Mini

31 10 2018

„Ich will keine Pizza!“ Langsam, das heißt im Tempo einer mittelgroßen Lawine, verlor Anne die Geduld und offensichtlich auch schon einen Teil ihrer Nerven. „Jedes mal, wenn mir dieses dämliche Ding zuhört, bestellt es Pizza, und es hört mir verdammt noch mal ständig zu!“

Luzie hatte sich überreden lassen. Seit zwei Wochen stand die Dose auf dem Tresen im Flur der Kanzlei. „Mini“, stöhnte Anne. „Und ich hatte erst gedacht, das bezieht sich nur auf die Größe.“ In der Tat hätte man das Ding schnell übersehen oder aber für eine futuristische Kaffeetasse halten können, aber es sprach auf eine durchaus störende Weise. Es sprach dazwischen.

„Sehen wir der Sache ins Auge“, konstatierte ich, „Du hast Dich bequatschen lassen.“ „Es bequatscht mich immer noch“, entgegnete sie grimmig. „Man kommt ja schon gar nicht mehr zu Wort, wenn sie…“ „Sie haben keinen Befehl eingegeben“, redete Mini dazwischen. Das also klappte. „Aber dafür ist sie nicht eingestellt“, seufzte Luzie. Und schon surrte aus dem Drucker ein Stapel Papier. Öldenburg gegen Öldenburg, zwei ungleiche Brüder, nur darin einig, dass sie seit Jahrzehnten verfeindet waren und sich gegenseitig das Leben schwer machten. „Verfahren wird eingestellt“, tönte es aus der Box. Luzie knüllte den Schriftsatz zusammen. „Ich bin ja schon froh, dass es nicht gleich ein Fax verschickt.“ Wie man es auch drehte und wendete, die Dose war höchst kontraproduktiv.

„Außerdem verschreckt es die Mandanten.“ Wie sich herausstellte, erklärte Mini bereits bei der Anmeldung, dass es sich bei Kaufmeister und Söhne um ein hoch verschuldetes Unternehmen der Büromöbelbranche handelte, das keinen Heller der ausstehenden Rechnungen würde bezahlen können. „Ich verliere effektiv die Sache, wenn schon vorher klar ist, dass das in die Hose geht.“ Luzie knetete ihre Finger. „Natürlich würden wir nie einem Mandanten zur Klage raten, wenn klar ist, dass…“ Sie biss sich auf die Zunge.

Offenbar war die Quasselstrippe Bestandteil des neuen Internetvertrags. „Es war ohne viel teurer als mit.“ Das hatte Anne nicht davon abgehalten, von der Ersparnis einen neuen Kaffeevollautomaten zu erwerben; der würde bereits in wenigen Jahrzehnten finanziert sein. „Jedenfalls wollte ich einfach nur eine Glückwunschkarte schreiben, und ich war mir auch sicher, dass wir noch welche in der Schublade haben, aber da war keine, und deshalb wollte ich in die Stadt, und dann kam aber schon…“ „Ruhig“, unterbrach Luzie. „Ganz ruhig, sonst macht der Kasten gleich wieder irgendwas, was wir nicht gebrauchen können.“ „Es ging um Husenkirchens Tochter“, fasste Anne zusammen, „Staatsanwalt Husenkirchen, und seine Tochter wurde jetzt zur Notarin bestellt.“ „Ich bestelle Pizza“, schnarrte das Ding. „Wie immer bei Pizza Pronto, dem freundlichen Lieferdienst in der Uhlandstraße.“ „Da hast Du es“, schrie Anne. „Ich kann in meiner Kanzlei kein Wort mehr sprechen, wir sind diesem Mistding wehrlos ausgeliefert!“ „Ich prüfe den Auslieferungszustand“, meldete sich Mini. „In wenigen Minuten erreicht Ihre Lieferung den…“ „Halt endlich die Klappe!“ Allein das half nichts.

Dass Mini den städtischen Sperrmüll bestellt und um ein Haar den neuen Kaffeeautomaten als Elektroschrott deklariert hatte – geschenkt. Anne für ein Fahrsicherheitstraining anzumelden war vermutlich nicht die schlechteste Idee, zumal sie ihre Kraftfahrzeugnutzung ohnehin besser auf einer Formel-Eins-Strecke als auf der Stadtautobahn würde nutzen können. Aber einen Satz Karten für die große Volksmusik-Gala mit den Gebrüdern Gschwöllpointner in der Ernst-Krönacher-Arena zu ordern, auf den Gedanken wäre nicht einmal ein enttäuschter Prozessverlierer gekommen. Keine Frage, das Objekt war gefährlich.

„Man müsste es vermutlich nur ausschalten.“ Luzie riss die Augen auf. „Nein!“ „Dass wir darauf nicht gleich gekommen sind“, höhnte Anne, „so ein genialer Einfall aber auch!“ Sie drückte mir Mini in die Hand. „Wenn der Herr vielleicht uns auch noch zeigt, wo man das ausknipst?“ Es gab in der Tat keinen Schalter, keinen Druckknopf, nichts. „So eine Blamage“, knurrte Anne. „Da dachte sich der Herr, zwei Frauen, ein elektronisches Gerät, ohne Mann im Haus kann das ja nicht funktionieren!“ „Und wenn die Batterie irgendwann mal leer sein sollte?“ „Dann kommt der Techniker“, informierte mich Luzie, „und wechselt den Akku. Er hat den Sicherheitsschlüssel, um das Gehäuse zu öffnen, wir nicht.“ Ich überlegte einen Moment. „Und wenn man das Ding versehentlich in den, sagen wir mal, Geschirrspüler stellt?“ „Dann kommt der Techniker und ersetzt es.“ Tatsächlich stand im Vertrag, dass man mit dem Kästchen sorgfältig umgehen sollte, da sonst eine kostenpflichtige Reparatur oder ein Ersatzgerät fällig würde. Was aber nicht im Vertrag stand, hatte ich schnell entdeckt. „Wo würdet Ihr jemanden verstecken?“ „Wie bitte!?“ „Ich meine“, erläuterte ich, „wo würdet Ihr jemanden verstecken, der sich nicht durch Geräuschentwicklung verraten soll?“ Luzie blickte sich überall um. „Unter der Küchenspüle wäre Platz, aber dann müsste ich denjenigen zersägen.“ Ich schnappte mir Mini. „Keine Sorge. Das geht so mit.“ Und schon war wieder himmlische Ruhe. Nur ihre Pizza würden sie wieder selbst bestellen müssen. Aber das ging jetzt gleich von der Küche aus.