Leistungssumpf

19 03 2018

„Haben Sie eine Ahnung, was uns das kostet!?“ „Ja.“ „Also eine vernünftige Antwort hätte ich von Ihnen schon erwartet, Sie können doch nicht einfach den Leuten ein paar Milliarden Euro ins Maul stopfen!“ „Wir müssten es aber eigentlich tun. Die Berechnungsgrundlage des Arbeitslosengeldes II ist nach übereinstimmender Meinung falsch und die Leistung ist zu niedrig. Das hat mittlerweile sogar die Bundesregierung eingesehen.“

„Kommen Sie mal von Ihrem hohen Moralross runter, Mann – das kann sich doch kein Staat mehr leisten.“ „Sind wir ein Rechtsstaat?“ „Ich verstehe die Frage nicht.“ „Wenn wir eine Leistung für die Bürger einführen, müssen wir sie auch denjenigen gewähren, die die Anspruchsvoraussetzungen dazu haben.“ „Aber doch nicht allen!“ „Das heißt, wenn die ALG-II-Sätze angehoben werden, wollen Sie die von der Leistung ausschließen, die dann ebenso leistungsberechtigt sind?“ „Die haben doch gar nichts dafür getan, die Leistungen in Anspruch nehmen zu dürfen, die sind ganz einfach reingerutscht.“ „Wie die meisten Menschen in den Leistungsbezug reinrutschen, keiner kriecht freiwillig in diesen Sumpf.“ „Das muss man doch begrenzen können!“ „So wie die Rente mit 63, die plötzlich zum Problem wurde, weil die Politik gemerkt hat, dass die Arbeitnehmer das Modell in Anspruch genommen haben, obwohl es eigentlich nur als rechtsverbindliche Sozialleistung geplant war?“ „Das lässt sich doch gar nicht vergleichen.“ „Herdprämie?“ „Ich will nicht mehr darüber reden, ist das jetzt klar!?“

„Meinen Sie nicht, die Regierung sollte endlich Steuersenkungen ins Auge fassen?“ „Wenn wir diesen Sozialschmarotzern immer mehr Kohle in den Rachen werfen, dann blutet dieses Land aus!“ „Stimmt, aber die Leistungsträger haben halt ihren eigenen Sumpf.“ „Was soll das denn jetzt heißen? Wir müssen doch alles gegenfinanzieren, und wie stellen Sie sich das beim Arbeitslosengeld vor?“ „Ich rede hier aber von der Einkommensteuer.“ „Was hat die denn mit den Arbeitslosen zu tun?“ „Natürlich müssen der Grundfreibetrag an die neuen ALG-Sätze angepasst werden. Wenn es ein Existenzminimum gibt, dann dient es ja nicht nur zur Berechnung der Regelsätze.“ „Wir lassen also gleich von zwei Stellen unser sauer verdientes Geld versickern!?“ „Es kommt den Leistungsträgern zugute. Die, die angeblich seit Jahren schrecklich drangsaliert würden, wenn man den Ärmsten in diesem Land eine verfassungsmäßig gerechtfertigte Existenzgrundlage zahlen müsste, und die, denen man die lange versprochenen Steuersenkungen wohl einfach nicht zumuten kann. Gerechtigkeit, Sie verstehen?“ „Aber das sind doch alles nur Taschenspielertricks!“ „Keinesfalls. Man gewährt den Transferleistungsbeziehern ein bisschen mehr, und davon profitiert die ganze Gesellschaft.“ „Kann man das denn nicht umgekehrt rechnen?“ „Wie soll das denn funktionieren?“ „Wir entlasten nur die Besserverdiener, also wenigstens ein bisschen, und trösten sie damit, dass es denen da unten zum Glück nicht besser geht als vorher?“

„Wir könnten dann auch endlich mal an die Mindestlöhne ran.“ „Das hat gerade noch gefehlt!“ „Sehe ich auch so. Das Lohnabstandsgebot sagt aus, dass Erwerbsarbeit finanziell attraktiver sein soll als der Bezug von Sozialleistungen.“ „Das heißt, wer noch nicht mal Sozialleistungen kriegt, wird trotzdem belohnt?“ „Sie sind doch auch dafür, dass derjenige, der arbeitet, mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet?“ „Sicher, sonst würde jeder sich in der sozialen Hängematte ausruhen.“ „Dann muss der Lohn höher sein als das Existenzminimum.“ „Ist er doch.“ „Wenn man das Existenzminimum anhebt, dann muss doch auch die Lohnuntergrenze mit ansteigen.“ „Ich habe ja nichts gegen gute Löhne.“ „Aber?“ „Aber man muss das doch auch finanzieren können. Warum hebt man nicht die Löhne an und senkt dann zur Finanzierung die Sozialleistungen.“ „Weil der Staat nicht die Löhne bezahlt?“ „Das weiß ich selber!“ „Warum erzählen Sie es dann?“ „Letztlich zahlt doch der Steuerzahler den ganzen Zauber. Und die Verwaltungskosten werden auch immer höher, weil man dann immer mehr hat, die wegen der ansteigenden Regelsätze gar nicht mehr arbeiten wollen.“ „Deshalb steigen ja auch die Löhne, dann haben nicht mehr so viele Anspruch auf Sozialleitungen.“ „Es kassieren nicht mehr so viele Hartz IV?“ „Genau.“ „Ich glaube, die Lösung könnte doch ganz interessant sein. Haben Sie da nähere Informationen?“ „Wir heben einfach den Mindestlohn an.“ „Auf keinen Fall, das kostet nur Jobs. Millionen von Jobs wird das kosten!“ „Richtig, genau wie beim letzten Mal.“

„Nein, ich habe keinen Nerv mehr, mich mit Ihnen über diesen Wahnsinn zu streiten. Wir können das nicht einbringen, das würde Stress geben mit der Schuldenbremse, und Ihnen ist klar, dass die Verfassungsrang hat.“ „Sie meinen, wie die Rechte von Sozialleistungsempfängern? das wäre mir neu, also zumindest in der politischen Praxis.“ „Dann gucken Sie mal nach, was man mit Hartz IV in Bangladesch wäre – da könnten Sie die Puppen tanzen lassen!“ „Sie sind doch Rechtsanwalt?“ „Ja, und?“ „Eine Straßenreinigungskraft verdient hier im Monat so viel wie ein Anwalt in fünf bis sechs Monaten. In Bangladesch.“ „Aber…“ „Ich wollte nur fragen, ob Sie demnächst eine Bezahlung nach bangladeschischen Sätzen anwenden. Also jetzt nur aus Prestigegründen.“ „Aber…“ „Lassen Sie sich nicht stören, Kollege. Sie müssen sich ja auch noch um die Anpassung der Bezüge kümmern. Was täten wir Abgeordnete nur ohne Sie.“