Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCXCI): Hass als Suchtmittel

27 10 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Tief in den Schichten unseres Bewusstseins, wo nicht einmal Alkohol, Fußball oder Helene Fischer eine Heimstatt finden, klebt der Schmodder, aus Prinzip hartnäckig wie altes Kaugummi, ganz weit unten an der Sitzfläche, und jeder weiß: das bleibt. Wo das Hirn maximal auf Standby geschaltet bleibt und die Lebensäußerungen des Hominiden zum überwiegenden Teil aus Reflexen bestehen, Gefühl und Härte, ist die erste Regung des Daseins für das ganze Leben bestimmend. Es fällt auch nicht groß auf, da das Umfeld ähnlich fehlerhaft tickt. Die gesellschaftliche Ordnung entwickelt sich aus der irrationalen Absonderung dünn angerührten Schmodders, der in seiner Gesamtunterforderung durchaus sozial konstituierend wirkt, und nirgends funktioniert die Gemengelage ähnlich gut wie mit Hass als dominanter Substanz.

Denn Hass ist grundsätzlich massenkompatibel, insbesondere mit weichen Massen, die sich in die Lücken zwischen den Synapsen zu schwiemeln verstehen. Als hormoninduzierter Vorgang, der der Identitätsbildung vorausgeht, also wesentlichen Anteil an der Selbstdefinition des Beknackten hat, ist Hass gedankliche Stütze und Handlungskonzept in einem, Idee und Ausführung, die den tieferen Sinn dieser rätselhaften Existenz, so sie überhaupt hinterfragt wird, wenigstens ansatzweise zu erhellen vermag, wenn auch biblische Düsternis die Innenseite der Kalotte füllt. Reicht dies noch nicht aus, um Religion als systematische Erklärung des wirren Gerümpels um uns herum im universalen Maßstab zu sein, ist jeglicher Hass steigerungsfähig, hereinsteigerungsfähig gar, was dem Grundbedürfnis des glaubenden Bekloppten nach Hirnentlastung via Fundamentalismus sehr entgegenkommt. Die einfachere Variante, sich in Rausch zu versetzen, ist schließlich das gemeine Suchtmittel, denn alle Lust fordert Wiederholung, alle Wiederholung fordert Steigerung.

Wo die Grenze zwischen Subjekt und Gesellschaft mählich verschwimmt, stellt sich das Gemeinschaftserlebnis schlagartig ein: scheiß Bayern, verdammte Radfahrer, nieder mit den Negern, der Schlagruf ist je nach Prägung und Vorgeschichte austauschbar, wo er reproduzierbare Verzückung verspricht. Die Grauzone der Strukturen im Schädel ist nicht viel mehr als ein Schwamm voll Nullinformation, jeder Verortung entzogen und als eine ewige Gegenwart erlebt, die totale Enthemmung und Selbstüberschätzung, die noch den dümmsten Ichling zumindest für den Augenblick festigt, auch sich selbst.

Und Hass integriert. Noch die dümmste Meute wächst zusammen, wo gemeinsam die ausgedachte Verletzung mit quasi-libidinöser Zielrichtung einer Heilung zugeführt werden kann. Gemeinsamer Hass schweißt enger zusammen als die tiefste Zuneigung, und die Bandbreite dessen, was dort entsteht, ist größer als jede positive Sinnstiftung. Der ritualisierte Hasskonsum, alleine oder in der Gemeinschaft unter fuchtelnden Fahnen, im Qualm der Stammtische, stützt schon durch das stumme Einverständnis, weder der andere noch man selbst sei süchtig, wie auch schwerst alkoholisierte Schwerstalkoholiker einander noch im Vollsuff jederzeit komplette Nüchternheit attestierten. Eine kollektive Leidenschaft entsteht gerade da, wo sich Hassende in den Armen liegen, und paradoxerweise entsteht Vertrautheit gerade da, wo sich die Parallelexistenzen gründlich verkennen.

Humanisten fordern den harten Entzug – nur eine zurechnungsfähige Gesellschaft funktioniere, sagen sie, wie eine zurechnungsfähige Gesellschaft sich ihre Funktionalität ausgesucht habe. Aber wer rechnet schon mit dem Affekt, wie er grün und gründlich hinter der Hecke lauert, von Dealern in schattiger Atmosphäre vertickt, Populisten und Fanatikern, die die Erleuchtung ausschalten, um ihr Geschäft besser zu betreiben. Die Menschheit neigt indes nicht zur Abstinenz, wenn es genug Gründe gibt, sich regelmäßig die Birne zuzuschütten, und oft reicht ein kleiner Anlass, Krieg vom Zaun zu brechen, Nachbarn die Bude einzubrennen oder Parteien zu wählen, die das für einen erledigen wollen. Die Suchtdienstleister sind wendig und verstehen ihr Metier, bieten sie den Süchtigen eine billige Entschuldigung für den Konsum. Der Klebstoff des Gesellschaftlichen, der auch die Hirne vernebelt, sucht sich einen moralischen Ausweg, erscheint als Genussmittel und damit gerechtfertigt. Keiner wird mehr das Verständnis bemühen müssen für arme, missverstandene Idioten, die Brandsätze schmeißen und Ausländer verprügeln, die tägliche Ration Hass ist im Zuge der Deregulierung von sozialen Verantwortlichkeiten längst legalisiert worden, denn ehrlicherweise geben wir zu: wir alle haben schon gehasst. Nicht auf professionellem Niveau, aber immerhin. Ein Schüsschen in Ehren kann niemand verwehren. Und solange jeder seine Grenzen kennt, besteht sicher auch kein Grund zur Sorge. Wo kämen wir denn da hin.


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