Hildegard bremste ab. Ohne auch nur den Kopf zu drehen, setzte sie rückwärts in die enge Parklücke. „Beschwer Dich nicht“, moserte sie, „ich mache das Deinetwegen, schließlich war es Dein Geschenk!“ Ich hatte es mir nicht gewünscht, dafür hatte sie es mir geschenkt. Und jetzt standen wir hier, komplett eingeklemmt vor dem Heimwerkermarkt.
„Wir brauchen eh eine Badleuchte“, murrte die Begleiterin und schob mich durch die Eingangstür. „Und dann kannst Du gleich nach einem neuen Tretmülleimer schauen, den brauchst Du auch. Am besten fragst Du gleich mal an der Information.“ Wo das Schild hing, starrte ein draller Mann im gelblich zerknitterten Hemd durch mich hindurch, als wäre ich Luft hinter einer Glaswand. „Wir wollten in die Elektroabteilung“, teilte ich ihm mit, aber er verstand mich nicht. Möglicherweise war es ihm auch nur völlig egal. „Hallo“, versuchte ich es wieder, diesmal schon mit der Hand vor seinem in Desinteresse zerfließenden Gesicht. „Lampen und Elektro? Wo!?“ Keine Reaktion. Hildegard zog das Kärtchen aus der Tasche. „Einen wunderschönen guten Tag“, jubelte der Dicke, „Sie werden heute den besten Service in unserer Filiale erleben – wir sind immer für Sie da!“ Er stempelte die Karte ab und zeigte mit dem Finger nach links. „Unser Elektroparadies befindet sich direkt hinter den Baubeschlägen, fragen Sie uns gerne nach unserem einzigartigen Rabattsystem für Sie!“ Das also war der Erlebnisgutschein für den Besuch im Baumarkt.
Sicherlich war die Verkaufsfläche völlig mit Überwachungskameras bedeckt, die ansonsten für das spurlose Verschwinden des Personals sorgten. Jetzt aber diffundierten hier und da Leute in gelben Hemden durch die Regale – es mussten wohl immer dieselben sein, so viele Verkäufer hätte man sonst in Europa nicht an einem Tag auftreiben können – und winkten freundlich. Ich betrat den Gang. Skeptisch betrachtete ich die verchromten Leuchtklopse, die da an der Stellage hingen. „Darf ich Ihnen helfen?“ Wie aus dem Boden gewachsen stand der Mann neben mir. „Ich suche eine…“ „Haltbar durch den energiesparenden Acrylglasschirm“, schwatzte er, „und die hochwertige Verarbeitung ist auch mit LED, die Sie nicht mehr austauschen müssen.“ Er griff eine zweite. „Diese hier ist auch im Angebot, da kann man das Leuchtmittel ebenfalls, aber die Verchromung ist besonders mit dem Acrylglas, das ist dann auch viel haltbarer.“ „Ich wollte“, warf ich ein, „eigentlich nur eine Lampe.“ Hildegard drehte die Augen sehr weit nach innen. „Entscheide Dich doch endlich mal!“ „Sie kriege natürlich in dieser Effizienzklasse auch die Klassiker“, schwafelte der Verkäufer weiter, „aber die sind dann nur in Acryl mit Chrom, und die Beleuchtung geht dann als LED.“ Warum hatte sie mir nicht etwas mit mehr Zartgefühl und Entspannung geschenkt, zum Beispiel eine Nachtschicht im Schlachthof.
Ich entschied mich vorsichtig für ein Modell, das dem aktuell in meinem Bad hängenden recht ähnlich sah, doch der Verkäufer ließ nicht locker. „Ich habe die auch in Warmweiß, da müsste ich mal eben ins Lager. Kleinen Moment!“ Fort war er. „Lass uns gehen“, drängte ich, „wir wollten doch noch einen Mülleimer holen.“ „Den können Sie so nicht mitnehmen“, raunzte es neben mir. Ein Mann riss mir die Leuchte aus der Hand, hängte sie ans Regal zurück und drehte sich um. Ich hielt ihn an der Schulter zurück. „Moment!“ Er hatte offenbar nicht mit Widerspruch gerechnet und ging bereits in die Verteidigungshaltung über. „Sie besorgen mir jetzt dieses Modell mit einer warmweißen Lampe und dann…“ „Das ist nur für die Decke“, blaffte er, „sehen Sie doch selber!“ Hildegard biss sich auf die Unterlippe. „Erstens will ich eine Deckenleuchte“, antwortete ich sanftmütig, „und zweitens: warum hängt dieses Ding da senkrecht am Regal?“ „Weil die fürs Bad ist, können Sie nicht lesen?“ Da holte ich den Gutschein aus der Manteltasche. Er sah mich ungläubig an. „Sie werden mir jede einzelne dieser verdammten Leuchten zeigen“, erklärte ich, „und wenn ich ‚jede einzelne‘ sage, dann meine ich das auch so, klar!?“ Er nickte hilflos. Ich drückte ihm den runden Lichtkloß wieder in die Hand. „Los jetzt“, knurrte ich, „ich will ein unvergessliches Erlebnis!“ Hektisch drehte er an der Scheibe, so dass ein Teil der verchromten Plastikverkleidung abbrach. „Sehr effizient“, stotterte er, „und mit einer Neun-Watt-Lampe, das heißt vier mal drei, oder drei mal zwei?“ „Spritzwasserschutz“, half ich ein, „ich würde gerne über Spritzwasserschutz bei diesem Modell diskutieren.“ Verzweifelt sah er auf dem Karton nach. „Die muss geschützt sein“, rief er mehrmals, „ich bin mir sicher, die ist auch sicher!“ „Nur die Ruhe“, tröstete ich ihn, „wir haben noch den ganzen Tag Zeit.“
Keine zwei Stunden später kam mit federndem Gang und einer warmweißen Chromdeckenleuchte der ursprüngliche Meister Lampe zurück. „Wir hatten da noch genau ein Exemplar“, verkündete er fröhlich, „und ich lege Ihnen noch einen zweiten Satz Leuchtmittel drauf – weil Sie es sind!“ Der konvulsivisch zuckende Kollege auf dem Boden fingerte nach seinem Hosenbein. Er musste es wohl übersehen haben. „Sehr gut“, sagte ich befriedigt. „Ganz hervorragend. Dann bräuchten wir jetzt ja nur noch einen Mülleimer.“ Ich reichte den Karton mit der Leuchte an Hildegard weiter. „Falls Dir im nächsten Jahr nichts einfällt“, sagte ich, „meine Gardinen haben es echt nötig.“
Satzspiegel