„Das kennen Sie bestimmt noch von früher, oder? Der Chef sagt Ihnen, wann Sie Urlaub haben, die Bank sagt Ihnen, wie lange Sie verreisen, und Ihre Frau sagt Ihnen, wohin es geht! Hahahahaha! Das hat noch immer funktioniert, da haben wir unsere Marktlücke entdeckt, und zack! alles ist steuerbar, alles in Echtzeit, Sie können die einzelnen Sachen zuschalten und abschalten, das Abschalten ist ein bisschen komplizierter, aber im Grunde werden Sie mit unserem Angebot perfekt ausgerüstet.
Ja gut, man muss mit einer Lifestyle-Beratung auch irgendwo ansetzen, das ist so ähnlich wie ein Coaching für Unternehmen, nur können Sie es eben nicht von der Steuer absetzen. Und wenn ich mir da so Ihre Kleidung ansehe – ich nenne das jetzt mal Kleidung, das hat ja mit Mode so viel auch wieder nicht zu tun, immerhin kann man erkennen, dass es Nachkriegsware ist, aber diese Hemden: nein, bei aller Liebe, das ist nichts. Darum haben wir für Sie diese Funktion hier, das ist gleich mit Lieferung inklusive, Sie müssen nur Ihre Größe eingeben, also einmal am Anfang, dann kriegen Sie automatisch die Hosen, die Sie tragen sollten. Also das hier ist, verstehen Sie mich nicht falsch, aber das hat mein Großvater letztens noch gerne getragen, und der Mann ist seit dreißig Jahren tot. Die Farbe geht gar nicht mehr. Das sucht Ihnen die Sonderangebote raus, da müssen Sie gar nichts mehr tun, und dann haben Sie immer passend zum Hemd, wobei: Sie sollten mal an Ihrem Stil ein bisschen feilen, wir geben da noch so gewisse Einflussmöglichkeiten, aber Sie sollten es auch bitte nicht überreizen. Diese Sandalen sind nicht witzig.
Natürlich müssen Sie nicht immer die aktuelle Kleidergröße eingeben, die errechnen wir aus Ihren Körperfunktionen. Dass Ihnen dieser kleine Helfer die nötigen Planungen abnimmt, macht er ja nur, weil auf der anderen Seite Ihre Einkäufe, sagen wir mal: wir interessieren uns schon sehr dafür, was Sie essen. Da schlagen wir Ihnen gerne mal etwas Regionales vor, nachhaltig, das Gemüse direkt vom Erzeuger, da müssen Sie dann dreißig Kilometer für ein Pfund Bio-Rosenkohl fahren, aber das ist Ihnen der Cholesterinspiegel doch wert, oder? Kleines Trostpflaster, Rezepte kriegen Sie alle gratis, per Push-Nachricht, und dann checken wir sogar, wer in Ihrer Nachbarschaft den unverpackten Reis in Empfang nimmt, während Sie Rosenkohl holen. Sie müssen das Zeug dann nur noch essen. Wenn Sie wollen, können Sie natürlich auch etwas bestellen, wir haben nämlich auch einige Kooperationen mit den wichtigsten Lieferanten, die Sie zwischendurch in der – ach, gucken Sie mal hier, gerade neu im Sortiment, Flatrate, da kriegen Sie Sushi satt vom Freitagmittag bis Sonntag um… ach, Sie mögen kein Sushi? also wenn schon Individualist, dann aber gleich richtig, wie!?
Und vor allem immer diese Kinoabende, in die Kneipe, das kann doch auf Dauer nicht gut sein. Sport müssen Sie ja gar nicht machen, wenigstens nicht mit diesem Modul, aber Ihr, ich sage mal: was Sie da als Freizeitverhalten bezeichnen, das ist für Marketingleute doch kurz vor der Zwangsneurose. Sie müssen mal raus, nicht immer dies langweilige Zeugs da, mal neue Erfahrungen machen, nicht immer dieselbe Leier, hier: Bogenschießen, aber mit mongolischer Technik, das ist noch nicht mal Volkshochschule, oder im Veranstaltungszentrum, lyrischer Abend mit Nasenflötenbegleitung, danach Diskussionsrunde zum achtsamen Miteinander bei vollem Lohnausgleich, das kann man sich doch mal geben? wann wollen Sie denn alle die Klamotten mal anziehen? So ein Sozialleben kommt ja auch nicht aus der Steckdose, seien Sie mal froh, dass Sie die richtige Unterstützung gefunden haben. Ich würde Sie ansonsten da einfach mal mit einbuchen, Sie können ja sonst einmal pro Woche immer noch ins Kino gehen, wenn Sie das wollen.
Und den neuen Job sollten Sie auch schon mal ins Auge fassen. Es wird Ihnen nichts geschenkt, das sollten Sie schon wissen, aber wenn Sie schon knapp über dem Durchschnitt leben, dann sollten Sie auch für Karriere in der zweiten Lebenshälfte offen sein. Gerade Sie mit Ihrem Beamtenstatus, da muss man doch geradezu in jeder Zelle spüren, dass das noch nicht alles gewesen sein kann! Da geht noch was, das kriegen Sie hin! Und denken Sie nicht immer an die Pensionsansprüche, Geld ist nicht alles – machen Sie trotzdem Karriere! Jeden Tag ein Berufsbild zum Kennenlernen, wir machen das mit der Bewerbung ganz automatisch, Sie müssen dann nur noch sehen, wie Sie das mit der Miete hinkriegen, wenn’s mal nicht mehr klappen sollte: Verkleinern ist durchaus eine Option, den ganzen überflüssigen Krempel kriegen Sie schon vor dem Umzug locker verlauft, wir haben den Kleinanzeigenmarkt standardmäßig aktiviert, die Fahrzeit ist natürlich variabel einstellbar, vielleicht haben Sie’s dann auch nicht mehr so weit bis zum Bio-Rosenkohl, und dann lernen Sie auch neue Leute kennen, neues soziales Gefüge, dann gehen die alten Schuhe natürlich nicht mehr, auf dem Dorf machen Sie sich damit nur lächerlich, und was die Freizeit betrifft, da sind Sie ab sofort natürlich sehr flexibel, auch in finanzieller Hinsicht, da sind dann sogar noch ein paar Extras drin, ich gucke gerade mal, wie es aussieht mit Tagesgeldkonten, oder haben Sie schon ein Depot? Eventuell Ihre, ich weiß ja nicht, haben Sie eine Frau? Freundin? ach, gar nicht?
Ich glaube, da habe ich etwas für Sie.“
Satzspiegel