Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCXCVIII): Überwachen und Strafen

5 01 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es geht von alters her die Sage, alle Mächtigen seien es irgendwann leid, über Sklaven zu herrschen, sie sagen’s zumindest. Denn wenn schon Macht ein Selbstzweck ist, ihr Erhalt ist selten bis nie ressourcenschonend. Der gemeine Untertan hat es verhältnismäßig leicht, die Pläne der Regierung zu durchkreuzen, so er die Ursache geschickt und subversiv anzusetzen weiß. Machthaber allerdings denken gleich in Apparaten, der Menge halber, die es zu überwachen gilt, und dann muss man auch die Konsequenzen im Auge behalten. Denn was ist ein Subjekt, wenn man es nicht wirklich unterwerfen kann, selbst unterwerfen, wohlbemerkt. Was nützt dann Überwachen und Strafen.

Seitdem sich die Tür des kleinen Zimmerchens, in dem jeder des anderen Hölle ist, verschlossen hat, ist wenig passiert. Die Ewigkeit dauert an. Was sich als Herrschaft und Knechtschaft auf den Nebenkriegsschauplätzen des Kapitalismus gebar, ist da angekommen, wo es hingehört: im zentralen Bereich der Machtausübung. Es ist kein gründliches Missverständnis, dass alle Gewalt vom Volk ausgeht, sondern sorgsame Planung. Der Bekloppte ist dem Bekloppten ein Wolf, manchmal aus freien Stücken, öfters jedoch, weil er sich nur so als frei empfindet – es hat ihn keiner gezwungen, Rädchen im System zu werden, das Minderheiten aus dem Weg räumt, anders oder überhaupt Denkenden ausgrenzt oder Angst und Zweifel zu strategischen Stützpfeilern der Maschinerie aufbaut. Aus dem Bewusstsein, sich den Schießbefehl nicht selbst gegeben zu haben, schwiemelt sich der Diener aller Herren sorglos eine dialektische Unschuld, die er dem nächsten Bettler aufs Maul hauen kann. So ist er Knecht, weil er sich selbst zur Erniedrigung ermächtigt, indes sein Herr keine großen Umstände machen muss. Er gibt ihm das Recht zu gehorchen.

Die Geburt des Gefängnisses aus dem Geiste der Machtausübung ist so nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, einer, den man nicht zurückgehen kann. Auch hier wird das Joch als modus vivendi angeboten, die ein reines Gewissen verschafft, ein quasireligiöses Bonusmodell mit säkularem Zahlungsziel. Die Hauptsache ist, die Haltung wird eingeübt, die Knochen biegen sich in die korrekte Richtung, Kriechgang wird Erweckungserlebnis, da man dem Herrscher direkt in den Ausgang blicken konnte, von dem man sich, kümmerlich, nährt.

Die heutige Technik ist nicht mehr die für die unablässige Beobachtung von Winston Smith geschaffen, sie unterstützt seine scheinbare Liebe zur Vergangenheit, indem sie sämtliche Prozesse, an denen er beteiligt war oder beteiligt zu sein den Anschein hatte, akribisch aufzeichnet, festhält und in beliebig nutzbarer Form allen zur Verfügung stellt, die Interesse daran entwickeln, jetzt oder später. Die Gedanken mögen für den Mistgabelmob auch in Feuersnot noch frei sein, wenigstens auf Wahlplakaten oder in Sonntagsreden, aber nur ein Bild, besser: sein Anschein verbirgt sie. Wer aus der Vergangenheit wenigstens einen Punkt kennt und ihn in Korrelation setzen kann mit dem Ist-Zustand, extrapoliert spielend jede denkbare Form von Zukunft, sorgsam aufgeschlüsselt nach Schritten wie der Gang einer Schachfigur, gewichtet nach der Gefährdung, beantwortet mit der bestmöglichen Strategie, ein Bauernopfer herbeizuführen mitsamt der für die Gesellschaft erwünschten Konsequenzen und Implikationen. Denn wer die Vergangenheit gut genug kennt, kann sie kontrollieren, und wer sie wirklich beherrscht, beherrscht auch die Zukunft.

Den Kampf um Anerkennung aber führt weiter nur der Ich-bin-der-ich-bin, l’Éclat c’est moi, da er die grammatischen Regeln der Akzeptanz nicht hat machen können zu Zeiten, in denen der Hominide noch vernunftgemäß im Stamm organisiert war. In grotesker Verkennung der Gesellschaft, die es nach seiner Maßgabe gar nicht erst hätte geben dürfen, es sei denn, sie hätte diesen Sott nach oben gespült, sieht der verängstigte Herrschaftsrand den Kampf ums nackte Überleben, weil jede Aufklärung das Gruppeninteresse dieser Sozio-Paten zu blutiger Ruhe verwandeln würde. Die Disziplinierung hat andere Züge angenommen, Überwachen und Strafen sind eins geworden, denn der moralische Druck, den die Macht mit sich selbst auszuhandeln hat, wird nach unten weitergereicht. Wer einmal als Feind ausgemacht ist, wer die Leistung verweigert, nach politischem Maßstab als krank gilt – die im Moment regierenden Parteien stellen es ihren Nachfolgern anheim, genaue Definitionen in die Gesetze zu schreiben – oder zu klug ist für die Gängelung des Staates, bekommt sein Stigma ohne Zutun der eigenen Person verpasst, eine Neuerung der digitale Verwaltung immerhin, die sich der Staat nicht ans Revers heftet in seinem Vollversagen. Wehe dem Tag, an dem die Verhältnisse einmal in die andere Richtung tanzen. Es war noch immer einfacher, einen Holzschuh ins Getriebe zu schmeißen, als eine Armee zu schlagen. Das Wirken des freien Menschen im politischen Raum birgt eine große Gefahr: den freien Menschen. Wer sagt es ihnen?