Gernulf Olzheimer kommentiert (CDVI): Die Konstruktion der Wahrheit

23 03 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

In einem besonders klebrigen Paralleluniversum gibt es bestimmt dreizehnäugige Mollusken, die der festen Überzeugung sind, man könne nur fliegen, wenn man keine Ohren besäße. Das sagt ja bisher noch nichts über die physikalische Beschaffenheit der Atmosphäre aus, in denen diese Organismen vor sich hin stoffwechseln, aller Wahrscheinlichkeit nach sind nur alle Zellkumpen, mit denen sie die beobachtbare Galaxie teilen, gleichzeitig flugfähig und ohrlos. Das schließt ein, dass man ohne Ohren existiert und trotzdem nicht fliegen kann, aber das nur am Rande. Es ist, wie gesagt wahrscheinlich, und ab einer genügend großen Anzahl an seienden Paralleluniversen ist es ratsam, die Sache für nicht ganz ausgeschlossen zu halten. Und selbst das sagt uns nicht, ob es auch wahr ist.

Wahrheit ist, ob wir nun wollen oder nicht, eine Konstruktion, es ist komplett ohne metaphysisch aufgeladene Laberei möglich, jede Wahrheit als an sich existierendes Gedöns zu begreifen, wenn es dem Auge des Betrachters vernünftig erscheint. Für die transzendentalen Gräten braucht es freilich eine nicht nur subjektive Betrachtung, aber noch ist nicht raus, wie man die ohne dreizehn Augen auf den Schirm kriegt, und wenn ja, auf welchen. Etwas absolut Wahres zu konstruieren ist noch keinem gelungen, abgesehen von Lebenshilfegurus und wahlkämpfenden Politikern, Schlagertextern und Mario Barth. Und selbst da ist noch nicht klar, aus welchem Paralleluniversum das kommt.

Deshalb gibt es einerseits genug Wahrheit, auf die sich der Bekloppte mit seinesgleichen geeinigt hat: Wasser ist nass, Kreise sind rund, das Nähere regeln Bundesgesetze. Bisweilen ist die Definition Zirkelschlüssen unterworfen – was rund ist, wenigstens im engeren Sinne, wird wohl auch Kreis sein – doch sie fußt auf empirischem Wissen oder wenigstens logischem Schluss. Insofern ist das, was als wahr bezeichnet wird, redundant, da es keiner weiteren Nennung bedarf: ob p nun wahr ist, und niemand hört es, macht keinen Unterschied. Andererseits einigen sich beständig die geistigen Karnevalspräsidenten auf Wahrheiten, weil sie nicht verstehen, was sie da von sich geben. Kreise sind nur rund, weil die Erde eine Scheibe ist, das weiß man doch, und warum das so ist, dass darf man ja niemandem erzählen.

Was die Kohärenz betrifft, so fügt sich jeder Müll in den Haufen ein, auf dem er landet. Der Mond besteht aus grünem Käse, der Mars besteht aus grünem Käse, folglich muss ja auch die Erde aus grünem Käse bestehen. Etwaige Korrelationen zur Verdeppung einer Bildungsschicht sind hier nicht einmal als statistische Ausreißer markiert, wir nehmen sie bloß zur Kenntnis. Das an sich Dumme tritt an die Stelle des Wahren und überlagert es zur Kenntlichkeit – auf diesem Dung wächst trefflich die Verschwörungstheorie, der die Grätsche zwischen Wahrheit und Richtigkeit nicht mehr in den Sinn kommt. Wozu auch. Sie konstruiert das Wahre, ohne auf das Gute und Schöne Rücksicht nehmen zu müssen, und schwiemelt sich innerhalb der Paralleluniversen eine eigene Parallelwelt mit windschiefen Linien, die ihren eigenen Anspruch in den Grund und Boden des eigenen Nichtdenkens zementieren.

Ohne auf das Koordinatensystem zu achten hält die intelligenzabstinente Schicht aber nun jegliches Werturteil für nicht nur wahrheitsfähig, sondern auch für unbedingt schützenswert, als sei nur eine genügend große Masse dreizehnäugiger Knalltüten vonnöten, um die quasi gesetzmäßige Zustimmung zum den Ausflüssen ihre Brägenbewölkung zu erzwingen – jeglicher Widerspruch sei damit, meint das offenporige Klientel der populistischen Deppen in sportlichem Ehrgeiz, an sich hinfällig, und so leugnet das auf höherem Level geistig gestörte Vieh alles, was nicht rechtzeitig beiseite springt, bis tief hinab zu Präsidenten übel beleumundeter Staaten mit demokratischem Zuckerguss. Alternativ sind nun nicht Fakten, dies wäre lediglich ein rhetorisch müder Taschenspielertrick mit klammen Griffeln, die alternative Wirklichkeit wird konstituierendes Element einer konsensfähigen Mehrheitswahrheit. Sicher gäbe kein philosophischer Nichtschwimmer das ungeprügelt zu – man müsste ja auch denken – doch er wird mit den Konsequenzen leben müssen, und das in einer Welt, die auf ihre Befindlichkeiten keinen gesonderten Wert legt. Sie stimmen über den Wahrheitsgehalt eines Hirngespinstes ab und warten darauf, dass sich der Rahmen verzieht, um ihrer eigene Raumkrümmung zu folgen.

Die Wahrheit schafft sich selbst, nur eben über den Diskurs, zu dem die Hohlhupen nicht in der Lage wären. Denn der Diskurs wird nicht geführt durch Brüllen und Weglaufen. Wer Diskursmacht vor allem als Macht des Diskurses begreift, begreift weder eins noch das andere und ist dazu verdammt, in der eigenen Wahrheit der endgültigen Ignoranz anheimzufallen. Spätestens dann ist die Wahrheit, die eigentliche, auch zumutbar.