Schatten der Vergangenheit

14 06 2018

„Drei Stück, das müsste ungefähr ein Meter sein.“ Herr Breschke stellte die Blumentöpfe in den Wagen. „Und Schmetterlingsflieder – meine Frau hat sich den schon im vergangenen Jahr so sehr gewünscht, und dann ist er einfach…“ „Hotte!“

Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es ein kleiner, dicker Mann in einem grünen Pullover war, wie ihn alle Angestellten in diesem Gartencenter trugen, und ich musste auch nicht zur Seite blicken, um zu ahnen, wie der alte Herr zusammengezuckt war. Uns näherte sich ein deutlich verlebter Rentner mit knolliger Nase und rot geädertem Gesicht, dessen freudige Erregung in bizarrem Kontrast stand zu Herrn Breschkes vor Schreck verkrampfter Miene. „Alte Hütte“, johlte der Aushilfsverkäufer, „dass Du noch oberhalb der Radieschen bist, hätte ich ja auch nicht gedacht!“ Breschke schüttelte die ihm aufgedrängte Pranke, wobei ihn Unlust befiel, ziemlich Unlust, und er wand sich, dem Dicken die Hand wieder zu entziehen. „Karl“, krächzte er. Damit war auch schon alles gesagt, es hätte ein netter Nachmittag bleiben können, und doch: die Gefahr war da. Er hatte sie eindeutig identifiziert.

Und schon ging es los. Karl klopfte ihm auf die Schulter, als habe er ein altes Pferd vor sich. „Nee“, jodelte er unbekümmert weiter, „wenn ich das zu Hause erzähl, die werden Augen machen, obwohl: nee, was meine Frau ist, die kennt ihn ja gar nicht.“ Was kein Wunder war, hatten die beiden sich doch gut vierzig Jahre lang nicht gesehen. Die Freude über die jähe Unterbrechung dieses Zustandes war dann auch eher asymmetrisch. „Wie wir damals noch im Kegelverein waren, da wollte ich ihn immer mal zu mir einladen, aber er hat gearbeitet.“ Fast bewundernd, ein bisschen mitleidig und sehr überrascht blickte er den Kegelbruder an. „Also tagsüber, wenn Sie wissen, was ich meine.“

„Wir müssen dann auch zur Kasse“, verkündete der pensionierte Finanzbeamte resolut. „Im Baumarkt wird’s nachher wieder so voll, und wir wollten doch noch…“ „… in den Seehafen“, sekundierte ich, „Fisch besorgen.“ „Ach“, entfuhr es Karl mit dem Ausdruck den Bedauerns, „schade – aber komm doch mal wieder, wenn ich keine Zeit habe.“ Und er lachte ein meckerndes, dünnes Lachen, zwar als einziger, aber er lachte. Ansatzlos hieb er ihm wieder die Hand auf die Schulter, dabei sprach er in verschwörerischem Ton zu mir. „Der hat doch damals die Rothaarige abgeschleppt!“ Breschkes Gesicht verzog sich, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. „Er spricht von meiner Frau.“ Ich nahm ihm langsam Karls Pfote von der Schulter. „Dann lassen wir die Sache jetzt mal besser auf sich beruhen, sonst sagt am Ende noch jemand irgendetwas, das ihm hinterher leid tun könnte, nicht wahr?“

Wir wandten uns zum Gehen; doch unser Verkäufer hatte kein Mitleid. „Das war nämlich so“, begann er. „Hotte konnte ja schon immer besser rechnen als kegeln, eigentlich konnte er alles besser als kegeln, aber das ist halt so.“ Breschkes Hals schwoll langsam an, aber ich konnte ihn noch gut im Zaum halten. „Sie kommen jetzt mal zum Punkt, wir können unsere Topfpflanzen auch woanders kaufen.“ Aber das hatte er wohl überhört. Oder die Schatten der Vergangenheit lasteten ein bisschen zu stark auf ihm. „Das war der spanische Likör“, kicherte Karl, „Hotte hatte einen zu viel erwischt, und dann hat er sich verrechnet, und dann musste er noch zwanzig Würfe machen, und dann…“ Wir blickten einander an. Horst Breschkes Augen verengten sich zu einem geradezu kaltherzigen Schlitz, als würde er aus ihnen jeden Moment mit Laserstrahlen einen Gegner in handliche Stücke schneiden. „Der Abend, an den er sich nicht mehr erinnert, richtig?“

Schnaufend baute Breschke sich auf. „Das war, als er diese… wie hieß sie noch gleich?“ „Heide“, grübelte ich, „das muss Heide gewesen sein. Sie hatte eine Abneigung gegen Doppelkorn, wenn ich mich recht entsinne.“ „Aber…“ „Und sie konnte verdammt gut zielen“, knurrte Breschke. „Und dann war da dieses Schwimmbecken auf der Rückseite des Hotels, in dem die Kegelbahn lag.“ „Und einer hatte plötzlich die Idee, aufs Dreimeterbrett zu klettern.“ „Natürlich freiwillig.“ „Natürlich.“ Jeden Augenblick hätte er uns bestätigt, dass die Geschichte, so sie denn wahr gewesen wäre, sicher ganz anders hätte verlaufen müssen. So aber tastete er sich ängstlich und rückwärts den Weg durch die Rabatten, wobei er auf den Chef stieß. „Ach nee“, rief er, „Sie hier?“ Kalle wimmerte. „Seit wann haben Sie denn einen Balkon?“ „Ach“, erwiderte ich, „ich helfe nur ein bisschen.“ Mit einem Aufschrei verschwand Kalle hinter dem Taxus. „Wir sollten jetzt in den Seehafen“, meinte ich, „da kennt uns wenigstens keiner.“


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