Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXLIX): Die Zielfixierung

1 02 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Rrt wusste, was auf ihn zukam, ob in Gestalt der genervten Säbelzahnziege oder eines nachlässig gezielten Beils, im Endeffekt also das Ableben. Dass auch dieses nicht zwecklos war, leuchtete ihm aus der Sicht des mäßig entwickelten Hominiden noch nicht so recht ein, gab es doch noch kaum genug seinesgleichen, um die staubigen Steppen der damaligen Nahtoderholungsgebiete zu besiedeln; hätte er um die späteren Verklumpungen der Menschheit in den Wohntürmen des Megamolochs gewusst, ihm wäre klar gewesen, dass sich die Stückzahl seiner Spezies nicht einfach durch reinen Nahrungsmangel an die dazugehörige ökologische Nische anpassen würde. Das also blieb, wenn auch wie immer gründlich dem Zweck entfremdet, dass der Sinn des Daseins in sich selbst läge. Wir müssen noch für den letzten Unfug ein Ziel finden, und finden wir es, zählt es fortan mehr als alles.

Kaum hat die geneigte Grützbirne die Götter erfunden, steht der Zweck dieser Existenz, stets verbunden mit ihrem Ende, auch schon fest. Wir denken die Kausalität immer vom Abgang her, was gleichsam als Notwendigkeit allem eingeschrieben ist. Doch keiner ist zufrieden mit dem Tun und lässt sich nebenbei auf sekundären Krimskrams ein. Keiner zwirbelt mehr des Geschmacks halber Fisch und Beeren hinters Zäpfchen, es sind die guten Omega-3-Fettsäuren und die Antioxidantien, für die man Graubrot und Senf meidet, falls diese nicht auch die endoplasmatischen Retikula schmieren. Der Nahrungserwerb ist nicht als Handlung an sich schon schlechthinnige Abhängigkeit der Welt von ihrem vollverdübelten Geist, er muss vielmehr noch eine Stufe mehr zünden, um überhaupt als eine lohnenswerte Tätigkeit angesehen zu werden; wer nicht an freie Radikale glaubt, so meint man, muss dann halt unauffällig verhungern, weil er das höhere Ziel verfehlt.

Kein Flusenlutscher käme heute auf die Idee, aus Jux und Dalles ein Ballspiel zu erfinden, zehn Stück Mann um sich zu scharen und das Spielgerät nach daumendickem Regelwerk in die gegnerische Kiste zu klotzen. Was könnten die Leute in der Zeit Rohre schweißen, Fliesen legen oder gegen die Klimakatastrophe demonstrieren. Erst mit der Gründung einer Liga, in der eine Mannschaft der anderen den Garaus machen will, nebst zahlenden Gästen, aus denen langsam ein Wirtschaftsfaktor wird, eine Industrie, die schließlich zum nationalen Symbol gerinnt, erst jetzt wird die Sache halbwegs interessant. Erst durch die Zielfixierung wird eine Substanz offenbar, die sonst nur verschwiemelt im Absoluten klebt, niedermolekular verzahnt mit dem Rest der Idee, die sonst keinen interessiert.

Nicht anders ist es in der Wissenschaft, auch und gerade dann, wenn sie mehr herausfindet als historisch belegbare Konsonanten in einer kratzigen Keilplatte, die die Abrechung von zehn Säcken Reis nach Lieferverzug von drei Monden und drei Tagen festhalten. Eng schmiegt sich Kultur an die Grenze der Zivilisation, die Membran des Alltäglichen durchdringend, doch der Erfinder ist sich seufzend gewiss: den Ohrenschmalzlöffel hat er in fester Absicht erschaffen, Weltruhm zu genießen, doch Flaschenzug und Rad haben es außerhalb des Programms zu bahnbrechendem Erfolg geschafft. In der Matrix ist ein Webfehler.

Wirr implodiert indes der Drang ins uns, selbst das unbeirrte Tun, strikt ausgerichtet an Vernunft und Sittsamkeit, noch mit dem doppelten Ziel zu überhöhen. Reichte es, die Energieerzeugung auf erneuerbare Ressourcen umzustellen, und wir würden trotz dessen elektrische Kraftfahrzeuge auf der Autobahn stapeln, Stromsparkühlschränke für kleines Geld erfinden, den Plasteschmodder aus den Meeren fischen und weniger Flächen versiegeln und die Massentierhaltung abschaffen und die Pestizide von Acker jagen, es wäre die Katastrophe des Jahrhunderts für die Technokraten. Wir hätten eine wundervolle Welt, lebenswert und nachhaltig, aber wozu denn? Die schlimmste Vorstellung ist tatsächlich, dass es sich nicht einmal kommerziell verwerten ließe, ein Zuschussgeschäft für den einzelnen, obzwar ein großer Schritt für die Menschheit, und die schöne Stoßrichtung für den tapferen Deppen dahin.

Man könnte sich doch von allem befreien, nur noch die Schönheiten von Kunst und Natur an sich heranlassen, Spiel und Kreativität als Movens der menschlichen Natur begreifen, aber schon suppt die Reprise des Dämlichen durch alle Luken, der früh einsetzende Hirnschaden dudelt Karaoke, und alle singen: wo geht die Reise hin, wir sind als erste da. Der Rechtfertigungsdruck, der die Wurstverkäufer zu Königen unter den einarmigen Blinden gemacht hat, setzt sich verzweifelt durch, und erst in den Grenzerfahrungen des Lebens begreift sich der Bekloppte wieder als er selbst, geschmissen in eine in-sich-seiende Welt, die unterm Weihnachtsbaum nach monströsen Braten mit Klößen und Rotkraut noch Bratäpfel stopft, Marzipankonfekt und Stollen und Plätzchen mit einer Überdosis Zimt, quasi absichtslos und immunisiert gegen Verzweckung als letztes Mittel, dieser Welt eine Absicht in den Rachen zu stopfen. Es wäre sinnlos.