Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXXVIII): Sofortness

29 09 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Kann man nicht froh sein, dass der Hominide sich als Säugling nicht an die postmoderne Art des Just-in-time-Managements gewöhnen mag? Die Milch ist noch nicht ganz da, wir müssen erst noch den Betriebsrat fragen, aber da kommt noch die Veränderung der Börsenkurse – Rohstoffe haben wir, personelle Kapazitäten, die wir nicht sofort freisetzen müssen, um wieder Rohstoffe zu haben, für die wir personelle Kapazitäten bräuchten, wenn auch möglicherweise an einem anderen Ort, da sich die Subventionen immer mit der wirtschaftlichen Schwerkraft verschieben – und wir haben am Ende keine Milch, denn was nützt es uns, dass sie der Verbraucher verbraucht, wenn der Koksbaron davon keinen neuen Porsche kriegt. Sind wir am Ende das christliche Abendland? Das Baby lässt die Idee zentral gesäugter Bürger schießen und nuckelt lieber für sich, Brust statt Frust, und weiß, dass der Nährstand ihm schnellstens zur Verfügung stehen wird, da keine staatliche, wirtschaftliche oder sonst hirnfremde Institution sich dem entgegenstellt. So und nicht anders, aus dem Geist bisher gründlich versaubeutelter Strukturen, entsteht der Keim des neuen Anspruchsdenkens. So entsteht der Drang nach Sofortness.

Klar hat im Holozän nicht alles auf Knopfdruck funktioniert. Zum Beispiel gab es am Anfang noch so gut wie keine Knöpfe. Später dann hatte keiner Internet, was sich in der Jungsteinzeit kaum besserte, aber im Mittelalter auch nicht. Am liebsten hätte Columbus alle seine Brötchen online bestellt, auch wenn seinerzeit keiner wusste, was Brötchen waren, aber der Gedanke einer schleunigst aufpoppenden Lieferung hätte die Machtmenschen der Epoche fröhlich gestimmt, hungriger, ihnen die letzte Gnade genommen, kurz: sie hätten uns den Schmodder um die Ohren geklatscht, den wir heute in der Globalisierung zu dulden haben. Sie wollen die in der Sache liegenden Gründe ausblenden, die damit beschäftigten Synapsen sind nun mal mit anderem Zeugs beschäftigt, und also weimert das Konsumkind ad hoc, wenn es seine Ware nicht mit Hackengas kriegt. Die trübe Illusion einer stetigen Verfügbarkeit lockt, doch die Wirklichkeit ist nicht an die Prozesse vom Reißbrett anzubinden. Was auch immer da passiert, es wird nur über ein Bild vermittelt, wie es Reklame gemeinhin vorgaukelt. Die Ungeduld des infantilen Zeitgeizers in seiner Fixierung duldet nur die Instantbefriedigung – keiner will, keiner kann warten, weil die Hastkappe dem Deppen im Halbsekundenschlaf den Takt auf den Zehen vortanzt.

Die Echtzeit schwiemelt sich dem Blödkolben farbecht ins Stammhirn – hat auch keiner je die Verwandlung vom Ei zum Huhn gesehen, er fordert die Bestätigung unterhalb der Planckzeit, jodelndes Rotlicht und knallendes Konfetti, ein Feuerwerk der Teilchenbeschleunigung, wo das Licht kurz in die Kaffeepause geht. Paradoxerweise verlangt der Depp am Marktstand, wo fünfzig Leute um ihn stehen, das reibungslose After-Sales-Ballett – Kunden, die Obst gekauft haben, kauften auch Brot, eine Axt und viel Munition – und will im Internet ab einer Interaktionsdauer von mehr als zwanzig Sekunden, dass sich ein Krisenmanager mit Äpfeln zur Intervention auf die vegane Seite der Plattform schlägt, koste es, was es wolle, weil keiner warten will, der die anderen warten lässt. Das Reflektieren der Anspruchshaltung der anderen würde die eigene Anspruchshaltung verändern, aber was erwarten wir von grottoid begabten Ich-hier-jetzt-Clowns, deren Getrommel auf der Brust in seichte Lächerlichkeit zu kippen verspricht, wenn man es wenigstens für den Wahlkampf zu nutzen verstünde. In seinem Drang, sich eine Tütensuppenexistenz aus reinem Abfall zu schrauben, gerät der Bekloppte alsbald unrettbar in die Schnellsucht, jenen selbst sich verstärkenden Prozess, dessen Strudel nur von außen wie Fortschritt aussieht.

Das technische Gerät muss nach dem Anknipsen gleich benutzbar sein, jede Bestellung Momente nach der Tat im Briefkasten landen. Der Schmerz soll Sekunden nach der Pille verschwinden, das Glück per Tinderwisch aus der Fläche poppen. Wir sind so genügsam geworden, dass wir alles verlernt haben, uns auf die entscheidenden Dinge zu freuen, und wenn, schludert sich das Schöne vermatscht zwischen zwei Reizleitungspotenziale – ein neuer Markt für die Burnoutbranche, Fastfood für Flache, eine Weltreise im Überschallmodus, durch alle Kontinente gezappt auf der Suche nach verlorener Zeit, die sich weder ansparen lässt noch Zinsen abwirft, mangels Bodenhaftung kaum flüchtige Spuren im Sand und keine blauen Flecken auf der Seele, die sich im Mehrschichtbetrieb immer neue Wünsche aus dem Brägen popelt, ein Friedhof der Totgeburten, den man sich am besten dauerhaft aus der Perspektive säuft, bis sie weich hinter dem Horizont verschwimmt. Ein gutes Pils dauert drei Minuten. Schrecklich.


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