„Wenn das die Mandanten sehen!“ Luzie rümpfte die Nase. „Tun sie aber nicht“, antwortete sie schnippisch, „oder kriechen die unter meinen Tisch?“ Ungerührt stellte sie die Füße wieder in den Eimer. Endlich Kühlung.
„Ich kann sie ja verstehen“, seufzte Anne, „aber was mache ich, wenn ich mal eine Akte von ihr brauche?“ Das Beratungszimmer war nach der Nacht mit geschlossenen Fenstern ein Kubus aus schnittfester Luft, dass man bereits beim Betreten dumpf und dösig wurde. „Sie wird sich die Beine abtrocknen, den Rock…“ Anne hob unmerklich die linke Braue, ein sicheres Zeichen dafür, dass man nicht aufgepasst hatte. „Also sie krempelt sich die Hosenbeine herunter, dann sucht sie ihre Schuhe und…“ Annes Gesicht tanzte. Ich hielt besser den Mund. „Demnächst wird sie in Schwimmflossen durch die Kanzlei klatschen“, knurrte sie. „Das kann man den Mandanten wirklich nicht mehr zumuten. Und ich bin hier immer noch die Chefin, so sehr ich es bedauere.“ „Da bist Du nicht die einzige“, antwortete ich versonnen. Vielleicht war es doch schon ein bisschen zu warm.
Der angestaubte Karton in der Zimmerecke ließ keinen Zweifel zu. Es war bereits für Abhilfe gesorgt worden, die Temperaturen der nächsten Tage sollten noch einmal rekordverdächtige Höhen erreichen. „Husenkirchen hat endlich sein Büro geräumt“, verkündete Anne stolz. „Ich habe sozusagen seine ehemalige Einrichtung geerbt.“ Neben einer spröde bröselnden Schreibtischleuchte in nostalgischem Grün fanden sich allerhand große Briefbeschwerer, Buchstützen und ein riesiger Ventilator. Das Gerät sah unter der leichten Schicht von Staub und Patina aus, als hätten Alexander der Große und Richelieu im Schein einer Tranfunzel davor den Frieden von Versailles ausgewürfelt. Der Stecker war nicht mehr ganz mit der aktuellen Stromversorgung kompatibel, aber was macht’s – zwei Kabel, Plus und Minus, und der Spaß konnte beginnen. Anne ließ sich da nicht irre machen.
„Ich besorge ihr den Schraubendreher schon mal nicht“, knurrte Luzie. Das war auch verständlich, da sie im Zweifel für die Ideen der Strafverteidigerin würde geradestehen müssen. „Als sie das Faxgerät selbst programmieren wollte, hatten wir danach ständig Rückrufgespräche aus Taiwan. Und diese eben merkliche Verformung im Küchenboden stammt von der neuen Espressomaschine.“ Sie sah mich über den Rand ihrer Brille bedeutungsvoll an, und wer wusste, dass die so kleine wie kraushaarige Bürokraft Luzie Freese, die luziefr zu zeichnen pflegte, es immer und grundsätzlich ernst meinte, der ahnte, hier bahnte sich Interessantes an.
„Man muss dieses Gitter irgendwie fixieren“, mutmaßte Anne, „hier ist eine kleine Schraube, nein, nicht die – hier, diese kleine Schraube, die ist jetzt aber gerade unter den Schreibtisch gefallen, wie gut, dass da ein Teppich liegt. Du findest sie bestimmt wieder.“ Die Sonne war noch nicht unwiderruflich hinter dem Horizont eingesunken, die letzten Strahlen beleuchteten die Westwand des Büros, da zog Anne den Stecker des mondänen Deckenfluters aus der Dose und präsentierte stolz das Ende des strombetriebenen Umluftgeräts. „Du hast das doch nicht…“ Ein Nicken ließ mich zusammenzucken. Sie hatte tatsächlich mit Hilfe eines Taschenmessers – meines Taschenmessers, ich begann es erst in diesen Augenblick wieder zu vermissen – einen Stecker an das braungraue Kabel aus Großvaters Zeiten geschraubt. „Ich muss es nur noch in die Dose stecken“, kicherte sie, „Männer und Technik passen ja offensichtlich nicht immer so gut zusammen.“
Eine Viertelstunde später, Luzie hatte mit Hilfe der akkubetriebenen Bauleuchte recht schnell die Hauptsicherung im Keller des Anwesens gefunden, stand der Quirl auf Annes Schreibtisch. „Das mit dem Kabel kann ja immer mal jedem passieren“, maulte sie. „Die sind halt kompliziert.“ „Ich möchte trotzdem nicht, dass Du dieses Ding aus dem technischen Museum auf Deinen Schreibtisch stellst“, ließ ich sie wissen. „Es sieht einfach falsch aus.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wir werden ja sehen“, meinte sie schnippisch und ließ sich auf dem Sessel nieder, „ich werde jetzt erstmal die Klageschrift von – wo ist eigentlich die Akte?“
Kaum hatte Anne sich erhoben, begann der Ventilator zu schnurren, erst leise, dann kollernd, innerhalb weniger Sekunden jedoch mit einem sonoren Röhren, als bräche gleich eine Turbine aus der Unwucht aus. Ein Krachen, und wie Schrapnell spritzten die Splitter der Windflügel durch das dünne Drahtgitter. Ein paar der scharfkantigen Teile blieben in der Tapete hinter dem Schreibtisch, ein größerer Metallkeil in der Sessellehne stecken, etwa in Augenhöhe.
„Nein!“ Anne hielt sich an meinem Arm fest. „Du hast noch einmal Glück gehabt“, stellte ich fest. „Für dieses Experiment einen fabrikneuen Ventilator zu kaufen und künstlich nachaltern zu lassen wäre sehr kostspielig gewesen.“ Sie sagte nichts. „Vielleicht sollte ich doch die technischen Geräte hier besser im Auge behalten.“ Und sie durchsuchte den Aktenschrank, guckte in der Küche wie in der kleinen Abstellkammer und ließ sich erschöpft in den durchbohrten Sessel fallen. „Du hast ja recht“, sagte sie kleinlaut. „Haben wir eigentlich noch einen Eimer?“
Satzspiegel