Volksgesundheit

25 01 2018

„Jedenfalls haben Sie das gute Gefühl, durch Ihr Engagement noch einmal dem deutschen… also dem Volk, das heißt: den Personen, die Ihre Mitmenschen, so rein theoretisch jedenfalls, die könnten ja Ihre Nächsten sein, und denen tun Sie nun etwas Gutes. Immer vorausgesetzt, Sie sind vorher abgekratzt.

Ja, man muss das anscheinend heute extra erwähnen. Organspende ist ein schwieriges Thema, das kriegt man auch durch tolle TV-Spots nicht so wirklich hip, wir haben jedenfalls unsere Probleme damit, und die Zahlen werden jedes… also die Zahl der Organe, die Menge, wenn Sie so wollen, das ist die Zahl der Spender, die sich zur Verfügung gestellt haben, die ist natürlich entscheidend. Und da sehen wir einen Rückgang. Das kann auch sehr gut gesellschaftlich interpretiert werden, wir leben in einer Spaßgesellschaft, mit einer Organspende verbinden die meisten halt keinen Spaß. Jedenfalls nicht für sich selbst.

Wir haben da klar auf den Solidargedanken gesetzt, wie wir das als Gesellschaft häufiger schon versucht haben, beim Arbeitslosengeld, bei der Pkw-Maut – ist jetzt nicht so gut gelaufen, ich tippe mal, dass wir da kommunikative Defizite hatten, weil die meisten Betroffenen da gar nicht so mitgegangen sind. Wobei, als Betroffener für eine Organspende ist man natürlich immer solidarisch, jedenfalls passiv… also wenn Sie ein Spenderorgan bekommen, dann sind Sie aktiv solidarisch, und das ist auch ganz gut so, weil Sie dann etwas für die Volksgesundheit tun können. Aber ansonsten lösen wir unser Problem natürlich auf deutsche Art. Es gibt erstmal eine Datensammlung, und dann sehen wir mal, was man damit anfangen kann.

Spenderdatenbank, das war uns persönlich dann zu schwierig. Sie kennen ja die Einwände, die von Datenschützern erhoben werden. Die sehen dann dreitausend Datensätze mit potenziellen Lebern, so war das ja auch mal… also jedenfalls nicht als Einkaufszettel, wenn Sie das so verstehen, aber das ist auch zu gefährlich. Da stehe ich dann drauf als Nierenspender, und schon habe ich einen Unfall. Gut, nicht ich, ich bin privat versichert, da werde ich eher Empfänger, aber rein theoretisch ist das natürlich möglich. Wir haben uns daher für eine andere Möglichkeit entschieden. Das Opt-out-Verfahren. Da werden Sie gefragt, und wenn Sie sich nicht ausdrücklich gegen eine Spende entschieden haben, sind Sie automatisch solidarisch mit denen, die sich aktiv an der Verbesserung der Volksgesundheit beteiligen. Wir haben nur noch ein Austrittsregister. Immer vorausgesetzt, dass Ihre Austrittserklärung uns auch erreicht hat. Und nicht zwischendurch irgendwie verloren geht.

Das machen wir aus Gründen der Solidarität, weil Sie als Nichtspender natürlich auch nicht aktiv an der Förderung der Volksgesundheit durch den Empfang eines Spenderorgans beteiligt sind. Das sind Sie als Spender natürlich auch nicht… also jetzt nicht automatisch, da müssen schon ganz bestimmte Voraussetzungen vorliegen, Sie sind ja als Spender ein kerngesunder Mitmensch, der sich solidarisch zeigt, und wenn Sie als kerngesunder Mensch der Volksgesundheit durch aktives Spenden helfen, dann haben Sie Ihre Solidarität schon genug gezeigt. Da müssen Sie nicht auch noch durch Ihre aktive Inempfangnahme von Spenderorganen die Gesundheit des Volkes steigern. Außerdem sind Sie ja als Spender kerngesund – was wollen Sie da mit einem Spenderorgan?

Na sicher, alles mit Quittung. Es handelt sich ja schließlich um eine Spende, da bekommen Sie dann jährlich Ihren Datenbankauszug, das steht dann drin: Sie stehen uns als solidarischer Mitmensch nicht zur Verfügung, herzlichen Dank für Ihre Mithilfe, die Volksgesundheit langfristig und gezielt in die Scheiße zu… also sinngemäß, noch ist das ja nur in Planung, das letzte Wort haben dann sicher die Krankenkassen. Die privaten vermutlich.

Das dürfen Sie jetzt nicht als moralischen Druck verstehen, wir sind auch nur Datenverwalter, die ihr Material den interessierten Stellen überlassen. Falls Sie beispielsweise mal Ihre Krankenversicherung wechseln oder auch wechseln müssen, dann kann man solche Daten auch automatisiert abfragen, um in Erfahrung zu bringen, ob Sie sich an den in Zukunft geltenden Richtlinien orientieren. So eine Bürgerversicherung ist eine hübsche Sache, aber eben nicht zum Nulltarif… also jedenfalls nicht für Sie als Versicherten.

Ja, da sehen Sie mal, wie so ein moralisches Dilemma von innen aussieht, dem müssen Sie sich sonst auch nicht stellen: Daten schützen oder doch zielgerichtet zum Wohl des Versicherungsträgers… also für die Versicherten, sonst bräuchten wir auch keine Solidarität, und wenn Sie mal an die Ärzte denken, Sankt Moritz oder ein neues Segelboot, Sportwagen kaufen oder leasen oder doch eine neue Frau, ist ja auch manchmal mit Spenden verbunden, wenn Sie wissen, was ich meine, und wenn Sie dann noch die Leistungsverdichtung dazurechnen, die die Mediziner aushalten müssen, dann fragen Sie sich: wer soll denn dann noch ordentlich transplantieren? Ist nicht jeder Empfänger, der sich zur solidarischen Verbesserung der Volksgesundheit verpflichtet sieht, damit zum Scheitern verurteilt? Ist das nicht schrecklich? Privatisieren, da sagen Sie was… also wir sind in der Lage, unser Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Entlastung der Krankenkassen, bessere Leistungen für Leistungsträger, muss sich ja auch lohnen, und wenn Sie mittelfristig denken: meinen Sie nicht, damit kriegen wir die Zuwanderung in den Griff?“