Etwas Ordentliches

10 07 2017

„Also erst Betriebswirtschaft und danach den Einzelhandelskaufmann? Abgebrochen? Ach so, beide nicht? Naja, das ist natürlich dumm. Sonst könnte ich Sie ja noch als Kundenberater ins Call-Center schicken.

Wieso haben Sie denn das Studium damals nicht weiterverfolgt? Weil Sie arbeiten mussten? Familie gründen? Das ist immer ziemlich schlecht, das habe ich hier mehrmals täglich, dass die Leute arbeiten wollen und Geld verdienen und Berufsausbildung machen und solche Sachen halt – damit hat man auf dem Arbeitsmarkt dann später keine Chancen. Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, wobei: Sie waren doch damals beim Arbeitsamt, hat man Ihnen da nichts gesagt, also ich meine, hat man Sie da nicht gewarnt, dass so eine Berufsausbildung unter Umständen eine Sackgasse sein könnte, dass man damit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt massiv… Ach so. Ja, wenn die Ihnen das raten, weil sie eine freie Stelle haben und Ihnen die Leistungen sonst kürzen, dann ist das etwas anderes. Da sind Sie sozusagen unverschuldet in Not geraten.

Diese Fortbildung, war das etwa Ihre Idee? was kostet denn das, Systemadministrator? Wie bitte!? Sie verballern hier zehntausend Euro von unseren Steuergeldern und reißen dann die Klappe auf, dass man Ihnen nicht sofort einen Spitzenjob anbietet? Und mit dieser parasitären Einstellung wollen Sie dann… – Selbst bezahlt? Wieso das denn? Von dem Geld hätten Sie mehrere Monate lang leben können, was hätten wir da an Arbeitslosengeld gespart!

Aber das ist so mit den Leuten, das habe ich hier ständig. Die setzen sich irgendwas in den Kopf, dann machen sie einen Eignungstest, am besten noch beim Arbeitsamt, und dann bilden die sich ein, nur weil sie eine Fortbildung machen können, seien sie auf dem Arbeitsmarkt besser positioniert. Man muss doch auch mal realistisch bleiben! Wenn ich mir ansehe, was die jungen Leute heute für Ziele haben, immer ins Ausland, Praktika hier, Projekte da, das kann doch auf Dauer nicht gut sein. Wenn Sie als Systemadministrator extra umgezogen sind, so mit neuem Job, anderes Berufsbild, was wollten Sie eigentlich erreichen? Wie, mehr Steuern zahlen? Das denkt man, aber das sagt man doch nicht!

Wir hätten hier natürlich auch so Sachen, die wären jetzt recht kurzfristig zu besetzen, wobei ich da mal nach Ihren beruflichen Erfahrungen sehen muss. Da wäre etwas in der Produktion, es geht um Frischmilch, das heißt es wäre aber eher im Bereich Reinigung. Also in der Industrie. Da könnte ich mir bei Ihnen einen Job gut vorstellen, Sie müssten da natürlich wieder umziehen, aber dafür ist es auch nur auf drei Monate befristet. Aber ich sehe gerade, der Personalchef will keine Akademiker haben, denen muss er alles immer so umständlich erklären. Tja, da hätten Sie mal lieber etwas Ordentliches gelernt und nicht Betriebswirtschaftslehre studiert, mit Ihrer Überqualifikation kann ich Sie da leider nicht vermitteln. Keine Chance.

Ich glaube Ihnen ja, dass Sie Autos reparieren können, aber ohne Qualifikation geht da nichts im technischen Bereich. Das ist nicht nur wegen der vielen Werkzeuge und Maschinen – also stellen Sie sich mal vor, Sie wollen da von jetzt auf gleich, also quasi in weniger als zwei Jahren sollten Sie an der Stanze stehen, das teure Metall, die Rohlinge muss man teilweise mit einem zehntel Millimeter Spiel rausnehmen, das ist echte deutsche Maßarbeit – das ist ja auch wegen der Verkehrssicherheit so. Dass Sie da an einem Pkw einfach mal Bremsschläuche montieren, das geht gar nicht. Wenn da der Druck vom Hauptbremszylinder nicht ankommt, dann verreißen Sie vor Schreck auch noch das Steuer und fahren geparkten Autos in die Tür. Was Sie da alles anrichten können! Das vergessen Sie mal ganz schnell wieder.

Wir hätten hier etwas in der Pflege. Das könnte ich mir ganz gut vorstellen für Sie.

Sie müssen sich halt vernünftige Ziele gesetzt haben. Nein, nicht setzen – gesetzt haben. Sie können doch nicht einfach so aus der Gegenwart die Zukunft beeinflussen wollen, das ist absolut unseriös. Aus der Vergangenheit die Gegenwart steuern, das geht. Aber sonst? Sie müssen auch mal wissen, wann Schluss ist.

Ich mache Ihnen einen Vorschlag: wir haben da doch noch den Niedriglohnsektor. Es muss ja auch einer Päckchen für Ihren Versandhändler packen, solange das noch kein Roboter macht. Oder die Burger für Ihre Mittagspause braten. Wir haben da ein besonderes Qualifizierungsprogramm aufgelegt, das Ihnen weiterhilft: die Dequalifizierung. Doch, Sie haben das schon richtig verstanden. Für die Bereiche, in denen wir noch Arbeitskräfte suchen, bieten wir eine gezielte Zurückbildung an. Bei manchen dauert das natürlich ein bisschen, aber wir wollen die Vollbeschäftigung ja auch erst in der überübernächsten Legislaturperiode hinkriegen. Bis dahin sind Sie vielleicht schon depressiv und haben sich aufgehängt, Kollege Krebs kam vorbei oder man hat Ihnen im Winter die Heizung abgestellt. Da lernt man auch etwas, und zwar fürs Leben.

Nein, war nur Spaß. Wir lassen ja niemanden zurück bei der Dequalifizierung. Auch solche Leute werden gebraucht. Es können nicht alle besonders klug sein oder erfolgreich. Warten Sie mal, hier ist gerade noch etwas reingekommen. Generalsekretär in einer großen deutschen Volkspartei, könnten Sie sich das vorstellen?“