A Room with a View

25 01 2017

Wir sehn betroffen alle Türen zu, und alle Fragen offen. Und heute ist ja erst Mittwoch. Höchste Zeit, den Pokal noch einmal kurz mit dem Flanellläppchen zu polieren und den Freitagstexter mit einem feierlichen Ausklang zu beenden.

Immerhin sind es wieder einmal genug Beiträge für ein ordentliches Siegertreppchen, das unlängst angeschaffte Klapppodest kann also zum Einsatz kommen – Vorsicht mit der Dachschräge, und da hat Hildegard das Teebrett an die Wand gelehnt, ich musste mir gestern auch schon Vorwürfe anhören, aber ich bin ja nicht der amerikanische Präsident und warte auf den Zimmerservice mit der Torte. Die Sache ist wie gewohnt schrecklich kompliziert, also machen wir sie einfach.

Bei einem Haus zählen ja nur drei Dinge: die Lage, die Lage und die Lage. Beim Weißen Haus kommen vielleicht noch eine gewisse Geräumigkeit sowie deutlich überdurchschnittliche Sicherheit dazu. Aus dem einen oder anderen Wandschrank lächelt bei der Besichtigung ein freundlicher CIA-Mitarbeiter, in der Küchenschublade sind drei rote Knöpfe, der Stab denkt eben an alles. Man muss also, wenn man denn tatsächlich einzieht, gar nicht mehr vor die Tür gehen. Bronze für den Wortmischer, der sich mit auch privat genutzten Dienstimmobilien auskennt.

„Und hier entlang, lieber Donald, geht es runter in den Keller. Da kannst Du heimlich rauchen und Deine Pornoheftchen verstecken.“

Hildegard ist gerade sehr interessiert, allerdings geht es ihr dabei in erster Linie um die steuerliche Absetzbarkeit. Ich möchte nicht über einen Umzug reden. Und was das Putzen angeht, wäre es am praktischsten, große Anwesen unter einer jeglichen Schmutz abweisenden Folie aufzubewahren – ob dann der neue Präsident überhaupt das Haus hätte betreten dürfen? amerikanische Wissenschaftler werden es herausfinden – oder wenigstens einige Räume damit zu schützen. Schlafzimmer zum Beispiel. Der silberne Pokal geht an Shhhhh:

Keine Angst, Donald, der Raum ist absolut keimfrei.

Aber nun müssen wir das Problem anpacken. Wie lässt man ungebetene Dauergäste möglichst schnell wieder verschwinden, ohne danach die ganze Bude von Grund auf renovieren zu müssen? Feng Shui? Nein. Alternative Energien. Wer das Zimmer aufmerksam betrachtet und den Blick ins Freie sieht, findet die Lösung. Die Segel bauschen sich unter einer herzhaften Brise, die ein kräftiges Stoßlüften ermöglichen. Den goldenen Topf für ein bewährtes Hausmittel von rollinger:

„Das gibt dann eine unglaublich tolle Strömung im Hauptwohnbereich“

Herzlichen Glückwunsch! Der Siegerpokal ist damit, wenn ich das richtig sehe, zum ersten Mal bei rollinger angekommen, dem ich für den nächsten Freitagstexter am 27. Januar viel Spaß und gutes Gelingen wünsche. Und einen Zugluftstopper für glatte Böden. Man weiß ja nie.





Märchenstunde

25 01 2017

„Nein, es gibt keine sprechenden Wölfe, und jetzt hören Sie auf mit Ihrer Indoktrination! Sie sind ein Werkzeug der Wolflobby, wahrscheinlich wollen Sie vertuschen, dass wir hier in Deutschland von einwandernden Wölfen bedroht werden, die keine Sozialabgaben zahlen und von deutschen Jägern auf Kosten des Steuerzahlers abgeschossen werden müssen!

Außerdem würde man nie ein minderjähriges Mädchen mit einer Flasche Alkohol in den Wald schicken – zeigen Sie mir Erziehungsberechtigte, die so etwas tun würden. Und dann frisst der Wolf auch noch die Großmutter. Das ist ja schon nicht mehr unrealistisch, das ist bewusste Irreführung der Leser. Also wenn Sie denken, das sei noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Das wird gestrichen. Nein, ich lasse mich auf keine Diskussion mit Ihnen ein, es handelt sich schließlich um eine Publikation, die auch für Kinder und Jugendliche beeignet sein soll. Da muss die Informationsebene absolut korrekt sein, sonst riskieren wir vollkommen falsche Vorstellungen in der Bevölkerung.

Das ist kein Argument. Wenn es schon für viele Jahrhunderte in der Bevölkerung tradiert wird, ist das noch lange kein Grund, dass wir es akzeptieren müssen. Schauen Sie sich die Geschichte doch mal an. Erst eine verzerrte Darstellung von Erziehung, dann wird der Wolf als Volksschädling und Gefahr für die Mehrheitsgesellschaft hingestellt – raten Sie mal, wen man zu dem Thema im Fernsehen befragt – und dann auch noch diese Hirngespinste über die Großmutter, die lebendig aus dem Verdauungstrakt eines Raubtiers geschnitten wird. Unsinn!

Oder hier: die Tochter will nicht in eine Ehe mit einem Adligen einwilligen, wird an den erstbesten Nichtsesshaften verheiratet und – Sie sollen mir nicht mit historischen Verhältnissen kommen, in der damaligen Ständegesellschaft wäre es erst recht nicht möglich, eine Königstochter an einen Bettler zu verheiraten. Wahrscheinlich entspricht das nicht einmal dem BGB. Wir können doch nicht ständig Geschichten weitererzählen, nur weil sie mit ihrer eigenen Logik irgendwelche alternativen Fakten zu einem eigenen Denkgebäude zusammenbauen. Sprechende Tiere, Zauberer, Bahnsteige, die es nicht gibt – das kann doch nicht gut sein!

Natürlich kann man das auf die Bücher draufschreiben, nur liest das einer? Der Unterschied zwischen Fakten und bewusster Täuschung ist doch den meisten heute gar nicht mehr bewusst. Da geht es um die Patriarchatsvorstellung vom Brechen einer ungehorsamen Frau, die unbewusst den Vater ablehnt und erst durch Rache wieder in ihre soziale Rolle gezwungen wird. Das müssen Sie doch sehen, oder was lesen Sie hier? Es sind eben nicht nur Kindergeschichten, verstehen Sie?

So, und das wird jetzt gleich mal ganz aus dem – ich lasse da nicht mit mir reden, das kommt raus! Das ist geradezu eine Anleitung zu sozialem Elend, das kommt mit nicht in die Ausgabe rein! Diese Kinder sind Opfer ihre Verhältnisse, ja, aber man muss nicht auch noch die Brutalität darstellen, mit der sich die Eltern ihrer Verantwortung entledigen wollen. Kinder im Wald aussetzen, geht’s noch!? Das ist geradezu eine Anleitung für sozial schwache Eltern, ihren Nachwuchs loszuwerden, wenn sie mit der Erziehung überfordert sind.

Ein oraler Mangel wird hier erlebt, vermutlich sind diese beiden Waldarbeiter noch nicht so auf dem Achtsamkeitstrip, das Mädchen wird sich wohl eine Essstörung eingefangen haben – Sie lachen, aber diese Art der Wohlstandsverwahrlosung passt entweder gar nicht zu den Figuren in der Erzählung, oder er löst Konflikte in der heutigen Eltern-Kind-Konstellation aus, und da möchte ich jedenfalls nicht verantwortlich sein, wenn einer sich getriggert fühlt – und irgendwie geraten die beiden dann in den Bann eines Psychokults. Bei der Hexe geht es ja auch primär um orale Bedürfnisse, die aber nicht mit der Wirklichkeit zur Deckung gebracht werden können. Oder haben Sie schon mal ein Haus aus Lebkuchen gesehen?

Lebkuchen geht ja noch, aber erklären Sie mal den veganen Grassaftmuttis vom Prenzlauer Berg, dass Kinder ohne Fagott- und Chinesischunterricht auf die Idee kommen, Hexe al forno zu essen. Das ist jetzt kein Anpassen der Fakten an die Erwartung, denn wir haben es hier ja nicht mit tatsächlichen Tatsachen zu tun. Und es kann auch durchaus mal etwas falsch sein, aber dafür muss es sich auch gut anhören, weil alles in sich wieder stimmt. Das ist nicht nur mit den Kindern so, weil die noch keinen großen geistigen Horizont zu überblicken haben. Den haben auch ziemlich viele Erwachsene nicht.

Und jetzt stellen Sie sich mal vor, das wird alles im Internet veröffentlicht, am besten ungefiltert und ohne Jugendschutz, und dann haben wir den Salat. Da können wir noch so viel für politische Bildung ausgeben, wenn wir diese Desinformation nicht in den Griff kriegen, können wir Wahlen mittelfristig auch gleich sein lassen. Das dringt dann auch noch über die Elternhäuser in die Kinderzimmer ein, da haben wir überhaupt keine Kontrollmöglichkeiten mehr, dann kommen die rechten Rattenfänger, und dann ist zappenduster.

Hier, das sollten Sie mal lesen. Ein kleines Mädchen hat keine Eltern mehr und wird obdachlos und schenkt sein Hemdchen her und sein letztes Brot, und dann wird es auf einmal belohnt. Das zeigt, dass die soziale Marktwirtschaft in diesem Land vorbildlich organisiert ist und Leistungen sehr passgenau für die gesellschaftliche Teilhabe gezahlt werden. Geht doch!“