Chipster

27 07 2017

„Sicher fiepe ich hier wie an der Supermarktkasse!“ Hildegard drehte die ominöse Plastikscheibe zwischen den Fingern und rümpfte die Nase. „Es sind ja nur drei Tage“, tröstete ich sie. „Außerdem macht das Ding überhaupt gar keine Geräusche.“ „Eben“, zischte sie zurück. „Man wird hier still und heimlich ausgehorcht, das ist der Plan!“

Das luxuriös ausgestattete Schiff glitt den stillen Fluss hinab, kichernde Paare flanierten übers Deck, lustige Damenkränzchen waren auf der Suche nach Eierlikör, in der Mitte der Heiterkeit hockte meine Begleiterin und ärgerte sich. „Es ist lediglich eine kleine Unterstützung für den Service“, erläuterte der Chefsteward. „Sobald sich ihre elektronische Marke angemeldet hat, schalten sich das Licht und Ihre Lieblingsmusik in der Kabine an.“ „Das schaffe ich alleine!“ Sie war durchaus nicht mit guten Worten zu erreichen. Und vielleicht waren diese Funkchips tatsächlich ein Eingriff in ihren innersten Privatbereich. „Nehmen wir zum Beispiel der Cocktail“, erklärte der Steward, „dank Ihres Fragebogens wissen wir bereits, dass Sie gerne ein Gläschen um die Mittagszeit trinken.“ Mehr musste er nicht sagen.

Siebels hatte uns die Karten überlassen, zwei Staffeln Traumboot unter der Sonne des Südens, hastig über Weihnachten gekurbelt, waren der Produktionsfirma eine ganze halbe Woche auf diesem wasserfesten Hotel wert gewesen. Die Küche war erträglich, man musste nicht zu allem Allotria heraustreten, und dank unserer goldfarbenen Anhänger brauchten wir für nichts zu bezahlen. Die hellbraune Brühe, die hier als Kaffee serviert wurde, machte die Sache nicht besser, immerhin: es gab nie Diskussionen um den Preis. „Und genau deshalb will ich nicht, dass mir jemand um kurz nach elf einen Cocktail unter die Nase hält“, nörgelte Hildegard. „Vor allem nicht vor dreißig lustigen Witwen, die nach dem Frühstück übergangslos zu ihrem ersten…“ „Ist ja gut“, beschwichtigte ich sie. „Nur noch heute, morgen, und dann sind wir ja auch schon durch mit dieser Kreuzfahrt.“ Sie schnaubte geräuschvoll. „Ich werde diesen Plastikmüll ab sofort in der Kabine lassen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wir kommen aber ohne nicht ins Restaurant.“

Ein mäßiger Nieselregen ging über dem Schiff nieder. Möwen johlten am trüben Himmel. In weiter Ferne zeigten sich die Türme eines Doms, es hätte aber auch ein frühgotisches Heizkraftwerk sein können. „Wenn wir nur endlich zu Hause sein könnten“, seufzte Hildegard. Da erblickte sie das silbrige Rund an der Türschwelle. Das eingeprägte Logo der Reederei auf der Rückseite zeigte schnell, dass es sich um ein Speicherplättchen wie unseres handelte, nur eben in einer anderen Klasse: wer dieses mit sich führte, musste für alles bezahlen, was nicht im Preis inbegriffen war. „Sehr gut“, sagte sie mit maliziöser Miene. „Jetzt werden wir erleben, was wirklich Luxus ist.“

Dass der Etagenkellner Hildegard in nahezu akzentfreiem Französisch ansprach und statt des obligaten Tom Collins eine perfekt gekühlte Flasche Champagner präsentierte, überraschte doch ein wenig. „Ich hatte meinen Namen nicht so ganz verstanden“, informierte sie mich, „vielleicht sollte ich mit russischem Akzent antworten?“ Der weiße Kaviar wurde auf kleinen Schmetterlingen von Vollkornbrot serviert, mein schüchterner Einwurf, noch ein Kännchen Tee zu bestellen, wurde wie der Geistesblitz eines Genies aufgenommen. „Schade.“ Hildegard schmatzte. „Schade eigentlich, dass wir die Kreuzfahrt nicht bis zum Ende mitmachen. Du hast doch die Nummer von Siebels?“ „Er würde mir den Kopf abreißen“, knurrte ich. Sie lächelte. „Das hatte ich bedacht. Es ist Dein Kopf, nicht meiner.“

Ein bisschen nervte Swetlana Eduardowna, oder wie immer sie hieß, denn wir verstanden ihren Namen nicht auf die Entfernung. „Es ist gerade so gemütlich“, meinte Hildegard. Der Damenclub prostete uns selig im Fackelschein mit Eierlikör zu. Der rasch auf dem Landweg besorgte Bassbariton trug einen ergreifenden Schubert-Zyklus vor, der beherzte Umbau des Oberdecks in eine mit seidenen Baldachinen überspannte Arena hatte dem Direktor einiges an Anerkennung abgerungen. Leiser schlugen die Wellen ans Ufer, keiner hörte, wie sich in den hastig schallisolierten Kabinen unter Deck das Streichorchester einspielte. Einen Abend auf dem Wasser ohne Bartók und Strawinsky kann man haben, muss man aber nicht.

„Du hättest ruhig den stabileren Koffer nehmen können“, moserte Hildegard beim Aussteigen. Die vielen Souvenirs aus der Bordboutique drohten das Gepäckstück beinahe zu sprengen. Der Chefsteward hatte ihr erst in einem Anfall von Ritterlichkeit beim Tragen helfen wollen, entdeckte aber im letzten Augenblick ihren goldenen Chip. „Bis zum nächsten Mal“, grüßte er knapp und hatte sich halb schon den nächsten Passagieren zugewandt. Mit gekonnt divenhaftem Schwung drehte sie sich um und schritt die Gangway hinunter. Oben zeterte es aus vollem Halse. „Meine Güte“, stöhnte Hildegard und verdrehte die Augen. „Wenn Sie es sich nicht leisten kann, warum fährt sie dann nicht erster Klasse?“