Schauprozess

16 10 2018

„Aber jetzt müssten wir mal die…“ „Wir!?“ „Also wir alle.“ „Das können wir ohne den Vorstand gar nicht beschließen.“ „Wenn wir nicht jetzt die…“ „Ich würde ja sagen, es ist schon viel zu spät.“ „Dann ist es doch auch egal, was wir machen.“

„Wir könnten erst mal die nächst Wahl abwarten und dann eine Strategie für die…“ „Strategie?“ „Er meint so Sachen, bei denen man sich vorher überlegt, was man sagt.“ „Dann ist Nahles schon mal raus.“ „Mhm.“ „Das finde ich aber sehr gut, so actionmäßig und so.“ „Dass wir jetzt strategisch vorgehen?“ „Dass wir erst mal abwarten. So was kommt bei den jungen Leuten dufte an, die nennen das Prokrastination.“ „Was ist ‚dufte‘?“ „Das war cool, bevor es mega wurde.“ Aha.“ „Aber selbst wenn wir bis nach der nächsten Wahl warten, wir können uns doch jetzt nicht einfach hinsetzen und nichts tun.“ „Ohne den Vorstand würde ich da jetzt keine Prognose wagen.“ „Es muss doch irgendwas passieren!“ „Wir könnten ja aus der Regierung gehen.“ „Meinen sie denn, dass die Pensionen für unsere Minister bisher ausreichen?“ „Und dann sind da natürlich auch jede Menge Staatssekretäre.“ „Die wissenschaftlichen Mitarbeiter im Bundestag nicht zu vergessen.“ „Die Fahrer.“ „Referenten!“ „Und das sage ich Ihnen gleich, ohne den Vorstand…“

„Kann man denn nicht mal eine ordentliche Politik machen?“ „Wir haben leider nicht das Verkehrsministerium, sonst hätten wir es der Autoindustrie schon gezeigt.“ „Alter, hätten wir es denen gezeigt!“ „Wenn man nur Ressorts wie Justiz und Umwelt hat, was soll man denn groß machen? Das ist doch ein Fehler, den der Koalitionspartner macht!“ „Dann muss sich die Partei auch mal zu einer konsequenten Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit…“ „Na, ob Sie das beim Vorstand durchkriegen?“ „Wir müssten bei der Rente viel weiter sein!“ „Vielleicht ist das Parteiprogramm ja auch zu alt.“ „Immerhin sind wir eine sehr alte Partei.“ „Dann müssten wir von der Rente doch mehr verstehen.“ „Bei uns heißt das Pension.“ „Wo ist da der Unterschied?“ „Sie sind noch nicht so lange in der Partei, oder?“ „Lassen Sie ihn, das ist unser Quotenarbeiter. Den brauchen wir noch für den Wahlkampf.“

„Wir könnten doch wenigstens mal vor die Presse gehen und sagen: tut uns leid, aber da haben wir mal Mist gebaut.“ „Sie sind Ossi?“ „Nein, warum?“ „Ich dachte nur. Erst die öffentliche Selbstkritik, danach kommen wieder Ehrungen der Partei.“ „Genossen wie Sie sind daran schuld, dass wir die…“ „Nennen Sie mich nicht ‚Genosse‘!“ „Jetzt hören Sie mal!“ „Gehen Sie doch nach drüben, wenn es Ihnen hier nicht passt!“ „Was soll er denn in der CDU?“ „Wie kommen Sie jetzt darauf?“ „Naja, wo soll man denn heute noch hin. Also als Sozialdemokrat.“

„Bleiben wir doch mal beim Thema.“ „Sie wollen ernsthaft ein Schuldeingeständnis der SPD, damit wir sauber aus der Sache rauskommen?“ „An diesem Hartzscheiß waren die Grünen aber auch beteiligt.“ „Und wir haben Nahles wirklich immer zurückgehalten, wenn sie es noch bescheuerter machen wollte.“ „Das stimmt.“ „Dann würde es doch reichen, dass sie sich aus der Parteispitze zurückzieht, nicht wahr?“ „Mhm.“ „Wenn das der Vorstand wüsste!“ „Ich finde die Idee gar nicht mal so schlecht.“ „Richtig, wenn man bedenkt, auf was für bescheuerte Ideen sie bisher gekommen ist.“ „In jedem Ressort.“ „Und unter jeder Regierung.“ „Ich würde so einen gut inszenierten Schauprozess ganz gut finden.“ „Das ist doch nicht Ihr Ernst!?“ „Wann ist das eigentlich in Mode gekommen, dass man alles an die Wand fährt und immer ohne Rücktritt aus der Nummer rauskommt?“ „Also jetzt doch Neuwahlen?“

„Da bleibt uns jetzt nur noch, die Mitglieder zu befragen.“ „Das macht der Vorstand nicht mit.“ „Verdammt noch mal, gerade darum geht es doch! die Flitzpiepen wissen doch gar nicht mehr, was da in den Niederungen der Politik vor sich geht!“ „Vielleicht könnte man das mal analysieren.“ „Also das ist mal ein guter Plan.“ „Ich will ja nicht unken, aber wenn wir das vor der Wahl machen, dann versauen wir uns möglicherweise die Chancen auf ein besseres Ergebnis.“ „Also doch erst abwarten?“ „Wir können doch nicht nach Antworten suchen, wenn wir nicht wissen, was aktuell gefragt wird!“ „Auch wieder wahr.“ „Meine Güte, es ist doch schon zweimal so gewesen: die Merkel-CDU macht uns kaputt, wir müssen da raus!“ „Dann müssten wir aber irgendwann auch wieder regieren.“ „Das kann doch keiner wollen.“ „Zum Glück ist da auch der Wähler davor.“ „Sehen Sie, auf den stabilen Rechtsstaat ist eben Verlass.“ „Naja, wer weiß, wie lange dieser Segen hält.“ „Wir sollten uns diese Option auf jeden Fall weiterhin offen halten, und dann sehen wir auch, was wir in der Zukunft an Gestaltungsmöglichkeiten finden.“ „Und bis dahin?“ „Konzentrieren wir uns selbstverständlich auf die Sacharbeit.“ „Und in den letzten Monaten?“ „Haben wir uns auch auf Sacharbeit konzentriert. Es kam nur nichts davon in den Medien.“ „Mhm.“ „Das heißt, wir sollten jetzt wieder so eine BILD-BamS-Glotze-Schiene fahren?“ „Solange wir nicht den geeigneten Kanzler haben, müssen wir’s eben auf die harte Tour…“ „Ach was, Sie haben doch alle die Hosen gestrichen voll – harte Tour? Ich gebe Ihnen harte Tour! Ein Grundsatzparteitag muss her, das ganze Präsidium gehört in die Tonne, das neue wird per Urwahl eingesetzt, und dann machen wir vollkommen unabhängig von der Regierung ein komplett neues Programm für eine Zukunft! So muss man das machen, so und eben nicht anders, Genossinnen und Genossen!“ „Das klingt gut!“ „Jawoll!“ „Brüder, zur Sonne, zur…“ „Genau so!“ „Ich bin damit einverstanden.“ „Sie auch?“ „Immer vorausgesetzt, Sie haben das schon dem Vorstand vorgelegt.“