, dass er nicht weiß, warum er sich das alles noch antut, dann schweigen wir beide bedeutungsvoll, und dann legt er auf. Und pünktlich am Freitag steckt dann wie ein Hieb der neue Wutausbruch in den Artikeln. Es ist noch nicht alles verloren.

Und so wären wir, am Ende des Tages, wieder am Ziel angekommen. Der Geist braucht ein wenig Ruhe, sich zu sammeln und die Perspektive wieder zu richten, was wichtig ist und was nicht. Auch ist hin und wieder Stille ganz angenehm, eine leises Abschließen, mit etwas Abstand auch ein klarer Blick auf das, was war, damit man klarer sieht auf das, was da kommt. Und damit der Spaß in diesem kleinen satirischen Salon nicht zu kurz kommt, der für jeden eine Sitzgelegenheit und etwas Kurzweil bietet. Wie in den letzten Jahren nehme ich mir einige Tage Weihnachtspause, um in aller Ruhe die alten Schätze in Klarsichthüllen zu verpacken, hier und dort nachzulesen, und am Montag, den 2. Januar 2017, geht es dann weiter. In alter Frische.

Allen Leserinnen und Lesern, die dies Blog fast oder fast ganz immer und regelmäßiger als unregelmäßig oder doch nur manchmal oder aus Versehen gelesen, kommentiert oder weiterempfohlen haben, danke ich für ihre Treue und Aufmerksamkeit und wünsche, je nach Gusto, ein fröhliches, turbulentes, besinnliches, heiteres, genüssliches, entspanntes, friedvolles und ansonsten schönes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und ein gesundes, glückliches Neues Jahr.

Beste Grüße und Aufwiederlesen

bee





Abgesang auf ein altes Jahr

18 12 2016

für Erich Kästner

Es war ein bisschen viel. Es ließ nichts stehen,
was dort im Wege wuchs. Das sank dahin,
als müsse es so sein. Die Wolken gehen.
Das ist nun ihr Beruf und ihr Gewinn.

Es wurde oft und viel zu viel gestorben,
wie immer war es sinnlos und verfrüht.
Nicht nur die Laune hat es uns verdorben.
Wir wissen längst nicht mehr, was uns noch blüht.

Nur manche Tage gaben sich ganz heiter.
Das war besonders schaurig, wüst und laut.
Wenn andre gingen, lebten wir nur weiter,
und doch ist es uns seltsam unvertraut.

Noch sind es fast zwei Wochen. Alle Zeichen,
dass sich noch etwas bessert, sind verweht.
Und wie sich Traum und Wirklichkeit auch gleichen,
das nächste Jahr, es findet seine Leichen
schon, über die es geht.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (CCCXXIII)

17 12 2016

Marie, Konditorin in Kortenberg,
stöhnt: „Wenn ich an mehreren Sorten werk,
muss ich überblicken:
was soll ich wie schmücken?
Am Ende steht hier nur ein Tortenberg!“

Andžela ist’s leid in Koknese.
„Was ich auch an Zeitungen lese,
ist ständig von gestern –
das taugt nur zum Lästern
und Einwickeln höchstens von Käse.“

Es kaufte sich Lieve in Malle
fürs Häuschen die Zweitmausefalle,
die Nager zu fangen.
Des Nachts lauthals klangen
auch leer beide Fallen mit Knalle.

Onesimo läuft in M’lang
fast täglich am Abhang entlang.
Man sagt, dass alleine
die Länge der Beine
dies ausmacht, gleichsam einem Zwang.

Es schichtete Victor in Boom
gedanklich Atom auf Atom.
Gelingt ihm das praktisch,
so ist er dann faktisch
befreit und zahlt nichts mehr für Strom.

Wenn Francis in Nahanni Butte
sich Suppen kocht, riecht es nicht gut.
Er pflegt Wald und Wiesen
dabei zu vermiesen
mit Hilfe von Unkräutersud.

Beim Angeln pflegt Lu in De Pinte
die Leine zu ziehen als Finte –
daran ist kein Köder.
Nur ein Fisch ist blöder
und beißt, meistens waren dies Stinte.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLVII): Das Promiquiz

16 12 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Vermutlich endete die Steinzeit mit dem großen Knall unterhalb des Felsüberhanges am Tümpel der westlichen Schutthalde. Zehn Häuptlinge, die in vorgerücktem Alter von knapp dreißig Jahren ihre Weisheit und Lebenserfahrung unter Beweis zu stellen bereit waren, kriegten während des Meetings ordentlich Schotter auf die Rübe. Die Intelligenzija des zivilisatorischen Brennpunkts war platt, dafür blieb der Gedanke hängen, dass sie auch nicht viel klüger waren als die bucklige Verwandtschaft. Der Verdacht, man habe aus einem gewissen Fatalismus an dieser Stelle beschlossen, bereits einschlägig bekannte Eumel in politisch wichtige Positionen zu hebeln, um schon nach dem Anblick ihrer Fressen auf dem Wahlplakat die ganze Veranstaltung für sich abhaken zu können, ist unwiderlegt und ebenso wenig bestätigt. Vielleicht platzte diese Erkenntnis erst wieder mit der Erfindung der Glotze auf, die allerlei abseitiges Personal braucht, um die Masse der Teilnehmer vor dem finalen Koma zu retten. Nicht auszuschließen ist, dass so das Promiquiz entstand.

Ein halbes Dutzend Knalltüten aus der Randlage hockt im Abendprogramm, braucht ausnahmsweise nicht zu singen, zu hampeln oder sich selbst in die Linse zu halten – man weiß noch nicht, ob sie selbst oder der Zuschauer dafür dankbarer sein sollen – und tritt in leichter Broschur auf, um die Hauptstadt von Vanuatu zu erraten. Das wäre bereits eine erschöpfende Beschreibung eines erschöpfenden Phänomens, die geistlos über die Mattscheiben der Nation dümpelt, immer dessen eingedenk, dass mit den Visagen im Breitwandformat die Botschaft jenseits jeglichen Glaubens ankommt: ich könnte auch anders, aber ich stehe hier und halte zur Abwechslung mal keinen Schmierkäse und keine Zahnbürste vors Gesicht, sondern zeige, schlimm genug, mich als Figur. Kauf mich.

Testläufe mit allerlei grottoiden Figuren hat die Talkshow männiglich unternommen, und keiner blieb bisher den Beweis schuldig, dass noch der glitschigste Dämlack zu jedwedem Ramsch eine dezidierte Meinung unter sich lassen kann. Der Seriendarsteller, der Drittligakicker, die aus dem TV berüchtigte Köchin schwiemeln sich allerhand Anschauung aus dem Gekröse, als sei es schon eine Leistung, bisher zum Thema noch nichts gewusst zu haben. Beim FC Teutonia regelmäßig die Blutgrätsche in die Grasnarbe zu furchen reicht also aus für komplexe Betrachtungen des Staatsrechts, da der unbedarfte Zuschauer am anderen Ende der Berieselungspumpe mit derselben Einfalt dem sendertypischen Torenjubel lauscht. Die hinlänglich bekannten Darsteller sind eben nur dies: hinlänglich bekannte Darsteller, abwaschbar, leicht zu entfernen und mietbar für jedes Gefiepe im weißen Rauschen der Nullinformation.

Selten genug porträtiert eine der Anstalten einen Kultur Schaffenden, bei dem das also angefertigte Bild unfallfrei zu geraten verspricht. In der Regel bietet sich automatische Schadensregulierung an.

Doch nun das Quiz: aus Film, Funk und Wahn präsente Dauergesichter geben sich plötzlich wie volksnah, erspielen am Ende Geld für den guten Zweck – besser noch wäre freilich gewesen, die Anstalt hätte die Kohle kommentarlos an Tierschutz und Deppenhilfe überweisen, anstatt die Umwelt knapp zwei Stunden lang mit einem Potpourri der Parallelexistenzen in die Hirnembolie zu treiben – und machen unter Applausspenden publik, dass auch sie die Allgemeinbildung eines mittelgroßen Backsteins mit sich herumschleppen, nie um eine bescheuerte Ausrede verlegen sind und trotzdem gefeiert werden, weil sie – Überraschung! – vor laufender Kamera jeden geistlosen Schmodder mitmachen. Es wird dadurch nicht besser, dass auch Politiker aus der zweiten Reihe sich als Showstars gerieren, kunstvoll aufgeschraubte Natürlichkeit feilbieten und dem Plebs huldvoll die Hand vor die Nase hängen. Eine Pseudoelite, die sich durch nicht viel Distinktionsmerkmale vom Boden abhebt, stellt sich noch einmal besonders breitbeinig auf, als gäbe es in den strukturschwachen Regionen unter der Schädeldecke des Beknackten noch genug Freiraum für Heißluft. Vermutlich glaubt man es den als Pappfigur konzipierten Geschmacksmustern ohne regelmäßige Eigenwerbung nicht mehr, dass sie als reale Hominiden mit Hornhaut und Verdauung in die Gefilde des ordinären Konsumenten einbrechen, um sich lautstark bescheiden zu verhalten und nur zu mosern, wenn man ihrem Inkognito nicht genug aufdringliche Verehrung entgegenwirft. Das übliche Modell, eine durchorganisierte Produktmaschinerie als Laberformat zu verkleiden – neues Buch, neuer Film, neue Nase – bröckelt schon an den Rändern. Dass zwei Sänger, eine Ministerin, drei Mimen und proportionales Füllmaterial ganz unerwartet nicht mehr wissen, ob die äußere Schwarzschild-Lösung für den sphärisch-symmetrischen Fall gilt, macht sie ungeheuer sympathisch. Fragen wir in der Tram nach, keiner wird die Antwort wissen. Oder worum es geht. Lauter Menschen, die eigentlich im Fernsehen auftreten sollten.





Nix da

15 12 2016

„… eine Selbstverpflichtung gefordert habe, in den sozialen Medien gegen gefälschte Nachrichten vorzugehen. Meldungen aus den Krisengebieten seien mit besonderer Vorsicht…“

„… nicht mit den Informationen der Behörden übereinstimmten. Cyrenius sei nach einer Quelle als Pfleger der Provinz bestellt, habe aber nach Nachrichten der US-Administration keine…“

„… es dem UN-Mandat widerspreche, Schwangere in Sammelstellen auf dem Staatsgebiet des jüdischen Landes zu verbringen. Internationale Beobachter hätten jedoch keinen Beleg für eine…“

„… nicht nach ethnischen Gesichtspunkten gesammelt worden seien. Aussagen, dass einzelne Internierte nach ihrer Zugehörigkeit zum Hause oder Geschlechte Davids in die Lager des jüdischen Landes zur Feststellung ihres Aufenthaltsstatus verbracht worden seien, könnten nicht mit der jeweiligen…“

„… einen Nachweis für die Eheschließung nicht beibringen könne, weshalb eine Pressemeldung sich mutmaßlich als nicht hinreichende…“

„… die Nachrichtenlage nur berücksichtigen könne, dass die amtlichen Statistiken über die örtliche Wohnungssituation für die…“

„… keine Anzeige einer Ordnungswidrigkeit der lokalen Aufsichtsbehörde vorliege. Der Aufenthalt von Ochs und Eseln sei aus hygienischen Gründen in den für die geburtsmedizinischen…“

„… es sich bei den Personen um Migranten oder Ortsfremde gehandelt haben könne, die nicht in der offiziellen Statistik der…“

„… müsse ein amtliches Traudokument der Verwaltung in dreifacher Ausfertigung (beglaubigte Kopien) eingehändigt werden, um eine nach der Gesetzesvorlage korrekte Genehmigung einer nicht am Wohnort mit Zuziehung von Amtspersonen genehmigte Niederkunft in einer gesetzlich…“

„… im Geburtsregister nachgetragen werden müsse. Das Melderegister könne eine offizielle Freigabe jedoch erst mit dem Ablauf des…“

„… das Verfahren erleichtert habe, indem der Kindsvater sowohl vor als auch nach er Geburt die Anerkennung des Kindes als sein eigenes…“

„… die Herberge aus einer Einraumwohnung bestanden haben solle. Dies entspreche nach den Vorschriften der Hartz-Gesetzgebung zwar dem geltenden Prinzip des Forderns, fördere wegen der anstehenden Vergrößerung der Bedarfsgemeinschaft jedoch noch keinen Mehrbedarf für die…“

„… dass Babyfotos der Personen während des Geburtsvorganges als nicht mit dem…“

„… man einen Mehrbedarf für Stillende nur dann anerkennen könne, wenn die Vaterschaft des Kindsvaters auch mit rechtsstaatlichen Mitteln… “

„… dem Vater eine Mitschuld geben könne. Die sozialrechtliche Rechtsprechung betrachte Frauen generell als krank, so sie sich als Schwangere auch innerhalb ihres Mutterschutzes um andere als sozialrechtliche Belange…“

„… nicht berichten könne, da ARD und ZDF über die Feiertage keine Korrespondenten in den…“

„… die verkehrsrechtlichen Belange der Polizei vertrete. Eine noch nicht identifizierte Gruppe mit eigenen Mitteln erleuchteter Personen habe auf dem Feld eine als Kundgebung nicht angemeldete…“

„… seine Frau nicht rechtzeitig gewarnt habe vor den Spätfolgen der Kindsgeburt. Er sei deshalb in einem minderschweren Fall wegen seiner nur in geringerem Maße…“

„… dass die internationalen Netze von der Berichterstattung ausgeschlossen worden wären, um nicht Konflikte zwischen den…“

„… Beamte zu Schaden gekommen seien. Die wegen ihrer fehlenden Landeerlaubnis mit einem Platzverweis bedachten Personenmenge, die nach vorläufiger Messung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zehntausend Trilliarden Billionen Quellen gehabt habe, sei wegen ihrer nicht behördlich genehmigten Landeerlaubnis zu einer für drei Wochen geltenden…“

„… das Kind in einer Krippe niedergelegt haben solle. Die sozialpädagogische Eingreiftruppe sehe dies als schwere Verletzung des…“

„… die Entziehung des Kindes ohne Eintrag ins Melderegister nicht als eine…“

„… drei Sozialarbeiter zum Brennpunkt gesandt haben solle, die sich jedoch verdächtig gemacht habe dürften, als sie mit gefälschten Königswürden und…“

„… den Medien keine Quellen für eine Herkunft der Heerscharen vorlägen, ob diese eventuell aus dem Personal des…“

„… einen der drei Sozialpädagogen identifiziert habe, da er mit Betäubungsmitteln und…“

„… die Hirten einen individuellen Anspruch auf ethnische Ausgrenzung stellen müssten, der jedoch wegen einer ethnischen Ausgrenzung, die unter Umständen auch ohne belastbare Zeugen als Ausgrenzung im Sinne von wenig mehr als einer einfachen Religionszugehörigkeit in einem…“

„… die Einreise in die Vereinigten Arabischen Emirate nach Einbehaltung der Pässe zuzumuten sei. Wer sich dann als Islamist zeige und für die Widerstandsbewegung rekrutieren lasse, sei es nicht wert, in Deutschland oder Europa in den…“

„… als international relevantes Vergehen werte. Zwar sei ein Aufenthalt in Ägypten wegen des allgemein als hoch eingestuften Risikos einer Vernichtung wegen der Religionszugehörigkeit nicht als wichtiges…“

„… die Nationalität der betreffenden Personen nicht genannt werden müsse. Die Medien seien in der Aufsicht ihrer Übernahme verantwortungsvoller Posten so ausgelastet, dass sie auf das christliche Abendland keinen…“





Sicherheitsverwahrung

14 12 2016

„Er hat mir gesagt, ich kann mich an Sie wenden!“ Der alte Mann mit dem kleinen karierten Hütchen zeigte mit dem Finger auf mich, als stünde er schon vor Gericht und ich sei sein einziger Zeuge. Anne seufzte tief auf. „Dann kommen Sie mal mit.“

„Es geht jetzt bloß um eine Kommode“, erklärte Herr Nussbaum umständlich, „die ist geerbt, also vererbt hat sie Onkel Paul, das wissen wir ganz sicher, aber dann wird’s schwierig.“ Anne las den Schriftsatz des Junganwalts, der seine Mandantin vor ungerechtfertigtem Zugriff auf jenes Möbel zu verteidigen suchte. „Onkel Paul war nämlich meiner, das heißt, er war mein Onkel, aber er hat die Kommode trotzdem mir vererbt.“ „Das klingt bisher recht vernünftig“, stimmte ich zu. Doch Herr Nussbaum schüttelte den Kopf. „Nix mit Vernunft, das ist meine Frau. Sie besteht darauf, dass Onkel Paul ihr die Kommode vererbt hat, und deshalb will sie sie jetzt nicht im Schlafzimmer stehen haben, und wenn ich nicht zustimme, dann verkauft sie sie, und – ach, ich weiß doch auch nicht mehr weiter!“

Nussbaum war im Viertel recht wohlgelitten als ehemaliger Ladenbesitzer für Heimtextilien. Sein kleines Geschäft hatte drei Generationen lang gute Gewinne abgeworfen, vor gut zehn Jahren aber war es ihm genug gewesen, und so ging er in Rente. „Sie hat mir seither beständig das Leben schwer gemacht, jeden Tag aufs Neue.“ Hatten die beiden zuvor in ehelicher sowie auch Gütergemeinschaft ein ruhiges Leben geführt, seine Gattin entwickelte sich zur Furie. „Und jetzt verklagt sie mich“, sagte der Alte mit tonloser Stimme. „Ich weiß gar nicht, woher sie das hat.“ Anne ließ den Brief sinken. „Dieser Nickel meint tatsächlich, er könne mit dem Unsinn vor Gericht ziehen.“ Offensichtlich hatte Nussbaum schon zu viel erlebt, um die Abwegigkeit dieses Gedankens zu begreifen. „Aber machen Sie sich keine Sorgen“, tröstete Anne. „Den Kollegen falte ich zusammen, und dann kann Ihre Gattin sich gerne…“ „Nein“, unterbrach sie Nussbaum, „nein! Sie müssen diesen Prozess unbedingt verlieren! Es muss auf die Höchststrafe hinauslaufen!“

Von Vorhängen und Sesselbezügen hatte der gute Mann Ahnung, vor den Schranken eines Gerichts war er jedoch noch nie erschienen. „Ich wäre mit allem zufrieden“, stöhnte er, „wenn Sie es so hindrehen, dass ich Lebenslänglich bekäme!“ Anne tastete nach der Tischplatte. „Jetzt bleiben wir alle ganz ruhig“, sagte sie in leise beschwörendem Ton, „wo ist denn Ihre Frau gerade?“ „Keine Ahnung“, antwortete er verwirrt. „Eigentlich wollte sie zum Frisieren, aber sie ist bestimmt danach noch in die Konditorei gegangen.“ Anne sank in ihrem Sessel zurück. „Auch gut“, sagte sie trocken. „Dann ist Lebenslänglich schon mal nicht drin.“

„Aber Sicherheitsverwahrung?“ Nussbaum sah geradezu flehentlich auf seine Anwältin. „Es heißt erstens Sicherungsverwahrung“, erläuterte Anne, „und zweitens hieße es, dass Sie gemeingefährlich wären.“ „Ich dachte an die Kommode“, murmelte der alte Mann, „aber bitte, Sie sind vom Fach.“ Ich hatte da einen Gedanken. „Du kennst doch diesen Gerichtsvollzieher – wenn jetzt Herr Nussbaum eine Menge Schulden hätte, könnte man das Corpus delicti nicht einfach pfänden lassen?“ „Sie leben nicht in Zugewinngemeinschaft“, gab Anne zurück, „das heißt, dass ein Zugewinnausgleich nach §1363 nur im Fall eines… also: nein.“ Ich nicke befriedigt. „Das wollte ich wissen.“

Doch was sollte geschehen mit der Nussbaum-Kommode? Anne fiel nichts ein. „Wenn wir eine Gütergemeinschaft als vertraglichen Güterstand, der in die…“ Der alte Herr hob abwehrend die Hände. „Kein Vertrag“, wimmerte er, „ich unterschreibe nichts mehr!“ Ich winkte ab. „Vielleicht geben wir uns besser geschlagen, lassen ihr das Möbel und haben unsere Ruhe.“ Nussbaum rieb sich an der Nase. „Sie sind doch schlank“, begann er mit einem Seitenblick in meine Richtung, „wenn Sie über die Terrasse, also die Tür, die kann man einen Spalt offenlassen, und dann verschwinden Sie mit dem Ding durch den Garten?“ Von der Tür erklang ein leises Räuspern. Luzie Freese, klein und blond und die Vorzimmerkraft der Kanzlei, die Papiere ihrer Chefin stets schwungvoll mit luziefr abzeichnete, klopfte an den Türrahmen. „Kleinen Moment.“ Schon war sie wieder an ihrem Tresen verschwunden, schob den Schrank zu und kam ins Büro zurück. In der Hand hielt sie ein kleines, handliches Beil. Anne riss die Augen auf. „Nein“, beeilte sich Luzie, „nicht das, was Sie denken: ich wollte heute nach Feierabend noch schnell ein Tannenbäumchen schlagen. Aber man kriegt damit sicher auch eine Kommode klein.“ Nussbaums Augen funkelten. „Kommen Sie!“ Er packte mich sogleich beim Ärmel. „Kommen Sie, die Alte ist bestimmt schon beim zweiten Kännchen Tee – das verdammte Ding ist Kleinholz, wenn wir uns jetzt beeilen!“ Und er zog mich nach sich, aus dem Zimmer, an Luzie vorbei, direkt zum Ausgang. Und da drehte er sich noch einmal um, lief ein paar Schritte zurück, wo Anne schon fassungslos in der Tür stand. „Sagen Sie mal“, fragte er atemlos, „machen Sie auch was mit chinesischen Vasen?“





Postpraktisch

13 12 2016

„… habe die CDU nur noch wenige Chancen, eine rot-rot-grüne Bundesregierung zu verhindern, weshalb sie Möglichkeiten auslote, eine neue Auflage der Koalition ohne Angela Merkel zu…“

„… müsse die Union den rechtskonservativen Kräften auch entgegenkommen, indem sie eine Überprüfung der weiteren Zusammenarbeit mit der Antifa…“

„… erwarte die Junge Union ein klares Bekenntnis zu den Rentnern, die als wichtigste Wählergruppe unabhängig von der Parteiführung…“

„… fühle sich die CDU von Merkel inzwischen massiv provoziert. Insbesondere der rechte Flügel könne nicht hinnehmen, dass die Kanzlerin nun tatsächlich aktiv Handlungen vornehme, die auch so geplant worden seien. Dies widerspreche jeder bisher abgesprochenen…“

„… ein Burka-Verbot wegen fehlender Burkas für Deutschland keine Relevanz besitze. Die Junge Union verlange dennoch von der Kanzlerin, ein Verbot von Schlümpfen, Einhörnern und…“

„… bekomme Merkel die Gelegenheit, den Bundesinnenminister so zu disziplinieren, dass er nicht mehr mit ihr konform gehe, sondern zuerst die Interessen der Partei…“

„… ein Verbot des politischen Islam in Deutschland durchgesetzt werden müsse. Die JU wolle dies auch über Parteigrenzen hinweg im…“

„… dass die Partei die Eigenständigkeit der Kanzlerin betone. Eine Kandidatin, die sich ihre Ansichten von außen vorschreiben lassen, könne von der Union nicht als…“

„… eine Verschärfung des Asylrechts sofort stattfinden müsse, damit rechts der Union stehende Kräfte keine Möglichkeit mehr hätten, um mit der Verfassung zu vereinbarende Forderungen…“

„… habe Merkel nach Auffassung der Partei viel zu stark die Inhalte der Sozialdemokratie übernommen und damit dem Profil der Union geschadet. Sie solle nun zum Ausgleich Inhalt der AfD in ihre…“

„… schrecke die Union nicht mehr vor der Legalisierung von Transgender-Toiletten zurück, wenn dies ein Weg sei, die Kanzlerin zur Aufgabe zu…“

„… solange Merkel der CDU die Bundesregierung sichere. Eigenständige Politik dürfe deshalb nicht auf Kosten von…“

„… dürfe die Kanzlerin in bestimmten Einzelfällen ihre Willkommenskultur weiterhin praktizieren, wenn die Partei diese in Hinsicht auf rechtsnationale Kräfte…“

„… ob in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft von Merkel nur eine Wende, eine Wende von der Wende oder sogar die…“

„… müsse es eine Obergrenze geben. Erst eine Wahl nach Merkel dürfe über vierzig Prozent…“

„… dass die Partei ihrer designierten Kanzlerkandidatin unfaire Methoden wie eine gezielte Ausgrenzung vorwerfe. Sie könne dies nur mit Ausgrenzung der Kanzlerkandidatin…“

„… die Union als Gegenleistung zustimmen werde, wenn sie dafür eine Steuersenkung für Besserverdienende…“

„… zahlreiche Gründe gefunden habe, warum sie als Kanzlerkandidatin nicht mehr in die CDU passe. Die Junge Union habe aus Pietät jedoch nicht gefragt, ob Merkel selbst sich Gedanken gemacht hätte über eine Eignung als…“

„… erste Stimmen laut geworden seien, Merkel aus der CDU auszuschließen. Dies sei auch der politischen Säuberung der Partei vom sozialistisch inspirierten Personenkult der ehemaligen…“

„… sei es für die Junge Union nicht hinnehmbar, wenn die Kanzlerin nach alter Gewohnheit vier Jahre veranschlagt habe, um die Grünen für die kommenden Legislaturperioden…“

„… unter Umständen gegen eigene Interessen handeln würde. Die CDU sehe aber in einer postpraktischen Vorgehensweise auch gute…“

„… es langfristig besser wäre, die CDU von Seehofer erledigen zu lassen, statt Merkel selbst in die…“

„… nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Kanzlerin ihrerseits aus der Partei…“

„… eine gemeinsame Integration der CDU und Merkel in die CSU eventuell für das Wahlergebnis einen positiven…“

„… erkenne die Partei in einem Anfall von Selbstkritik auch eigene Fehler. Die Union sei durch den nunmehr sechzehnjährigen Vorsitz von Merkel inzwischen so selbstbewusst und modern geworden, dass sie nicht mehr zum Profil des…“

„… nicht von Tendenzen der Selbstauflösung sprechen wolle, nur weil Angela Merkel plötzlich angedeutet habe, 2017 nicht mehr als…“

„… zur Konsolidierung der Wahlergebnisse die Integration auch die CDU/CSU mit oder ohne die Kanzlerin in eine…“

„… bisher keinen anderen Kanzlerkandidaten gefunden habe, der ausschließlich den Weisungen der Partei…“

„… einen Krisenparteitag einberufen wolle, um die Abspaltung von der Jungen Union auch ohne vorherige Aussprache vollziehen zu können. Die Regierungsbeteiligung der CDU sei durch Merkels überraschenden Wechsel zur SPD auf ein Minimum…“





Gesetzlich versichert

12 12 2016

„Mal ehrlich, erwarten Sie das nicht von uns? so ein Rundum-sorglos-Paket, das Ihnen einfach ein ganz neues Mobilitätsgefühl verleiht? Sieben Tage in der Woche, vierundzwanzig Stunden, immer an Ihrer Seite, wenn Sie in Deutschland unterwegs sind? Wir als Versicherungskonzerne wissen, was Sie wirklich brauchen. Ob Sie wollen oder nicht.

Sie haben ja wirklich recht. Das mit der Bahn als Staatskonzern hat schon nicht geklappt, und dann auch noch die Post, also das, was von dem Laden übrig ist – können Sie sich Autobahnen in Bundeshand vorstellen? Das reinste Chaos, eine Fehlinvestition nach der anderen, nur Reformstau, überall Tempolimits, schrecklich! Deshalb wollen wir als Profis das mal in die Hand nehmen und für echten Fortschritt sorgen. Wir als Versicherungen kennen uns aus mit nationalen Großprojekten, auch mit solchen, die für die Politik zu kompliziert sind und die wir notfalls ohne fremde Hilfe über die Bühne bringen. Gucken Sie sich an, was da in Berlin als Verkehrsminister herumturnt, und dann sagen Sie uns: glauben Sie ernsthaft, die Politik würde eine Autobahnprivatisierung ohne unsere Hilfe schaffen?

Doch, die kommt. Das ist wie mit der Maut. Die wurde auch erst kategorisch ausgeschlossen, und dann stellte sich heraus, dass die Rechnung nicht aufgeht, und darum kommt sie jetzt doch. Die Autobahnprivatisierung wurde abgelehnt, weil sie gegen die Verfassung verstößt. Deshalb ist sie noch ein ganzes Stück wahrscheinlicher als die Maut.

Sie kennen doch Ihre Versicherungen, oder? Jeder hat Versicherungen, Krankenversicherung, Autoversicherung, Haftpflicht, Hausrat, das muss einfach sein. Ein vollkommen alltägliches Geschäft, das hat hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung, da macht man gerne mit, da zahlt man ein, und dann ist noch die Frage: zahlt der Laden auch? Ja, man muss das nicht immer so bierernst sehen, denken Sie einfach mal ein bisschen lebensnah, da macht das gleich viel mehr Spaß.

Vor allem verwaltungstechnisch kann man das doch wesentlich vereinfachen. Schauen Sie, so eine Maut ist im Grunde organisatorisch nur der Anfang. Da macht man dann eine Pflichtversicherung, eine Fahrerlaubnis kann man sicher inzwischen bei den Bürgerinnen und Bürgern voraussetzen, deshalb ist der Begriff der Bürgerversicherung auch für den Wahlkampf so gut, und dann zahlen Sie hier ein, und dann dürfen Sie auf der Autobahn fahren. Das Modell bleibt natürlich gleich. Also das von der Krankenversicherung. Sie sind gesetzlich versichert und können dafür auf der Autobahn – oder einer Autobahn, oder vielleicht ist es auch nur ein Streckenabschnitt, das müssen wir dann mal sehen, wenn wir das durchgerechnet haben – also da kann man dann fahren, Kilometerpauschale und fertig. Wenn Sie eine gewisse Hubraumgröße erreichen, können Sie sich – also Ihr Auto, ist ja auch nicht Ihr Hubraum, haha! – dann sind Sie privat versichert. Da müssen wir dann natürlich eine Deckelung für die Kosten einführen, um den Infrastrukturstandort Deutschland nicht zu gefährden. Wenn Sie zum Beispiel jeden Tag auf dem Kreuz Ulm/Elchingen auffahren, und dann zum Flughafen, das sind dann, ich muss mal nachrechnen, aber auf jeden Fall muss man verhindern, dass Leistungsträger die Strecke aus Steuerersparnissen auf ausländischen Straßen zurücklegen, dann haben wir gar keine Einnahmen, und das kann ja auch nicht in Ihrem Interesse sein.

Außerdem, denken Sie doch mal an die Rendite! Sie können sich gar nicht vorstellen, was man für eine Scheißkohle rauskriegt! Gut, nicht Sie. Ihr Part besteht eher darin, die Scheißkohle reinzustecken, das kennen Sie bereits von den Energiekonzernen. Wenn es nicht so gut läuft, ziehen wir die Preise an. Wenn es besser läuft als erwartet, müssen wir leider die Preise nach oben anpassen. Wenn wir von der Regierung wegen unerwarteter Steuergeschenke für korrupte Großverdiener plötzlich extrem hohe Gewinne haben, wird es Sie nicht überraschen, dass wir die Preise kräftig erhöhen, damit die Rendite nicht nur linear steigt, anstatt exponentiell durch die Decke zu brettern. Man muss manchmal schon ein Opfer bringen, und Sie sollten sich bereits daran gewöhnt haben, dass wir Ihre gerne annehmen.

Spinnen Sie den Gedanken einfach mal weiter: was spricht eigentlich – aus unserer Sicht, aber das muss ich Ihnen ja nicht erläutern, dass uns Ihre Perspektive nicht wirklich interessiert – dagegen, dass wir den Energiemarkt auch an die Infrastruktur anpassen? Bis jetzt können wir Ihnen leider nur die üblichen Mineralölprodukte bieten, aber in Zukunft werden Sie auf Elektromobilität umsteigen, und zwar genau dann, wenn wir das wollen. Mit unseren Tankstellen, unseren Steckern, unseren Preisen. Sie werden nichts anderes wollen als Qualitätsstrom aus unserem Angebot. Sie bekommen auch nichts anderes mehr, das macht Ihnen die Entscheidung zusätzlich leicht. Sind wir nicht klasse?

Da können Sie sagen, was Sie wollen, ich finde unser Projekt großartig. Den Bürgerinnen und Bürgern die Daseinsvorsorge organisatorisch so einfach wie möglich gestalten, das ist doch eine prima Sache. Sie fahren in Ihrem selbst bezahlten Auto mit Kraftstoff, den Sie zu einem optimalen Preis bekommen, auf einer Straße, die wir aus gemeinschaftlichen Mitteln für Sie finanzieren, und das alles für einen exklusiven Mitgliedsbeitrag, damit Ihnen auf der Fahrt auch wirklich nichts zustößt. Meinen Sie nicht, dies Modell könnte echt Zukunft haben?“