„Könnte man denn nicht jetzt endlich mal etwas gegen den ganzen Terror tun!?“ „Nein.“ „Aber man muss doch etwas tun können.“ „Warum?“ „Weil man etwas tun muss.“ „Wer sagt das?“ „Alle sagen das.“ „Und alle wissen, was sie da sagen?“
„Wenn man jetzt zum Beispiel von jemandem weiß, dass der gefährlich werden könnte…“ „… dann weiß man nur: der könnte gefährlich werden. Mehr nicht.“ „Aber das reicht doch.“ „Wofür?“ „Dass man weiß, der könnte gefährlich werden.“ „Und unter welchen Umständen?“ „Das kann man natürlich vorher nie wissen, aber dazu muss man ihn eben beobachten.“ „Die Umstände?“ „Wie?“ „Ob man nicht die Umstände auch beobachten müsste, damit man weiß, wann jemand gefährlich werden könnte.“ „Aber das lässt sich doch sowieso nie trennen.“ „Also trägt eine Person dann auch die Verantwortung für die Umstände, unter denen sie gefährlich wird?“ „Aber das ist doch…“ „Sicher, Sie haben es nur so deutlich gesagt.“ „Habe ich gar nicht!“ „Aber gedacht.“ „Jetzt hören Sie auf mit dem…“ „Oder zumindest theoretisch hätten Sie es denken können.“ „Sie sind ja verrückt!“ „Also rein theoretisch.“ „Schluss jetzt! das muss ich mir von Ihnen nicht gefallen lassen!“
„Sie sind für den Entzug von Grundrechten, wenn eine theoretische Gefahr nicht auszuschließen ist, oder?“ „Das habe ich so nie gesagt!“ „Aber Sie haben es gemeint.“ „Ja, aber nicht so formuliert.“ „Das Wesentliche an einem guten Gesetz ist, dass man es nie so formuliert, dass irgendjemand merkt, was damit gemeint sein könnte.“ „Es kann doch keine Lösung sein, dass wir uns von diesem Terror das Land zerstören lassen.“ „Haben Sie in den letzten zehn Jahren einmal keine Bananen in Ihrem Supermarkt bekommen? oder konnten Sie Ihr Auto wegen der tagelangen Ausgangssperre nicht mehr auftanken?“ „Machen Sie sich nicht lächerlich.“ „Dann verstehe ich nicht, was Sie da erzählen.“ „Es wird doch aber immer schlimmer, und keiner weiß, wo das alles noch hinführen soll.“ „Sie sind also für die anlasslose Überwachung, die der Europäische Gerichtshof gerade abgelehnt hat?“ „Wenn man einen Anlass hat, ist es doch nicht anlasslos.“ „Und wie findet man das raus?“ „Man muss sich eben für die Leute interessieren, die unser Land gerade unter ihre Herrschaft bringen.“ „Herrschaft.“ „Aber ja – die scheinen jetzt ja noch in der Minderheit zu sein, aber warten Sie mal ab.“ „Die paar tausend Jahre, bis sie in der Mehrheit sind?“ „Sparen Sie sich den Spott, wir müssen endlich tätig werden!“ „Und wie genau wollen Sie herausfinden, wen die Behörden überwachen sollen?“ „Man müsste die eben alle überwachen.“ „Alle.“ „Natürlich alle.“ „Und das ist legal?“ „Man kann doch nicht durch Überwachung rausfinden, wen mal überwachen soll – das ist ja blödsinnig!“ „Und deshalb überwacht man alle.“ „Haben Sie etwa einen besseren Vorschlag?“ „Im Moment nicht, nein.“
„Sie reden immer so geschwollen, aber wenn man wirklich mal eine praktische Lösung sucht, dann fällt Ihnen auch nichts ein.“ „Ich hätte schon eine. Verhaftung auf Vorrat.“ „Wie soll das denn funktionieren?“ „Wie es sich anhört.“ „Sie meinen, man verhaftet einfach jemanden? Einfach so?“ „Natürlich nur aus gutem Grund.“ „Was macht das für einen Unterschied?“ „Überlegen Sie mal: würde man in einem Rechtsstaat jemanden verhaften, wenn es nicht einen wirklich plausiblen Grund dafür gäbe?“ „Selbstverständlich nicht.“ „Daran sehen Sie, wir leben in einem Rechtsstaat.“ „Da ist etwas dran.“ „Und es gibt eine Menge Haftgründe, die man hier ins Feld führen könnte. Nehmen Sie zum Beispiel die Möglichkeit, dass jemand aus einem Land kommt, in dem es unter Umständen viel Verbrechen gibt.“ „Das sagt doch noch gar nichts.“ „Aber es besteht doch die Möglichkeit, das heißt: rein statistisch gibt es die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person ein Verbrecher sein könnte.“ „Ich weiß ja nicht.“ „Haben Sie etwas gegen Statistik?“ „Ich weiß nur nicht, ob das für eine Verhaftung ausreicht.“ „Wenn man jetzt zum Beispiel von jemandem weiß, dass er gefährlich werden könnte, dann weiß man doch schon, der ist gefährlich. Also unter Umständen.“ „Ja, schon.“ „Und wenn man da etwas machen könnte, soll man dann weiter untätig bleiben oder geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Gefahr für andere Menschen auszuschalten?“ „Aber wir leben doch in einem Rechtsstaat.“ „Das ist richtig, und deshalb ist es ja zunächst auch nur eine nach Recht und Gesetz vollzogene Verhaftung, wenn Haftgründe vorliegen.“ „Nach Recht und Gesetz?“ „Absolut.“ „Und man lässt die Leute auch wieder frei, wenn sie unschuldig sind?“ „Das wird man dann im Einzelfall entscheiden müssen – Sie verstehen, in einem Rechtsstaat darf man nie alle Menschen über einen Kamm scheren, man muss immer den Einzelfall würdigen.“ „Und wie kriegt man raus, ob es sich um eine gefährliche Person handelt?“ „Man kann sie beobachten, zum Beispiel während der Haft. Oder befragen. Oder man kann zu Überwachungsmaßnahmen greifen, am besten bereits im Vorfeld.“ „Warum im Vorfeld?“ „Dann ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass man aus Versehen einen Unschuldigen verhaftet.“ „Und wenn man doch mal jemanden überwacht, der sich dann als unschuldig herausstellt?“ „Sehen Sie, in einer Demokratie werden alle Personen überwacht, weil das demokratisch ist – es kann sich dieser rechtsstaatlichen Maßnahme eben keiner entziehen, sonst wäre es ja keine Demokratie, verstehen Sie?“ „Hm.“ „Man müsste natürlich ein paar Dinge in der Strafprozessordnung erleichtern, aber Sie wollen doch auch, dass die Gefahr in diesem Land nicht besteht, oder?“ „Wir müssen alle Opfer bringen.“ „So sehe ich das auch. Und mit diesen Maßnahmen dürfte der Terror hier bald auch keine Rolle mehr spielen. Also der ausländische.“
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