„La-dida-didadi-da-daaa“, trällerte er und tänzelte mit leichtem Schwung in den Hüften den Kiesweg entlang bis zum Kofferraum, „Elviiira Españaaa!“ Herr Breschke setzte den Karton mit den Gläsern vorsichtig in den Wagen hinein. So gute Stimmung hatte ich bei ihm lange nicht erlebt, und das schon vor dem Urlaub.
„Den Mantel legen Sie auf die Rückbank“, wies er mich an. „Wir fahren auf dem Rückweg bei der Reinigung vorbei, da hole ich auch gleich die Jacke ab. Können wir?“ Ich nickte und stieg ein. Der alte Herr zog die Tür hinter sich ins Schloss und legte den Sicherheitsgurt an. Dann schaltete er das neue Gerät ein – das Geschenk seiner Tochter und wie zu erwarten mit einem chinesischen Startbildschirm. „Es stellt sich gleich um“, ließ er mich wissen. Der elektronische Navigator nahm sich dafür sehr viel Zeit, und doch war es irgendwann geschafft. „Also ist das heute eine Art Jungfernfahrt“, stellte ich fest. Er nickte. „Wir haben das Gästehaus in Barcelona schon einmal einprogrammiert, und nächste Woche machen wir uns auf dem Weg zu unserer Tochter.“ Unter einer quäkenden Tsching-Tschang-Tschong-Musik zeigte eine Roboterfigur auf dem Bildschirm die unterschiedlichen Optionen an. „Zuerst zu Frau Bierbichler“, entschied Breschke. „Sie weckt ein und kann die Gläser gut gebrauchen. Goldkäferweg Nummer dreißig.“ Das Getön verstummte, dafür kostete es selbst mich erhebliche Mühe, die winzig kleinen Tasten auf dem Display zu sehen. Horst Breschke klemmte vor lauter Konzentration seine Zunge zwischen die Zähne. „Gleich habe ich’s“, murmelte er. „Gleich…“
„Rechts abbiegen“, säuselte die Stimme, „rechts abbiegen!“ „Wir fahren doch aber nach Westen“, wunderte ich mich. „Dieses Gerät schickt sie in die entgegengesetzte Richtung.“ Breschke bremste kurz an. „Vielleicht liegt es ja daran, dass es aus China kommt?“ Und so nahm er wieder Fahrt auf, ganz wie der Bildschirm anzeigte, ging es in Richtung Hauptbahnhof. „Nächste Gelegenheit links abbiegen“, informierte die elektronische Dame, „bei der nächsten…“ „Hier gibt es so gut wie keine Straßen, in die wir links abbiegen können.“ Ich sah noch einmal nach. „Wahrscheinlich sagt es immer das Gegenteil an“, grübelte Breschke. „Also die Himmelsrichtungen, links und rechts – ich werde die nächste rechts nehmen.“ Ruckartig lenkte er die Limousine in den Adalbert-Stifter-Weg, knapp vorbei am Schild, das ihn als Einbahnstraße zu erkennen gab, wenngleich von der anderen Fahrtrichtung her. „Haben Sie das Schild nicht gesehen?“ Er wollte gerade antworten, aber das Ding kam ihm zuvor. „Nächste Gelegenheit rechts abbiegen.“ Nach zwei derartigen Manövern bog Breschke über die Uhlandstraße wieder auf die Kastanienallee ein. „Einmal im Kreis“, bemerkte ich trocken. „Sollten Sie auf dem Landweg nach Spanien zufällig einen neuen Kontinent entdecken, geben Sie mir schnell Bescheid.“
Man merkte, wie im Kopf des pensionierten Finanzbeamten arbeitete. Zwei Wagen und einen Omnibus wartete er ab, dann bog er links wieder auf die Hauptstraße ein. „Wenn wir uns jetzt in der Gegenrichtung bewegen, dann stimmen die anderen Hinweise vielleicht wieder.“ Das leuchtete mir ein, schließlich hätten wir zu Fuß auch keinen anderen Weg genommen. „Am Kreisverkehr bei der ersten Möglichkeit herausfahren“, meldete sich der Wegweiser wieder zu Wort. „Bei der ersten…“ „Das Display zeigt auf die Schönfelder Chaussee“, gab ich zu bedenken, „das ist doch nicht die erste?“ Schon vor Jahren hatte man die Verkehrsführung so geändert, dass ganz neue Zu- und Abwege sich ergaben, aber das war an dieser Straßenkarte wohl komplett vorbeigegangen. „Ich will nicht meckern, aber das Material scheint mir etwas überholt.“ Horst Breschke zog die Stirn in Falten. „Oder sie haben ihr eins verkauft, das nur für Spanien gilt?“
Einmal kreiselten wir in der Tirpitzstraße auf die bisher erprobte Weise rechtsum, sodann legte der Fahrer neben mir eine gekonnte Vollbremsung hin, als ihm das Navi ins Hafenbecken abzubiegen empfahl. „Ich verstehe es nicht“, jammerte er. „Das Gerät ist doch ganz neu, ich habe nichts verstellt!“ „Daran könnte es liegen“, gab ich zurück. „Wenn Ihre Tochter solche Sachen kauft, ist man ja vor Überraschungen nie wirklich sicher, aber hier stoße sogar ich an meine Grenzen.“ Beherzt gab er Gas, fuhr über den Kreisverkehr in den Libellenweg, bog links in die Seerosenstraße und an der Kreuzung Am Stadtpark – Gartenstraße rechts ein in den Goldkäferweg. „Warten Sie einen Moment“, bat er. „Ich trage Frau Bierbichler eben die Gläser an die Tür, dann kurz zur Reinigung, und dann brauche ich eine Tasse Tee. Eine große Tasse Tee!“
Keine fünf Minuten später hatte sich Herr Breschke wieder ins Auto gesetzt. Grimmig blickte er den kleinen Kasten auf dem Armaturenbrett an. „Ich gebe die Adresse der chemischen Reinigung ein, und dann fahren wir die normale Strecke. Wollen wir doch mal sehen, wohin uns der Apparat diesmal lotsen will.“ „Rechts abbiegen“, säuselte die bekannte Stimme wieder, „rechts abbiegen!“ Er gab Gas und rollte durch die Schönfelder Chaussee direkt auf den Kreisverkehr zu. „Wenn ich das gewusst hätte“, knurrte Breschke. „Das Ding ist doch nicht ganz – oh!“ Kurz vor dem Kreisel würgte er den Motor ab. Schreckensbleich sah er auf das Display, wo uns die Weiterfahrt bis zum Adolf-Hitler-Platz empfohlen wurde. „Bauen Sie es lieber aus“, riet ich Breschke. „Lassen Sie das Ding hier, wer weiß, was Sie damit anstellen, wenn Sie nach Spanien fahren.“
Satzspiegel