„Das rote Dreieck ist jetzt für mehr Zucker, aber biologisch-dynamisch. Grün wäre weniger Salz, oder war’s Fett? Wir kommen hier ständig mit den Beschlussvorlagen durcheinander, das reinste Chaos. Wir gut, dass das auf freiwilliger Basis ist.
Darauf legen wir großen Wert. Wir sind ja nicht in der DDR, wo der Staat den Betrieben einfach so sagen konnte, wie die Produktion laufen soll. Wir sind hier in der sozialen Marktwirtschaft und in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, das heißt, die einen kümmern sich um den Markt, die anderen um die Wirtschaft, und der Staat ist dann fürs Soziale zuständig. Alles andere ist Sozialismus, außerdem wäre das auch nicht transparent.
Das ist nämlich das zweite Standbein, wir setzen konsequent auf Transparenz. Mit der Freiwilligkeit zusammen bedeutet das, jeder kann sofort sehen, aha, der macht freiwillig mit. Und die Freiwilligkeit der Transparenz ist natürlich nur so freiwillig und so transparent, wie das die Konzerne wollen, weil das ja der Markt regelt und nicht der Staat. Jetzt schauen Sie nicht so, das ist Demokratie. Da müssen Sie dann halt noch ein bisschen dazulernen. Also wenn jetzt der Konzern A hier eine gelbe Raute auf die Brötchen pappt, weil da Sachen drin sind, die Sie nicht essen würden, wenn Sie’s wüssten – also die Brötchen würden Sie auch nicht essen, wenn Sie wüssten, dass ist in den Brötchen drin – dann heißt das, die gehen als gutes Vorbild voran und werben offensiv für eine gute Kundenbindung, denn Sie als Verbraucher wissen ja wohl auch, Brötchen ohne den Kram müssen Sie schon selbst backen, wenn Sie keinen Bäcker mehr ums Eck haben. Es gibt keine anderen.
Die Ministerin hat außerdem gesagt, dass die Produkte den Verbrauchern weiter schmecken müssen. Immerhin, sonst hätten wir jetzt fettfreie Wurst, die beim Kauen quietscht. Oder glutenfreie Bonbons. Das hat sicher auch mit einer gewissen Traditionstreue zu tun. Die Ministerin steht in der Tradition, dass die Konzerne tun können, was sie wollen, und die Konsumenten kennen den Mist halt nicht anders. Da schrumpft das Schnitzel in der Pfanne und die Konservierungsstoffe sind aus den besten Zutaten. Wenn Sie das Gegenteil wollen, müssen Sie eine Ministerin von den Grünen nehmen. Die versteht etwas von Verbraucherschutz, die Wurst ist gesund und schmeckt trotzdem nicht.
Aber das ist ja auch ganz gut so. Jetzt stellen Sie sich bloß mal vor, Sie würden weiterhin nicht genau wissen, ist in meinen Salzbrezeln eventuell zu viel Zucker? enthält die Marmelade Fett? Das würde die Kundenbindung empfindlich stören, und am Ende kauft keiner mehr Marmelade. Oder nur noch Bio, und davon kann so eine Volkswirtschaft auf Dauer nicht überleben. Gut, eine Volkswirtschaft schon, aber keine Ministerin. Zumindest nicht diese.
Sie müssen ja auch berücksichtigen, dass die Verbraucher manchmal auch bewusst die Produkte kaufen, die eigentlich gar nicht so gut sind für sie. Da können Sie jetzt ein Transparenzgesetz machen, da steht auf der Butter drauf: enthält Fett, zack! die Milchbauern ziehen vor den Reichstag, kennen Sie. Oder wir setzen ganz auf Freiwilligkeit, dann macht’s am Ende wieder keiner. Dann doch lieber beides kombinieren, aber als vollkommen unlesbare Zeichen auf die Rückseite aufbringen, damit ist dann dem Gesetz Genüge getan, aber der Bürger freut sich auch, weil er’s halt nicht lesen muss. Lesen Sie etwa das Kleingedruckte unter Ihrer Lebensversicherung?
Was wäre denn für Sie die Alternative? Klar, alles verbieten! Steuern auf Zucker und Fett, aber dann haben Sie gleich wieder die ganze Soziallobby gegen sich, weil sich ein Drittel der Bevölkerung von Obst und Gemüse nicht ernähren kann, weil das Geld nicht reicht. Außerdem haben Sie die Opposition auf dem Plan, weil der Staat noch mehr Geld einnimmt, das er ja garantiert verschwendet. Alles Konfliktpotenzial. Damit kann man doch die Ministerin nicht allein lassen, die versteht doch jetzt schon kaum noch, worum es hier geht. Also mit Verboten kommen Sie hier nicht weiter, weder bei den Kunden noch bei der Industrie. Sie müssen da konsequent auf Nichteinmischung setzen. Die Kunden sollen sich intensiv mit den Angaben der Industrie auseinandersetzen, und die Industrie, für die findet sich dann auch irgendwann mal eine gemeinsame Lösung.
Für die ganz spitze Zielgruppe könnte man ja sogar eine Produktlinie schaffen, die freiwillig die Transparenz mit gnadenlos ehrlicher Information über das Produkt verbindet. Zu viel Zucker, zu viel Fett, Salz, künstliche Aromen, Stabilisatoren, mit Farbstoff und Emulgator: die Problempizza. Fast so gut wie Rauchen. Wenn man die Konsumenten nur transparent informiert, dann ist das doch ethisch total okay. Mehr verlangt das Gesetz auch gar nicht. Ob Sie das Zeug dann kaufen, und wenn Sie’s gekauft haben, ob Sie das in die Mikrowelle werfen oder in den Müllschlucker, das ist doch allein Ihre Entscheidung. Und daran sehen Sie, dass Sie hier in einem freien Land leben: Sie dürfen alles essen, Sie dürfen nur nicht alles wissen.“
Satzspiegel