„Wie soll ich das denn abholen?“ Er raufte sich die Haare; viel war bei Herrn Breschke nun nicht mehr vorhanden, allein zu dieser Rauferei reichte es aus. „Sie haben bis zum Wochenende gewartet, dann waren es noch zwei Tage, dann hatte ich die Karte im Briefkasten – und jetzt finden sie das Paket nicht mehr wieder?“ Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, blickte den alten Herrn aus treuen und traurigen Augen an. Was tun?
„Das war doch wieder so ein Paketbote, der hat gar nicht an der Tür geklingelt, der hat einfach die Karte eingesteckt.“ Ich begutachtete das Kärtchen, es war noch dazu falsch abgestempelt, da offenbar einen Tag vor der Auslieferung schon die Signatur des Paketboten eingetragen wurde. „Sie suchen alle schweren Sendungen bereits vor der Tour raus“, mutmaßte ich, „und lassen sie selbst abholen.“ Breschke schluckte. „Ich kann doch nicht…“ „Wir werden das anders lösen“, beschloss ich. „Geben Sie mir mal das Telefon.“
Eine halbe Stunde später wurde mir klar, dass künstliche Intelligenz die einzige Rettung für die Menschheit sein würde. Natürliche hatte es nicht bis in die Innenseite der Schädel von Paketboten, Kundenberatern und einer unter chronischem Verstandesverlust leidenden Sprechpuppe aus der Rechtsabteilung des Logistikkonzerns geschafft, die uns rieten, das Paket bis spätestens vorgestern abzuholen, da sich sein Standort wegen der falsch ausgefüllten Karte leider nicht mehr herausfinden ließe. „Sie meinte, wir sollten beim nächsten Mal einen anderen Paketboten wählen.“ Die Oberlippe des Pensionärs zuckte bereits unkontrolliert. „Das lasse ich mir nicht bieten“, knurrte ich. „Fahren Sie schon mal den Wagen vor.“
Die Paketstation befand sich eine Minute vor der Mittagspause, als wir eintrafen. „Sehr gut“, sagte ich, zog die Karte aus der Jackentasche und betrat den Vorraum. Schon schlenderte fröhlichen Blicks eine Angestellte auf die Tür zu, um alle Kundschaft für eine Stunde von ihren Rechten auszuschließen. „Schnell“, rief Herr Breschke, „sie schließen Ihnen die Tür vor der Nase zu!“ „Das will ich sehen“, gab ich zurück. Ich öffnete ein paar Hemdknöpfe, setzte die Sonnenbrille auf und stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor der Postfrau. „Skladusnje padorowuskji?“
Sie riss die Augen auf. „Jetzt ist aber…“ „Mnje jadatj’ gownaja brjatsk?“ Wir befanden uns im Nu wieder am Verkaufstresen, wobei sie einerseits hinter jenem Platz genommen und andererseits den Weg dorthin rückwärts zurückgelegt hatte. „Die Karte, ich brauche bitte eine Karte!“ Ich reichte ihr das Schriftstück. „Das kann nicht sein“, urteilte sie. „Sehen Sie hier, der Stempel ist ja am Tag vorher, da können wir, also das ist gar nicht…“ „Gownaja brjatsk“, entgegnete ich lächelnd, „rawustaja wse kusnizkij!“ Ich zwinkerte ihr sogar ein wenig zu, nur ein wenig. Man soll in solchen Situationen mit dem Charme vorsichtig sein, hatte ich mir sagen lassen. Am Ende käme es zu Missverständnissen.
Noch immer hatte sie die Karte nicht aus den Augen gelassen. Möglicherweise war ihr bereits aufgefallen, dass sich das besagte Paket noch im Lager befinden musste. „Sie wollen ein Paket“, begann sie langsam, „ich habe hier kein Paket. Sie müssen telefonieren mit Hotline, dann bekommen Sie Paket.“ Ich runzelte die Stirn. Diese Angestellte sprach mit mir, als wäre ich zu dumm für sie. „Skladusnje brasat’!?“ Mein Unterton war schon etwas drohend, sie blieb jedoch aufrecht hinter dem Tisch stehen. „Vielleicht könnte Herr Gruschitzki… Herr Gruschitzki?“ Das dickliche Männchen kam von hinten in den Schalterraum gerollt und tat sehr groß. „You speak Russish?“ „Njas pomoj ognoroz dat’ schtschukaja.“ „Peut-vouz Française?“ „Njas“, bellte ich zurück, nunmehr schon leicht ungehalten. „Njas pomoj, zakurtschnaja brjas!“
Vielleicht wäre die Stimmung in diesem Moment gekippt, hätte ich nicht mit dem Finger auf die Paketnummer gezeigt. „Gownaja“, sagte ich sehr bestimmt. Ein Moment der absoluten Stille trat ein, als sich die beiden stumm ansahen. Der Kleine schüttelte den Kopf. „Njas pomoj, njas gownaja brjatsk?“ Sie schüttelten beide. „Gownaja brjatsk“, wiederholte ich, bei jeder Silbe heftig mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte hämmernd. Wieder schwiegen sie. Überraschend packte ich ihn am Kragen und zog ihn halb über den Tresen. „Snagusnaja paruschni“, schrie ich, „schatjuschki na wojna!“ Hatte meine Explosion den plötzlichen Sinneswandel ausgelöst, so ging es nun doch recht schnell. In Sekunden verschwanden beide im Lagerraum, wo heftiges Poltern eine angeregte Suche zwischen Päckchen und Paletten andeuteten. Kurz danach wuchtete die Dame einen erheblichen Karton auf den Tresen. „Bittsjaka sehrskaja“, stotterte sie, „gutt?“ Ich nickte. „Danka scheen“, antwortete ich gönnerhaft, schmierte auf die Karte schnell einen unterschriftsähnlichen Kringel und schulterte das Ding.
„Ich verstehe es wirklich nicht“, wunderte sich Horst Breschke, während der Wagen langsam vom Parkplatz rollte. „Wenn das Paket doch angeblich gar nicht hier war, wie können sie es Ihnen dann gegeben haben? Gibt es da irgendein Geheimnis?“ „Ich verrate es Ihnen“, antwortete ich. „Man muss mit diesen Leuten in der Sprache reden, die sie verstehen.“
Satzspiegel