Die schönste Zeit des Jahres

18 12 2017

„Kontinentales Frühstücksbüfett mit Extras, alle Zimmer mit Wannenbad und Kabelfernsehen, voll klimatisiert, Whirlpool, Wellnessbereich, Fitness, Schwimmbad, natürlich beheizt, das kriegen Sie ja mittlerweile überall auf der Welt. Teilweise sind wir hier in Deutschland ja auch schon ganz gut darin. Deshalb muss ich das ja nicht auch noch anbieten.

Die Leute wollen sich etwas gönnen, die wollen etwas erleben, neue Erfahrungen machen, da sind wir ganz vorne auf dem Markt. Der Tourismus ist ein verlässliches Geschäft, man muss ihn nur immer wieder neu erfinden, und das ist ja das Schöne daran: keine Herausforderung unserer Zeit bleibt ohne eine angemessene Antwort. Wir haben unser Konzept gefunden, und jetzt kommen die Kunden.

Katastrophengebiete? Ich bitte Sie! Das Geschäft hat sich sozusagen von selbst erledigt. Früher hätte man noch Reisegruppen nach Japan schicken können, wegen Erdbebengrusel. Aber die fliegen heute einfach mal für eine Woche nach Tokio, all inclusive, Sushi, Geisha, Sony, und wenn’s ruckelt, kümmert es keine Sau. Da muss schon ein anderes Kaliber her. Erdrutsch in Nepal, das hätte man groß aufziehen können, aber nur wegen Nepal. Die Einwohner sind eh arm, das gibt uns Europäern so ein angenehmes Gefühl der Überlegenheit – Sie kennen das vielleicht von Afrika her, da brauchen die Leute keine Heizkosten zu bezahlen, können sich aber trotzdem keine warme Mahlzeit am Tag leisten. Das ist total doof, wenn plötzlich in Italien die Hänge abbrechen. Wer fährt denn nach Nepal, wenn er in Norditalien sehen kann, wie der Klimawandel uns plattmacht? Der Katastrophentourismus ist kein Geschäftsmodell für die Zukunft, das kann ich Ihnen schon mal verraten. Und wenn jetzt alle Leute auf der A7 ihr Handy dabei haben und filmen, wie ein Tanklaster ins Stauende brettert, dann wird auch keiner mehr nach Italien fahren. Zu wenig Action. Schockt einfach nicht mehr. Nein, Katastrophentourismus ist out. Wir sind auf Reisen in totalitäre Staaten gekommen.

Ach, Ägypten… das ist doch lächerlich, da beherrschen ein paar Islamisten an irgendeiner Regierung vorbei das Land, und wenn Sie an der Hotelbar zum Frühstück Schnaps bestellen, fragt Sie der Kellner, wie viel Sie wollen. Nordkorea, das ist unsere Preisklasse. Da gehen Sie aus dem Hotel raus, natürlich unter Aufsicht der Regierung, und stellen fest: überall Diktatur. Kein Auto aus diesem Jahrtausend zu sehen, nur große Plakate mit dicken Männern, die den Fortschritt verkünden. Keiner will mit Ihnen sprechen, weil Sie Ausländer sind. Zum Frühstück gibt es trockenen Reis, dünnen Tee und Kohl mit historischem Seltenheitswert. Und die Nachrichtensprecherin verkündet wie eine Walküre, dass die neuen Atomwaffen Ihre Heimat wegpusten, wenn es dem Führer gefällt.

Was meinen Sie, was wir für einen Zulauf kriegen aus den neuen Bundesländern! Die haben ja noch genügend Erfahrung aus der DDR, und dann kommen die Jüngeren, die wollen erst noch einen faschistischen Staat aufbauen und können hier schon einmal die Fassade sehen. Sehen Sie das als Hindernis? Also ich nicht. Wer einen faschistischen Staat mit aufbauen will, wird immer nur Fassaden sehen, bis es zu spät ist. Und das hat nichts mit Nachdenken zu tun. Wer denken kann, baut keinen faschistischen Staat auf.

Allein die Militärparaden! Wir hatten neulich einen älteren Herrn aus Sachsen-Anhalt, der hat uns angerufen, mit tränenerstickter Stimme hat der uns erzählt, was er erlebt hat. Die Fahnen und der Stechschritt und die vielen, vielen Raketen, denen man ansah, dass das alles Schrott ist. Der war so gerührt, er hat sich gefühlt wie damals in Rumänien unter Ceaușescu. Träumchen! Und für die anderen, also die Fraktion, die eigentlich gerne so richtig stramm rechts wären, aber aus Karrieregründen aufs Grundgesetz schielen müssen, denen sagen Sie: Sicherheit. Sie sind nirgends so sicher wie in einem totalitären Staat. Sie verleben dort die schönste Zeit des Jahres, abgeschirmt von den politischen und sozialen Spannungen, die Sie schon zu Hause nicht mehr sehen können, Sie haben jederzeit einen Aufpasser, der sich auf Schritt und Tritt um Sie kümmert, nehmen aber nicht als Überwachung wahr, weil Sie den Mann ja sehen. Außerdem verstehen Sie kein Wort von dem, was er sagt, es hört sich aber wichtig an. Also alles total klasse.

Natürlich betreiben solche Länder Waffenhandel und sind in internationale Konflikte verwickelt. Dann dürften Sie allerdings auch nicht mehr in die USA fliegen. Oder in Deutschland wohnen. Und das System wird auch nicht durch Tourismus am Leben erhalten. Wenn Sie davor Angst haben, sollten Sie auch nicht nach Ägypten fahren, weil Sie sonst den Islamischen Staat mitfinanzieren. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber Sie wollen doch das echte Abenteuer, oder? den Thrill, dass Sie die Reise unbeschadet überstehen und dabei richtig Spaß gehabt haben? Das ist unsere Marktlücke. Da geht die Reise hin, vertrauen Sie mir. Und was meinen Sie, was wir für ein Geschäft machen, wenn wir erst die Türkei mit im Programm haben!“